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Politik

Die Macht des Militärs in Algerien

Kersten Knipp | Emad Hassan
3. April 2019

Bei Bouteflikas Rücktritt spielte das algerische Militär eine entscheidende Rolle. Die Armee beruft sich auf den Volkswillen. Kritiker befürchten, dass sie sich einer demokratischen Erneuerung entgegenstellen könnte.

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Erneut Proteste in Algerien trotz Rücktrittsankündigung
Bild: picture-alliance/dpa/A. Belghoul

Dienstagabend, viertel vor acht: Algerien verabschiedete sich von einer Ära - die Nachricht vom Rücktritt von Präsident Bouteflika geht durch die Medien. Fast 20 Jahre hatte er das Land regiert - lange Zeit mit enormem Selbstbewusstsein. "Ich bin nicht gekommen, um mich auf einen Sessel zu setzen, sondern um eine Aufgabe zu erfüllen", hatte er einige Wochen nach seinem Amtsantritt erklärt. Doch das galt allenfalls für die erste Phase seiner Herrschaft - so etwa, als er im September 1999 eine "Zivile Übereinkunft" organisierte, die einen Schlussstrich unter den Bürgerkrieg ziehen sollte, ein Strich, der nach Meinung seiner Kritiker vor allem kosmetische Wirkung hatte. Immerhin ebbte die Gewalt in den folgenden Jahren immer weiter ab.

Zum Schluss aber ließ seine politische Wirkung nach. Seit Jahren hatte er sich der Öffentlichkeit nicht mehr gezeigt und auch keine Ansprachen mehr gehalten. Nicht einmal zum Abschluss seiner Amtszeit richtete er das Wort an die algerische Bevölkerung. Von der politischen Bühne ging er ebenso still, wie er zuletzt dort ausgeharrt hatte.

Die Ohnmacht des Präsidenten

Mehr als ein Ausharren war es zuletzt nicht, eher eine Flucht in eine Trutzburg, die ihn schließlich nicht mehr schützen konnte. Sein Rückzug gehe auf den Druck des Militärs zurück, sagt Ahmed Azimi, Sprecher der Oppositionspartei "Vorhut der Freiheit", im Gespräch mit der Deutsche Welle. Tatsächlich hatte Generalstabschef Ahmed Gaid Salah den Rücktritt des Präsidenten zumindest beschleunigt, als er in der vergangenen Woche vorschlug, Bouteflika aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig zu erklären. Wäre dies geschehen, hätte Bouteflika abgesetzt werden müssen. 

Abdelaziz Bouteflika, Präsident Algerien
Der Präsident und der General: Abdelaziz Bouteflika (l.) und Ahmed Gaid Salah (r.)Bild: picture-alliance/K. Mohamed

Die Armee, sagt Ahmed Azimi, habe nicht aus reinem Machtwillen gehandelt. "Der Armeechef hat einzig auf die Forderungen der Bevölkerung reagiert. Seit Wochen sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen und haben Bouteflika zum Rücktritt aufgefordert. Alle wussten, dass er das Land de facto nicht mehr regiert." An seiner Stelle hätte seine politische Umgebung die Geschicke Algeriens geleitet, ohne dafür legitimiert zu sein. Das hätten die Algerier nicht länger hinnehmen wollen.

Omnipräsentes Militär

Mit Bouteflikas Rücktritt, heißt es in der Internet-Zeitung "Tout sur L'Algérie", gehe auch eine spezifische Ästhetik der Macht zu Ende, die noch aus den Zeiten des Staatsgründer Houari Boumediène stamme. In seinen öffentlichen Ansprachen habe Bouteflika den legendären Präsidenten imitiert. Wie Boumediène setzte auch er sich im Auto nicht hinter seinen Fahrer, sondern neben ihn. Auch habe er bei seinen öffentlichen Auftritten immer dunkle Kleidung getragen, um sich auf diese Weise ein hartes Image zu geben. Die Zeit des harten und unumschränkten Herrschers dürfte in Algerien nun zu Ende gehen, sagt Ahmed Azimi.

Gleichwohl beunruhigt politische Analysten der Umstand, dass Bouteflikas Amtszeit unter dem Druck des Militärs zu Ende ging. Das Militär sei im gesamten Staat präsent, schreibt der algerische Soziologe Lahouari Addi, Autor mehrerer Bücher zum gesellschaftlichen Wandels in dem nordafrikanischen Land. "Es infiltriert alle staatlichen Institutionen, um sicherzustellen, dass Beamte die ungeschriebene Herrschaft des algerischen politischen Systems nicht in Frage stellen. Die Armee ist die einzige Machtquelle." Ebenso habe sie die Oppositionsparteien infiltriert, um sie von innen her zu schwächen.

Die Macht des Militärs

Die Macht des Militärs ist über lange Jahre gewachsen. Seitdem sie 1988 die Parlamentswahlen - aus ihnen ging die fundamentalistische "Islamische Heilsfront" als stärkste Kraft hervor - für ungültig erklärte, lenke die Armee die Geschicke des Landes. "Formal erklärt sie sich zwar nicht zur Quelle der politischen Macht", schreibt Lahouari Addi. " Aber jeder weiß, dass sie es ist, die den Präsidenten ernennt."

Algerien Algier - Zerstörung nach Protesten 1988
Auftakt zu dunklen Zeiten: Algier nach den Protesten gegen die Annullierung der Wahlen 1988Bild: Getty Images/AFP/Str

Darum bedeute der Umstand, dass das Militär Bouteflika zum Rücktritt gedrängt habe, nicht zwangsläufig, dass die Probleme des Landes, allen voran die schwache Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit, nun gelöst würden. Im Gegenteil: Das Militär habe die Privilegien der politischen Klasse über Jahre geduldet - auch die des Bouteflika-Clans. Unter der Herrschaft dieses Clans habe sich der Machtmissbrauch vergrößert. "Er ließ eine gefräßige und Beute machende Geldbourgeoisie entstehen, die sich aus den öffentlichen Geldern bediente und den Kindern der Generäle Zugang zum nationalen Importgeschäft verschaffte."

Demonstration gegen die Regierung in Algier
"Das Volk entscheidet": Demonstration nach dem Rücktritt Bouteflikas in Agier, 2. April 2019Bild: AFP/Getty Images/R. Kramdi

"Wir akzeptieren nichts als saubere Wahlen"

Eben darum komme es jetzt unbedingt darauf an, einen politisch sauberen Übergang zu organisieren, so der Oppositionspolitiker Ahmed Azimi im DW-Gespräch. "Alle an der Protestbewegung beteiligten Gruppen haben sich darauf geeinigt, nichts anderes als saubere und faire Wahlen zu akzeptieren. Niemand soll sie beeinflussen können, weder die nationale Verwaltung noch das nationale Militär."

Das Militär, so Lahouari Addi, habe es in den vergangenen Jahren systematisch darauf angelegt, die Bevölkerung zu entpolitisieren. Den Demonstrationen der vergangenen Wochen nach zu urteilen, ist ihm das nicht gelungen. Die Algerier, die ihre politischen Hoffnungen während der vergangenen Jahrzehnte so oft enttäuscht sahen, setzen einmal mehr auf eine gedeihliche Zukunft - offenbar fest entschlossen, sie dieses Mal auch umzusetzen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika