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Kampf der Homosexuellen

Naomi Conrad, Plovdiv/Sofia 19. Oktober 2013

Das Leben von Homosexuellen spielt sich in Bulgarien meist im Verborgenen ab. Denn wer sich öffentlich outet, riskiert, Freunde und Arbeit zu verlieren. Freiräume gibt es aber trotzdem.

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Ein Mann in einem Cafe in Bulgarien zündet sich eine Zigarette an (Foto: Naomi Conrad/DW)
Bild: DW/N. Conrad

"Die beiden Frauen da drüben", Georgi Ivanov lehnt sich über den Tisch und flüstert theatralisch laut, "das sind Lesben." Ivanov grinst. Dann lehnt er sich noch einmal vor: Die beiden hätten eine kleine Tochter. Und die beiden Männer dort drüben, sagt er und zeigt in eine andere Ecke des kleinen Biergartens, der sich in einem schattigen Hinterhof versteckt, seien auch ein Paar. Woher er das wisse? "Ach, solche Sachen weiß doch jeder in der Gemeinschaft." Die Gemeinschaft: Damit meint Ivanov die Gruppe von Homosexuellen und Transsexuellen in seiner Heimatstadt Plovdiv, die untereinander gut vernetzt sind - aber nach außen hin ihre sexuelle Orientierung meist geheim halten.

"Nur meine besten Freunde wissen, dass ich schwul bin", sagt Ivanov, der eigentlich ganz anders heißt. Ivanov hat sich der 21-Jährige nach längerem Überlegen ausgedacht. "Das ist so ein typischer bulgarischer Allerweltsname." Seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Presse lesen. Er möchte nicht, dass seine Familie erfährt, dass er einen Freund hat, mit dem er sich ein Zimmer im Studentenwohnheim der Medizin-Fakultät teilt. Ein Freund, den er eigentlich ganz gerne später heiraten würde, "also, falls wir so lange zusammenbleiben". All das soll seine Familie nicht erfahren: "Denn für die ist Homosexualität eine Sünde."

Unsichtbar bleiben

Ivanov spielt an seinem grünen Armband. "Different, but all equal" ist in das Gummi eingestanzt: "Anders, aber alle gleich". Das, allerdings, stimmt in Bulgarien nicht so ganz, zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung nicht. "In Bulgarien gibt es dieses Mantra: Ich habe ja nichts gegen Homosexuelle, solange sie unsichtbar bleiben", erklärt Radoslav Stoyanov. Viele Bulgaren würden so denken, sagt der 26-Jährige, der für die bulgarische Menschenrechtsorganisation Helsinki Committee arbeitet. "Und die meisten Homosexuellen akzeptieren diese Bedingung und versuchen, möglichst diskret zu sein."

Aktivist Radoslav Stoyanov (Foto: Naomi Conrad/DW)
Aktivisten wie Stoyanov müssen mit Beschimpfungen und Bedrohungen lebenBild: DW/N. Conrad

Es sei schwer, die konservative Gesellschaft Bulgariens zu ändern, solange es keine offene Debatte gebe: "Wie wollen sie denn gegen das Schweigen ankämpfen?", sagt Stoyanov etwas verzweifelt. Dabei weiß er, wie hoch der Preis ist, wenn man - so wie er - öffentlich zu seiner Homosexualität steht. Vor ein paar Jahren hat er sich geoutet, als in Bulgarien die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften debattiert wurde: Stoyanov trat in Radiosendungen auf und wurde im Fernsehen interviewt. "Ich habe damals viele Freunde verloren", sagt er. Auch ist er seit Jahren Single: "Keiner möchte mit einem Aktivisten zusammen sein, der sich öffentlich geoutet hat."

Angst vor rechtsextremen Gruppen

Wenn er schwierige Momente durchlebe, sagt Stoyanov leise, dann motiviere er sich mit dem Gedanken, dass es in anderen Ländern viel besser sei, Deutschland etwa oder Großbritannien. Er ist sich sicher, dass sich die Situation irgendwann ändern wird: Wenn nicht durch einen Wandel innerhalb der Gesellschaft, dann durch Druck von außen von der Europäischen Union. In Russland wurde zum Entsetzen von Aktivisten und der EU kürzlich "homosexuelle Propaganda" unter Strafe gestellt. So schlimm sei es natürlich in Bulgarien bei weitem nicht, sagt Stoyanov. Trotzdem: Er würde keinem gleichgeschlechtlichen Paar, "auch wenn sie Ausländer sind", empfehlen, Hand in Hand durch Sofia zu schlendern. "Vor allem der Stadtpark ist richtig gefährlich, weil da viele rechtsextreme Gruppierungen sind."

Verfolgungsjagden auf Homosexuelle? Der inofizielle Sprecher einer der beiden Sofioter Fußball-Fanclubs, schüttelt den Kopf. "Wir haben nichts gegen solche Menschen, solange sie das nicht öffentlich machen." Homosexuell, das Wort nimmt der durchtrainierte Mann nicht in den Mund. Das Zimmer in der Wohnung im Zentrum Sofias ist karg und ziemlich leer. Man sei eben gerade erst eingezogen, sagt der Sprecher entschuldigend. In dem Haus werden Journalisten empfangen, "die eben noch keinen Kontakt mit uns gehabt haben." Denn das Vereinshaus vermittle vielleicht den falschen Eindruck "mit seinen Totenköpfen und Fahnen und so."

Römisches Amphitheater in Plovdiv (Foto: Naomi Conrad/DW)
Die Stadt Plovdiv will Europäische Kulturhauptstadt werden - das schafft FreiräumeBild: DW/N. Conrad

Scheinehen und Hormone

Ein falsches Bild möchte der Sprecher auf keinen Fall vermitteln: Nämlich, dass Bulgariens Fußball-Hooligans, die als ziemlich gewalttätig bekannt sind, homophob seien. Es könne natürlich schon sein, dass einzelne Hooligans mal ein wenig handgreiflich gegenüber "solchen, nun ja, Menschen" würden, räumt der Sprecher ein. "Das sind ja alles Individuen, für die wir keine Verantwortung tragen." Dann möchte er lieber über andere Themen sprechen.

Hooligans? Der junge Mann, der sich den Namen Georgi Ivanov gegeben hat, zuckt die Schultern: In Plovdiv sei das Problem gar nicht so groß. Schließlich sei die Universitätsstadt ziemlich liberal und offen. "Klar, in Dörfern ist das ganz anders, da kann es schon gefährlich sein, öffentlich schwul zu sein." Aber in der Stadt, die sich als europäische Kulturhauptstadt bewirbt? Alles nicht so schlimm. "Ich fühle mich wohl in Bulgarien. Ich kann hier doch machen, was ich will."

Später möchte er Kinder haben. "Vielleicht drei, vielleicht mehr", Ivanov lächelt. Vielleicht sei die bulgarische Gesellschaft in ein paar Jahren soweit, dass er mit seinem Freund Kinder adoptieren oder mit Hilfe einer Leihmutter bekommen könne. Und wenn nicht? "Dann gehen wir mit einem lesbischen Paar eine Doppel-Scheinehe ein." Er grinst. Eine Freundin von ihm wolle ihr Geschlecht umwandeln: Das erlaube das bulgarische Gesetz nicht. "Aber sie findet garantiert ein paar Medizinstudenten, die ihr Hormone geben." Er zuckt die Schultern: "Ich sag's dir: In Bulgarien ist alles möglich, solange keiner darüber spricht."

Die Recherche der Autorin in Bulgarien wurde von der Robert-Bosch-Stiftung finanziert.