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Der Krieg im Gaza-Streifen geht weiter

Andreas Gorzewski15. August 2015

Als Israels Armee 2005 den Gaza-Streifen räumte, hofften viele auf Frieden. Zehn Jahre später betrachten viele Israelis den Abzug als Fehler. Zudem ist völkerrechtlich umstritten, ob die Besatzung wirklich beendet ist.

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Israelische Sicherheitskräfte tragen am 17.08.2005 jüdische Siedler aus Neve Dekalim im GazaStreifen weg (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Hollander

Vor zehn Jahren gingen bewegende Bilder von israelischen Soldaten um die Welt: Israels Armee zerrte jüdische Siedler aus ihren Häusern im Gaza-Streifen (Artikelbild). Am 15. August 2005 begann die israelischen Streitkräfte, ihre Posten und 21 Siedlungen im Gaza-Streifen zu räumen.

Der Rückzug sollte Frieden bringen. Israels damaliger Ministerpräsident Ariel Scharon versprach, das Land werde sicherer, wenn die Israelis aus dem 1967 besetzten Küstenstreifen abrückten.

Damals flogen aus dem Gaza-Streifen immer wieder Raketen auf Orte in Israel. Außerdem wollte die Regierung in Jerusalem dem wachsenden internationalen Druck für eine Verhandlungslösung im Nahost-Konflikt mit einer eigenen Initiative begegnen.

Premier Scharon hatte den Abzugsplan gegen erheblichen Widerstand in der eigenen Likud-Partei durchgedrückt. Zehntausende protestieren seinerzeit empört gegen das Vorhaben.

Granaten und Luftangriffe

9000 Israelis mussten schließlich ihre Siedlungen verlassen. Die Armee zerstörte einen Großteil der geräumten Gebäude. Die Regierung in Jerusalem versprach dafür umfassende Entschädigungen.

Zwar sind die Israelis weg aus dem Landstrich am Mittelmeer. Doch Granaten und Raketen radikaler Palästinensergruppen schlagen weiterhin in israelischen Orten ein. Die israelische Armee fliegt ihrerseits Luftangriffe.

Bereits vier Mal seit 2005 eskalierte der Dauerkonflikt zum Krieg. 2014 starben mehr als 2000 Palästinenser und 73 Israelis. Tausende Häuser und große Teile der Infrastruktur im Gaza-Streifen sind nach dem israelischen Bombardement zerstört. Obwohl Israel die Grenzen stark kontrolliert, gelingt es der dort herrschenden Hamas-Organisation, ihre Waffenarsenale ausbauen. Mittlerweile können Raketen der Hamas sogar Tel Aviv erreichen.

Palästinenser reißen a, 12.09.2005 die Synagoge des geräumten Ortes Netzarim ab. (Foto: dpa)
In Netzarim zerstören Palästinenser die Synagoge, die die israelische Armee stehen gelassen hatteBild: picture-alliance/dpa

Hong Kong im Nahen Osten

In Israel ist mittlerweile die Einschätzung verbreitet, dass der Abzug damals ein Fehler war. Der heutige Premier Benjamin Netanjahu, der 2005 aus Protest gegen den Scharon-Plan von seinem Posten als Finanzminister zurückgetreten war, hat dies mehrfach betont.

Auch Oppositionsführer Isaac Herzog betonte, der Abzug sei "zweifelsohne ein Fehler" gewesen. "Wir lagen falsch mit unserer Annahme, dass Gaza nach dem Abzug das Hong Kong des Nahen Ostens werden könnte", räumte Herzog ein.

Nach einer Umfrage des Begin-Sadat-Zentrums für Strategische Studien halten 63 Prozent die damalige Entscheidung für falsch. Shmuel Even, Forscher am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, erklärt in einem Bericht zum Rückzug und dessen Folgen: "Die Kluft zwischen den Hoffnungen und den Resultaten ist breit." Auch Even sieht in der damaligen Räumungsaktion die Gründe für viele Probleme: "Das trug zur Hamas-Machtübernahme im Gaza-Streifen bei, zu einem deutlich Anstieg des Waffenschmuggels, zu einer Zunahme des Terrors und folglich zur Spirale der Gewalt."

Auch die knapp 1,8 Millionen Palästinenser in dem Gebiet, das nicht viel größer ist als das Bundesland Bremen, haben keinen Grund zur Freude über die Entwicklung. Ihr Alltag ist von Armut, Arbeitslosigkeit und häufigen Gefechten zwischen Palästinensergruppen und israelischer Armee geprägt.

Ein vom Bomben getroffenes Gebäude in Gaza-Stadt. (Foto: DW)
Die Spuren des Krieges sind im Gaza-Streifen allgegenwärtigBild: DW/M. Frykberg

Israel behält Kontrolle

Zehn Jahre nach der Räumung der Siedlungen ist außerdem umstritten, ob die israelische Besatzung damit tatsächlich endete. In der "Washington Post" sagte Anwalt Radschi Surani vom Palästinensischen Zentrum für Menschenrechte in Gaza-Stadt, dass die Besatzung definitiv andauere. Dabei kann er sich auf die Einschätzung der Vereinten Nationen berufen.

Grund dafür ist, dass Israel weiter die effektive Kontrolle über wesentliche Lebensbereiche hat, weil es unter anderem die Zugänge regelt. Israel schränkt den Waren- und Personenverkehr massiv ein. Am einzigen Grenzübergang nach Ägypten sah es lange nicht viel besser für die Palästinenser aus, weil auch die Regierung in Kairo gegen die Hamas ist. Der frühere Kommandeur der israelischen Division im Gaza-Streifen, Israel Ziv, meinte dagegen in der "Washington Post": "Natürlich hält Israel den Gaza-Streifen nicht mehr besetzt, jedenfalls nicht mehr als die Ägypter."

Als Scharon damals Siedler wie Soldaten hinter die israelische Grenze holte, handelte Israel im Alleingang. Es gab keine Vereinbarung mit der palästinensischen Autonomiebehörde. Ob alles anders gekommen wäre, wenn Abzug und Machtübergabe damals als gemeinsame Initiative präsentiert worden wären, ist Spekulation.

Die andauernde Gewalt überschattet jedoch alle Überlegungen über eine mögliche Räumung von Siedlungen auch im Westjordanland. Laut Sicherheitsexperte Even macht eine Rückgabe von besetztem Gebiet nur als Folge einer politischen Vereinbarung Sinn. Wenn es einmal dazu kommen sollte, empfiehlt der pensionierte Armee-Oberst Even, die Siedlungen intakt zu übergeben und nicht wie im Gaza-Streifen zu zerstören.