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Der größte Erfolg des Marcus Rashford

16. Juni 2020

Marcus Rashford von Manchester United erregt mit einem offenen Brief an das britische Parlament internationale Aufmerksamkeit. Sein soziales Engagement geht über PR-Maßnahmen weit hinaus. Und er hat damit großen Erfolg.

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Grossbritannien | Manchester United | Marcus Rashford
Bild: Imago Images/R. Hart

Wenn Stürmer Marcus Rashford in "Old Trafford" einen klugen Pass spielt, oder besser noch ein Tor erzielt, dann freuen sich viele Menschen auf den Rängen des legendären Stadions von Manchester United gleich doppelt. Denn Rashford ist nicht nur im herkömmlichen Sinne als Träger des United-Trikots einer von ihnen, sondern kommt wie viele der Fans auf den Rängen selbst aus der Arbeiterstadt im Norden Englands. In der von Investoren und Zuschauern aus aller Welt in den letzten Jahren förmlich überrollten Premier League ist Rashford für viele Anhänger des Rekordmeisters im Mutterland des Fußballs quasi die Antithese dazu. 

Rashford, der als gerade 18-Jähriger sein Debüt für United mit zwei Toren in der Europa League gegen den FC Midtjylland aus Dänemark feierte, gilt in Manchester als die Identifikationsfigur in einem für viele Anhänger zum seelenlosen Geschäftsmodell verkommenen Klub. Natürlich jubelt auf der Tribüne bei einem Treffer des Stürmers auch der Statthalter der Glazer Familie, Ed Woodward. Hin und wieder tut der ehemalige Investmentbanker das sogar gemeinsam mit den Söhnen Glazers, die heute das Sagen bei United haben. Doch Rashfords Aufmerksamkeit als Person des öffentlichen Lebens in Manchester gilt weniger Woodward oder Sponsorenvertretern, sondern den Menschen in seiner Heimatstadt - vor allem den sozial schlecht gestellten.

#maketheuturn - Brief an das Parlament in London

Seit Beginn seiner Karriere engagiert sich Rashford sozial in Manchester. Und das nicht nur mit Spenden oder Beteiligung an Charity-Aktionen als der reiche Gönner. Rashford ist persönlich dort, wo es Probleme gibt. Probleme, wie zum Beispiel fehlende kostenlose Mittagessen für Schüler aus ärmeren Familien. Das ist Rashfords Thema. Stiftungs-Galas, PR, Fernsehinterviews sind für den jungen Mann aus Manchester nicht die Mittel der Wahl. Rashford packt selber an, hilft bei der Organisation von Essensspenden und deren Verteilung im Raum Manchester mit, wie er immer wieder mit Bildern bei Twitter zeigt. Das Problem für ihn und seine Aktivitäten: Das staatliche Programm zur Förderung kostenloser Mittagessen für bedürftige Kinder, die sonst in den momentan geschlossenen Schulen Mittag essen würden, wäre zum Beginn der Sommerferien in Großbritannien ausgelaufen.

Für Rashford, der bislang eher lokal aktiv war, ein guter Grund, sich mit seiner Forderung nach Verlängerung des Programms in die Sommerferien direkt an das Parlament in London und an die Regierung zu wenden. Unter dem Hashtag #maketheuturn (zu deutsch: Schafft die Wende) veröffentlichte Rashford am 15. Juni auf seinem Twitter-Profil einen offenen Brief, in dem er die Abgeordneten in Westminster dazu auffordert, die Entscheidung zu überdenken und das Programm auch über den Sommer hinaus zu verlängern.

"Ich weiß, wie es ist, hungrig zu sein” 

"An alle Abgeordneten. In dieser Woche, in der die EM 2020 hätte beginnen sollen, möchte ich auf den 27. Mai 2016 zurückschauen, als ich in der Mitte des Stadium of Light in Sunderland stand und gerade eben den Altersrekord als jüngster Torschütze bei seinem Länderspieldebüt für England unterboten hatte", beginnt Rashford seinen Brief und hält anschließend ein zweiseitiges, flammendes Plädoyer für das Förderprogramm, indem er seine eigene Geschichte und seinen ganz persönlichen Hintergrund eindrucksvoll schildert.


