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Der "Kroos-Deal" - Amateure verdienen mit

Melanie Last aus Greifswald
12. Oktober 2016

Wenn Fußballprofis ins Ausland wechseln, profitiert davon auch ihr Jugendverein. Oft geht es um erhebliche Summen - wie ein Beispiel aus Greifswald zeigt, wo der heutige Real-Madrid-Star Toni Kroos einst spielte.

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Fußball - Toni Kroos
Bild: JAVIER SORIANO/AFP/Getty Images

Schäbig und uralt ist die Baracke. Auf Stelzen steht sie. Die Fenster sind vergittert. Es ist das Vereinshaus des Greifswalder FC im maroden Philipp-Müller-Stadion. Kaputte Tore, ein unebenes, löchriges Spielfeld, die Zuschauertribünen ein Relikt aus DDR-Zeiten.

Hier hat Toni Kroos als kleiner Junge Fußball gespielt. Bis zu seinem 13. Lebensjahr war er beim damaligen Greifswalder SC. Ein Glücksfall für den heutigen Rechtsnachfolger Greifswalder FC. Denn das FIFA Regelwerk besagt zum Transfer von Fußballern: "Wird ein Spieler vor Ablauf seines Vertrages transferiert, erhalten alle Vereine, die zu seinem Training und seiner Ausbildung beigetragen haben, einen Teil der Entschädigung [...]."

Im Fall des Weltmeisters Toni Kroos ist das ein Solidaritätsbeitrag von über 64.000 Euro für seinen Entdeckerverein im äußersten Nordosten Deutschlands. Der Verbandsligist musste Real Madrid allerdings erst eine Mahnung senden. Er drohte sogar mit einer Klage, weil der spanische Rekordmeister und elfmalige Champions-League-Sieger nicht zahlen wollte. Real zweifelte die Rechtsnachfolge des Vereins an. Erst nachdem der GFC alle Beweise geliefert hatte, floss auch das Geld.

Über einen ähnlichen Geldsegen können sich jedes Jahr zahlreiche Amateur-Vereine freuen. Letztes prominentes Beispiel in Deutschland: Der Kreisoberligist SV Rotenburg bekommt rund 200.000 Euro nach dem Transfer von Shkodran Mustafi. Der Nationalspieler wechselte im Sommer für 41 Millionen Euro vom FC Valencia zum FC Arsenal.

Amateurvereine profitieren

Der Solidaritätsbeitrag ist lebenslang fällig. Das heißt: Immer dann, wenn Mustafi oder Kroos ablösepflichtig zu einem ausländischen Verein wechseln, kassieren Rotenburg und Greifswald mit. Vorausgesetzt sie stellen eine entsprechende Rechnung an die Profiklubs. Insgesamt umfasst der Solidaritätsbeitrag fünf Prozent der Transfersumme. Und diese fünf Prozent werden weiter aufgeteilt. So bekommt ein Verein, der einen Fußballer im Alter von zwölf bis 15 Jahren ausgebildet hat, pro Lebensjahr 0,25 Prozent. Im Alter von 16 bis 23 Jahren sind es pro Lebensjahr 0,5 Prozent.

Deutschland Training Nationalmannschaft Fußball in Hamburg
Bei Transfers von Shkodran Mustafi (l.) profitiert der SV Rotenburg, bei Mesut Özil (r.) Rot-Weiss EssenBild: picture-alliance/Augenklick/M. Gilliar

"Im Großen und Ganzen wird dieser Solidaritätsmechanismus immer umgesetzt", so ein Sprecher des Deutschen Fußballbundes (DFB) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Allerdings seien allein dem DFB einige Fälle bekannt, in denen Rechnungen offen bleiben. Hier gehe es insgesamt um Millionenbeträge.

Weltweit liegt die Zahl im Dunkeln. Auch was die sogenannte Ausbildungsentschädigung kleiner Vereine betrifft. Die ist ebenfalls durch die FIFA geregelt. Sie wird dann fällig, wenn ein Spieler das erste Mal überhaupt international ins Profigeschäft wechselt. Damit werden besonders finanzschwache Vereine zum Beispiel in Afrika und Südamerika geschützt. Denn diese Ausbildungsentschädigung schiebt einen Riegel davor, dass ausländische Profivereine Fußballtalente einfach wegkaufen.

Streitfall SV Wilhelmshaven

Um solch eine Ausbildungsentschädigung geht es auch beim SV Wilhelmshaven. Seit Jahren macht der Verein Schlagzeilen. Dem Bezirksligisten liegen noch immer Forderungen über 157.500 Euro zweier argentinischener Klubs auf dem Tisch. 2007 hatte der damalige Regionalligist den Argentinier Sergio Sagarzazu verpflichtet. Es war Sagarzazus erster Profivertrag. Wilhelmshaven will in der Höhe bis heute nicht zahlen und forderte Argentinien auf, realitische Kosten in Rechnung zu stellen. Dabei beruft sich der norddeutsche Verein auf Urteile des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts. Beide bezeichnen die Ausbildungsentschädigung als verfassungswidrig.

Deutschland Fußballverein SV Wilhelmshaven
Beim SV Wilhelmshaven führte ein Streit über die Ausbildungsentschädigung zum ZwangsabstiegBild: Imago/Picture Point

Die FIFA allerdings hält weiter an ihrem Reglement fest. Vor vier Jahren demonstrierte sie ihre Macht und schickte den SVW in die Sechstklassigkeit, in die Landesliga. Wilhelmshaven stieg sportlich weiter in die zweite Bezirksliga ab und kämpft von dort noch immer gegen die FIFA und den DFB. Zuletzt mit einem Teilerfolg vor dem Bundesgerichtshof. Der entschied im September, dass der Zwangsabstieg des SVW rechtswidrig war. Um die Ausbildungsentschädigung, dem eigentlichen Grund für den gesamten Rechtsstreits, ging es in dem Prozess jedoch nicht.

Investitionen dank FIFA-Reglement

Dem Greifswalder FC blieb im Fall "Toni Kroos" eine Klage gegen Real Madrid erspart. Die letzte Rate des Solidaritätsbeitrages hat Real im September überwiesen. Ein Teil der insgesamt rund 64.000 Euro ist bereits in die neue Ausstattung der Mannschaften geflossen - ein Posten von etwa 50.000 Euro. "Ohne das Kroos-Geld wäre das nicht möglich gewesen", sagt GFC-Vorstandsmitglied Heiko Jaap.

Der Amateurverein hat auch in die Trainerausbildung investiert. "Auch, um in diesem Jahr endlich den Sprung von der Verbandsliga in die Oberliga zu schaffen. Da muss die Jugendarbeit einfach besser werden. Und dafür brauchen wir gute Trainer." Eine Investition geknüpft an hohe Ambitionen. Denn der GFC hofft nicht nur auf ein neues großes Talent, wie einst Toni Kroos. Er hat auch angekündigt, mittelfristig in die Regionalliga aufsteigen zu wollen.

Die größte Investition der Vereinsgeschichte steht unterdessen noch an. Das Philipp-Müller-Stadion soll endlich saniert werden. Allen voran das "peinliche Vereinshaus", wie Heiko Jaap es nennt. Auch hier wird das Kroos-Geld helfen. Einen Förderantrag über eine halbe Million Euro hat der GFC bereits gestellt. Der Eigenanteil beträgt dank der Restsumme aus dem "Kroos-Deal" 50.000 Euro.