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Der Kult um die kleinen Monster

Janis Vougioukas28. Mai 2007

Der Sommer hat gerade erst angefangen. Doch mit dem warmen Wetter beginnt in Schanghai noch eine andere, viel wichtigere Zeit! Jedes Jahr fallen dann Millionen, Milliarden kleinwüchsige Ungeheuer über die Stadt her.

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Xiaolongxia heißen die Tiere mit hartem Panzer und kräftigen Greifarmen auf Chinesisch: Flusskrebse. Eigentlich beginnt die Saison erst im Herbst. Doch weil die Schanghaier es aus Vorfreude kaum aushalten, bilden sich bereits mit dem Sommeranfang lange Schlangen vor den Restaurants, die es irgendwie schaffen, die Tiere schon früher anzubieten. Die Menschen stehen bis weit nach Mitternacht an, um die kleinen Monster zu verspeisen.

Wirkliche Kenner besuchen Flusskrebsrestaurants, die nichts anderes anbieten als die Flusskrebse ohne Beilage, wahlweise feuerscharf, mittelscharf oder leichtscharf. Die Tierchen werden in großen Schalen serviert, die Gäste bekommen Müllschüsseln auf den Tisch gestellt, Plastikhandschuhe und manchmal sogar Ganzkörperschürzen; es geht hier ausschließlich um das Essen. Die ganze Stadt ist süchtig danach.

Hässliche Tiere …

Flusskrebse sind dicke, käferartige Meerestiere, sie haben wulstige kurze Beine, die verkrümmt unter ihrem Körper hängen. Der Oberkörper ist mit einer Panzerkruste bedeckt, am Kopf rudern antennenartige Fühler und ganz vorne aus dem Körper wachsen zwei Scherenhände. Es sind sehr hässliche Tiere.

Wenn man Flusskrebse essen will, muss man den mit Daumen und Zeigefinger auf die Panzerung drücken bis es knackt. Dann bricht man den Oberkörper ab, den manche sogar aussaugen. Mit dem Daumen knibbelt man den Schale vom Fleisch, die Fingerspitzen dringen durch das Fleisch, das weich und knorpelartig elastisch ist.

Im Sommer hängen in den Flughäfen Schilder, die es verbieten, Flusskrebse im Gepäck zu verstecken. Und jedes Jahr suchen die Medien nach dem Suchtfaktor. Dann treten im Fernsehen Experten auf und warnen: Die Restaurants waschen die Krebse in Waschmaschinen - abhängig macht eigentlich das Waschmittel. Den Schanghaiern ist das egal.

… aber lecker!

Die Legende sagt, vor tausenden Jahren befiel plötzlich ein fremdes Ungeziefer die sumpfigen Felder um Schanghai. Die Bauen fürchteten sich und verrammelten sich in ihren Häusern. Nur ein mutiger Landmann traute sich eines Tages, eine Schüssel kochendes Wasser über die Eindringlinge zu kippen. Da verfärbte sich die Kruste golden-rot. Der Bauer wurde neugierig. Er zerbrach den Panzer und probierte. Es war das Beste, was er je gegessen hatte.

Das machen nur die Chinesen: Erst besiegen sie fremde Ungeheuer, dann probieren sie ihren Geschmack. Lieber unbekannter Bauer, vielen Dank für deinen Mut! Kellner, noch einen Eimer Krebse! Feuerscharf!