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Der Holzschnitzer von Oberammergau

2. März 2010

Oberammergau in Oberbayern ist die deutsche Hauptstadt der Holzbildhauerei. In den Souvenirläden des Gebirgsdorfes sind die religiösen Figuren allgegenwärtig. Aber Billigkonkurrenz macht den Handwerkern zu schaffen.

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Der Oberammergauer Herrgottschnitzer Herbert Haseidl (Foto DW/Daniel Scheschkewitz)
Herrgottschnitzer Herbert Haseidl in seiner kleinen WerkstattBild: DW

Die meisten Menschen verbinden Oberammergau mit den berühmten Passionsspielen. Die machen aus der 5000-Seelengemeinde alle 10 Jahre einen Wallfahrtsort für Christen aus aller Welt. Doch das Gebirgsdorf ist darüber hinaus gleichsam Synonym für traditionelle Handwerkskunst. Vor allem die Holzschnitzer, denen 1880 der bayerische Schriftsteller Ludwig Ganghofer in seinem Volksstück "Der Herrgottschnitzer von Ammergau" ein Denkmal setzte, lebten bislang gut von den Touristenströmen der Passionszeit.

Schlaraffenland der Holzschnitzer?

Holzschnitzer Detail (Foto DW/Daniel Scheschkewitz)
Das Nadelholz wird mit dem Schnitzmesser bearbeitetBild: DW

Doch seit man einen holzgeschnitzten Jesus billig auch als industriell gefertigte Massenware kaufen kann, kämpfen Holzschnitzer wie Herbert Haseidl um das berufliche Überleben. Der 58-jährige Holzbildhauer scheut den Touristenrummel. Der bricht auch in diesem Jahr mit der Vorbereitung der Passion wieder über den sonst eher stillen Ort herein. In seiner kleinen Werkstatt, abseits der mit Massenware ausgelegten Souvenirläden, herrscht das kreative Chaos. Es stapeln sich roh und halbfertig geschnitzte Krippenfiguren, Kamele, Marien- und Jesusfiguren in allerlei Größen neben Farbtöpfen, Schnitzmessern- und Eisen.

Als kleiner Bub schon hat Haseidl zum Schnitzmesser gegriffen: "Mein Vater, mein Großvater und meine beiden Onkel waren Herrgottschnitzer. Ich kannte nichts anderes. Und als ich mir zum ersten Mal in den Finger geschnitten habe, war ich gerade mal vier Jahre alt." Der heimliche Griff zum Messer wurde zur Leidenschaft. Und aus dem Hobby wurde ein Beruf. Seit 1966 verdient Herbert Haseidl sein Geld mit dem Schnitzhandwerk. Neben ihm ernährt es noch etwa 70 andere Holzbildhauer in Oberammergau.

Der Beruf als Hobby

Holzschnitzer Jesulein (Foto DW/Daniel Scheschkewitz)
Von religiöser Kunst allein können die Holzschnitzer heute nicht mehr lebenBild: DW

Der gelernte Holzschnitzer greift in eine Plastiktüte und holt ein Stück angefeuchtetes Nadelholz aus dem Odenwald hervor. Normalerweise stammt das Rohmaterial der "Herrgottschnitzer" aus dem Alpenraum, von der heimischen Zirbelkiefer oder der Linde. Heute aber ist alles eine Frage des Preises geworden. Das gilt auch für das Rohmaterial. Haseidl verleiht einem Kamel mit dem Messer erste Konturen. Und während aus dem weichen Holz eine Krippenfigur entsteht, erzählt er von den Nöten seines Berufes. Ein Jesus aus Echtholz, aber industriell in Südtirol gefertigt, ist heute für 50 Euro zu haben. Für eine handgefertigte Schnitzfigur müsse er jedoch fast das Zehnfache nehmen, um auf seine Kosten zu kommen. Doch dem gläubigen Besucher der Passionsspiele ist es meist egal, ob die Jesusfigur unter dem er später zuhause betet, wirklich "Handgeschnitzt in Oberammergau" ist.

"Manchmal habe ich schon das Gefühl, einem aussterbenden Beruf anzugehören, aufgrund der wirtschaftlichen Lage zurzeit", sinniert der Kunsthandwerker. "Da ist es schwierig, einem jungen Menschen diesen Beruf noch empfehlen zu können." Haseidl steht mal 60, mal 70 Stunden pro Woche in seiner Werkstatt. Je nach Auftragslage arbeitet er auch am Samstag oder Sonntag. "Man muss ja auch davon leben können und ein Familie ernähren." Und das schaffe nur derjenige, versichert Haseidl, für den das Holzschnitzen nicht nur Beruf sei sondern auch Berufung.

Holzfigur Engel (Foto DW/Daniel Scheschkewitz)
Die Holzschnitzkunst ist Filigranarbeit - wie bei diesem EngelBild: DW

Zeichnen, Sägen, Schnitzen

Rechts von Herbert Haseidl liegt ein großer Werkzeugkasten. Darin liegen die verschiedenen Schnitzeisen, fein säuberlich geordnet nach Größe und Rundungsgrad. Bevor er zum Eisen greift, muss der Holzschnitzer einen Entwurf zeichnen und mit weichen Kurven, Ecken und Kanten der späteren Holzfigur einen individuellen Charakter geben. "Jede Figur, die ich schnitze, soll ein Leben haben, dass man merkt: Die Figur erzählt etwas."

Dazu vertieft sich der gläubige Haseidl auch schon mal in die Literatur und studiert das Leben einer religiösen Figur, denn, "wenn man religiöse Figuren schnitzt und da nicht hinter steht, dann wird das auch nichts." Nachdem das Rohmaterial ausgesägt wurde, wird auf dem Holzbock der grobe Klotz befestigt, der sich nun in mühseliger Kleinarbeit in eine filigrane Figur verwandelt. Dabei setzt der Herrgottschnitzer bis zu 30 verschiedene Schnitzeisen ein. "Die braucht man für die Augen, den Mund, die Wangen." Zum Schluss wird die Figur noch mit Kaseinfarben bemalt, einer Art wasserfestem Leim.

Der Kunde bestimmt das Motiv

Seit über 150 Jahren bildet die staatliche Beruffachschule vor Ort Holzschnitzer aus. Doch auch wenn das Geschäft mit der Passion in Oberammergau nach wie vor floriert - von der Sakralkunst allein kann in Oberammergau heute keiner mehr leben. Zu den Auftragsarbeiten eines Holzbildhauers, so die korrekte Berufsbezeichnung, gehören deshalb heute auch profane weltliche Relieffiguren, ebenso wie kunstvoll gefertigte Holzrahmen oder Spielzeug aus Holz. Für einen Berliner Lokalpatrioten hat Herbert Haseidls vor Kurzem sogar die Berliner Quadriga im Maßstab von 1: 200 'en miniature' angefertigt. Auch Herrgottschnitzer müssen heute flexibel sein.

Autor: Daniel Scheschkewitz

Redaktion: Michael Borgers