"Unser System ist nicht dafür gemacht, dass Familien wie meine Erfolg haben", schreibt Rashford. Es folgen die Worte, die in der Öffentlichkeit Widerhall finden mussten: "Ich weiß, wie es ist hungrig zu sein", so Rashford, der in Whythenshawe, einem Arbeiterviertel im Süden Manchesters mit einer alleinerziehenden Mutter und fünf Geschwistern aufwuchs. Acht Worte, die wohl nur weniger Fußball-Profis aus der milliardenschweren Premier League so niederschreiben können wie Marcus Rashford.

Acht Worte, die binnen kürzester Zeit Anklang in den prominentesten Ebenen Großbritanniens fanden. "Komm schon Boris Johnson, du kannst diesem wunderbaren jungen Mann dabei helfen, das wichtigste Ziel seines Lebens zu erreichen", twitterte Gary Lineker, der WM-Rekordtorschütze der englischen Nationalmannschaft, am Dienstag-Vormittag. Und dabei beließ es Lineker nicht. Der TV-Experte retweetete reihenweise Unterstützungsbekundungen für Rashfords Aktion und legte sich in dem sozialen Netzwerk offen mit Leuten an, die Rashford politische Motivation vorwarfen.

Auch der Bürgermeister von London verlieh Rashfords Anliegen Nachdruck. "Können wir uns alle darauf einigen, dass kein Kind hungrig ins Bett gehen sollte?", schrieb Sadiq Khan, Nachfolger von Boris Johnson als Stadtoberhaupt der Metropole, auf Twitter.

Rashfords Hashtag #maketheuturn war zuvor in den englischen Twittertrends in kürzester Zeit nach oben geschossen. "Wir trenden auf Rang 1 und 2 in England. Ich brauche die Hilfe von euch allen, damit wir weiter gehört werden. Bevor ich jetzt zum Training fahre noch eine Botschaft an alle Abgeordneten: Hier geht es nicht um Politik. So wie wir als Spieler unterschiedlicher Teams gemeinsam stehen, wenn wir das Nationaltrikot tragen, sollt ihr gemeinsam entscheiden. Bitte schafft die Wende", schrieb Rashford dann am Dienstag-Vormittag bei Twitter.

U-Turn - Johnson lenkt ein

Dass seine Worte nicht ungehört bleiben würden, damit dürfte der 22-Jährige sicher gerechnet haben. Dass sein offener Brief und sein Engagement eine solche Welle lostreten und das bestimmenden Thema in Englands Öffentlichkeit sein würden, das war vielleicht so nicht zu erwarten. Doch nur ein Tag nach Rashfords beeindruckendem Appell vermeldete man in London den U-Turn, die Wende.

Die Regierung um Premierminister Boris Johnson ließ verlautbaren, dass ein Programm mit dem Namen "Covid summer food fund" kostenlose Mittagessen für rund 1,3 Mio. Schüler garantieren werde. Rund 15 Prozent der Kinder in Großbritannien werden die staatliche Leistung, für die die Regierung rund 120 Mio. Pfund bereitstellen wird, nach Angaben der britischen Rundfunkanstalt BBC beanspruchen. "Alle Kinder, die während der Schulzeit in England Anspruch auf kostenlose Schulmahlzeiten haben, profitieren vom Covid summer food fund", hieß es in einer Erklärung in der Premier Johnson Rashford persönlich für dessen "Beitrag zur Debatte über Armut" dankte. 

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Seht, was wir gemeinsam erreichen können. Das ist England 2020", twitterte der United-Stürmer nach der Regierungsmitteilung und erhielt abermals großen Zuspruch aus der britischen Öffentlichkeit. Im Interview mit der BBC legte er aber sofort nach: "Ich möchte nicht, dass das schon alles war. Wir brauchen weitere Schritte und müssen diese Antwort der Regierung erst in Ruhe analysieren." - Marcus Rashford meint es eben ernst mit seinem Engagement. 

 

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion