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"König der Frauen" in Afghanistan

9. Oktober 2011

Bibi Hakmeena ist eine Frau. Aber sie lebt in Afghanistan wie ein Mann. Die Provinzrat-Abgeordnete im ostafghanischen Khost, die sich als "König der Frauen" bezeichnet, wird von Männern respektiert.

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Bibi Hakmeena sitzt auf einem Sofa. Auf den ersten Blick sieht sie wie ein Mann aus (Foto: DW)
Bibi Hakmeena trägt seit ihrer Kindheit MännerkleidungBild: DW

Wenn man nach Khost, in den Osten Afghanistans fährt, kommt man nicht um sie herum: Bibi Hakmeena. Der Name der Provinzratsabgeordneten ist in aller Munde. Nicht nur aufgrund ihrer politischen Arbeit, sondern auch wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens. Sie trägt das traditionelle Gewand der Männer, eine weite lockere Stoffhose und ein langes Hemd, das bis zu den Knieen geht. Auf dem Kopf trägt sie einen Turban. "Ich fühle mich wie ein Mann, weil meine Gewohnheiten männlich sind. Ich habe mich nie wie eine Frau gefühlt", erzählt Bibi Hakmeena.

Krieg und Waffen statt Puppen und Kochen

Seit ihrer Kindheit kleidet sich die inzwischen 40-Jährige wie ein Mann. Auf ihrer Schulter trägt sie ihr Gewehr, denn ohne die Kalaschnikow gehe sie nicht aus dem Haus: "Ich trage diese Waffe für mich, für meine Ehre und mein Ansehen. Paschtunen haben ein Sprichwort: Die Waffe ist eine Last, aber sie wird dir irgendwann zu Gute kommen. Die Waffe ist dafür da, dass man sein Leben beschützt".

Portrait Bibi Hakmeena mit schwarzem Turban und Gewehr (Foto: DW)
Die Kalashnikow ist Bibi Hakmeenas ständiger BegleiterBild: DW

Schon als junges Mädchen musste Bibi Hakmeena lernen, sich selbst und ihre Familie zu beschützen. Weil ihr großer Bruder in der Hauptstadt studierte, musste sie als jüngere Tochter den Platz des Sohnes einnehmen. Es wurde zu ihrer Aufgabe, die Mutter und die Schwestern zu verteidigen. Und sie begleitete ihren Vater in die gesellschaftlichen Domänen der Männer: "Mein Vater war der Dorfälteste. Ich habe ihn auf "Dschirgas", den Versammlungen, begleitet und dort viel gelernt. Der Stamm hat mich aufgrund meines Vaters immer schon respektiert", erinnert sie sich.

Bibi Hakmeena hat nie geheiratet. Statt Kinder zu gebären, hat sie mit den Mujahideen gegen die Sowjets gekämpft: Sie war Späherin und sorgte außerdem für den Nachschub von Nahrung, Medizin, aber auch von Waffen.

Politik für die Frauen

Eine afghanische Ärztin hilft und untersucht Frauen (Foto: DW)
"Frauen haben wenig Rechte und müssen viel Leid ertragen"Bild: DW

Vor kurzem wurde Bibi Hakmeena in den Provinzrat von Khost gewählt. Viele Menschen kommen zu ihr, um ihren Rat bei Konflikten einzuholen. Auch Männer respektieren sie und betrachten sie als eine von ihnen. "Bibi Hakmeena hat, obwohl sie eine Frau ist, viel für ihren Ort und ihre Heimat geleistet. Ihre größte Eigenschaft ist, dass sie mutig ist wie die Männer", sagt Abdul Qadir aus Khost stolz. "Außerdem verteidigt sie die Rechte der Frauen. Damit leistet sie innovative Arbeit, denn in dieser Gegend hat man sich bisher nur wenig um Frauen gekümmert."

Bibi Hakmeena möchte ihre Arbeit als Politikerin gut machen. Das Geschlecht interessiert sie dabei nicht. Sie möchte vor allem den Armen helfen. Das sind in Afghanistan zumeist Frauen, sagt sie: "Ich bemitleide die Frauen, weil sie in der paschtunischen Gesellschaft manchmal nicht richtig behandelt werden. Frauen müssen viel Leid ertragen. Mädchen werden zum Beispiel bei Konflikten für einen hohen Brautpreis verheiratet, um so den Konflikt zwischen zwei Clans zu lösen. Außerdem werden viele nicht in die Schule gelassen."

Offener Dialog mit den Taliban

Bibi Hakmeena steht neben einem Mann in Khost, Ost-Afghanistan (Foto: DW)
Von Männern respektiert: "Sie ist mutig wie ein Mann"Bild: DW

Bibi Hakmeena selbst war nie in der Schule. Wie für Jungen auf dem Lande üblich hat sie gelernt, auf dem Acker zu arbeiten. So kann sie mit anpacken, anstatt zu Hause zu kochen. Sie bezeichnet sich selbst als "König der Frauen". Den afghanischen Männern steht sie in nichts nach, sagen die Bewohner von Khost. Selbst von den Taliban lässt sich Bibi Hakmeena nicht beeindrucken, erzählt sie selbstbewusst: "Zweimal haben sie mich gewarnt und haben gesagt, 'Du hast doch die Hadsch, die islamische Pilgerreise, gemacht. Wenn du wirklich gläubig bist, müsstest du auf unserer Seite sein.' Es waren Taliban, wer auch immer sie sind, man nennt sie zumindest so. Ich habe dann zu ihnen gesagt, lasst uns zusammen sitzen und reden."

Bibi Hakmeena ist zwar religiös, sie glaubt aber auch an das afghanische Gesetz und die demokratische Rechtssprechung. Der Dialog zwischen verfeindeten Parteien ist nach ihrer Überzeugung die beste Lösung. Die Hoffnung auf Frieden für ihre kriegsgeschundene Heimat hat sie noch nicht aufgegeben. Sie hofft darauf, dass sich Frauen stärker emanzipieren. Denn auch nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 erfahren Frauen und Männer keine Gleichstellung in Afghanistan. Um um die gleichen Rechte zu bekommen wie ein Mann, muss eine Frau erst zum Mann werden.

Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi

Redaktion: Ana Lehmann