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Der lange Weg zum Profifußballer

Carsten Grün
15. Juni 2019

Juniorennationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bunds haben es schwer bei Turnieren oder schaffen Qualifikationen nicht. Hat Deutschland ein Nachwuchsproblem? Eine Spurensuche an der Basis und bei den Profis.

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Fußball Nachwuchs DFB
Bild: DW/C. Grün

Abdul Raman Ali ist nervös. Zum ersten Mal ist er zum Lehrgang des Fußballverbands Rheinland (FVR) in Koblenz eingeladen. Der 13-Jährige aus Somalia darf mit rund 40 anderen Spielern des Jahrgangs 2006 aus dem Verbandsgebiet vor Auswahltrainer Kai Timm vorspielen. Zwei Tage, vier Spiele von jeweils zweimal zwanzig Minuten.

Ali ist mit seiner Mutter aus Somalia geflohen. Eines Tages tauchte er beim SV Untermosel auf, einem kleinen Club im rheinland-pfälzischen Winningen, und wollte mitspielen - sehr zur Freude der Vereinstrainer, die schnell sein Talent erkannten. Nun ist er hier, sein Ziel: Fußball-Profi.

Allen Spielern beim Lehrgang ist eines gemein: Sie spielen in kleinen Vereinen. Das liegt an der Struktur des FVR. "Wir sind der einzige Verband, der über kein Nachwuchsleistungszentrum verfügt", sagt Kai Timm, Stützpunktkoordinator beim DFB. Deutschlandweit gibt es 55 Nachwuchsleistungszentren (NLZ).

Vom Dorfverein zum Profifußball

Wenngleich im Gebiet des Fußballverbands Rheinland kein NLZ besteht, wird auch hier professionell gearbeitet. Immer wieder kommen Scouts von Bundesligaklubs und beobachten die Spieler in Koblenz. DFB-Trainer Timm sieht das kritisch: "Natürlich ist es klar, dass sich die Vereine die Spieler holen. Aber ich fände es gut, wenn die Klubs bei den DFB-Stützpunkttrainern der Fußball-Verbände einfach mal fragen würden: 'Wie ist der Junge denn so?' Wir kennen sie jahrelang und haben sie begleitet."

Fußball Nachwuchs DFB
DFB-Trainer Kai TimmBild: DW/C. Grün

Der 51-jährige Sportwissenschaftler hat ein Faible für das Entwickeln junger Menschen. Dennoch weiß er, dass der Weg ins Profigeschäft den meisten verwehrt bleibt. Weniger als zwei Prozent schaffen es.

Grundsätzlich schaut sich Timm Spieler mehrfach an: "Oft sind sie bei den Sichtungen zu nervös oder haben einen schlechten Tag. Das ist viel zu früh, um Leute auszusortieren." Ein Nachwuchsproblem im deutschen Fußball sieht er nicht: "Wir haben Talente ohne Ende, aber wir haben zu wenige Trainer, die das erkennen und fördern. Wenn die Jungen zu mir kommen, will ich sie aus den taktischen Vorgaben der Vereine lösen. Ich sage ihnen: Spielt Fußball, das macht ihr gerne! Die Trainer fordere ich auf, sich bei den Sichtungsspielen zurückzuhalten."

Der zweite und dritte Weg

Zudem verfolgt Timm einen interessanten Ansatz. "Es ist nachgewiesenermaßen so, dass in den Junioren-Nationalmannschaften des DFB von der U15 bis zur U18 fast ausschließlich Spieler aus den Geburtsmonaten Januar bis Juni spielen. Die anderen fallen hinten rüber. Das heißt aber nicht, dass die nicht spielen können. Nur sind sie körperlich zu diesem Zeitpunkt unterlegen. Um sie dennoch mit einzubeziehen, kommen die eingeladenen Spieler gleichmäßig aus beiden Jahreshälften."

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Kai Timm mit den Teilnehmern des Sichtungsturniers in KoblenzBild: DW/C. Grün

Bei dem jetzigen Sichtungsturnier macht der Trainer klare Vorgaben. "Ich will wieder mehr das Eins-gegen-Eins-Spiel fördern. Das ist verloren gegangen. Deswegen wird bei dem Testturnier auch nur mit zwei Abwehrspielern gespielt. Das soll mehr Chancen ermöglichen." Das sieht man rund 250 Kilometer weiter nördlich ähnlich.

"Dann wird alles schnell hinterfragt"

Ortswechsel nach Gelsenkirchen, in die Knappenschmiede von Schalke 04. Offensichtlich können die Verantwortlichen hier Talente entwickeln. Fast wie am Fließband haben die Schalker in den vergangenen Jahren Topspieler hervor gebracht - und transferiert. Manuel Neuer, Sead Kolasinac, Thilo Kehrer und Leroy Sané zählen dazu.

DFB Fußball Nachwuchs
Matthias Schober, zuständig für den Schalke-NachwuchsBild: DW/C. Grün

Das Nachwuchsleistungszentrum der Schalker leitet Mathias Schober, früherer Torwart und UEFA-Cup-Sieger 1997 mit den Knappen. Er sieht durchaus einige Schwierigkeiten bei der Talententwicklung. "Wir haben vielleicht kein Nachwuchsproblem, aber wir entwickeln nicht mehr solche Spielertypen und Individualisten, wie in der Vergangenheit. Das liegt vielleicht am System", sagt Schober. "Manchmal hat man den Eindruck, es wird weniger an der individuellen Förderung gearbeitet und mehr Wert darauf gelegt, in der Tabelle gut dazustehen."

Das will Schalke jetzt ändern: Gezieltes Positionstraining bereichert den Trainingsplan. So steht zum Beispiel für die Stürmer mit dem ehemaligen Torschützenkönig der Bundesliga, Martin Max, ein Trainer bereit, der seine Stärken und Erfahrungen an den Nachwuchs weitergeben soll.

Manuel Neuer war zu klein

Schober weiß auch, dass nicht alles vorhersehbar ist. "Leroy Sané ist erst in der U19 explodiert. Bei Manuel Neuer hat man in der U15 überlegt, ihn abzugeben, weil er zu klein war."

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Die Stars der Zukunft?Bild: DW/C. Grün

Zurück in Koblenz. DFB-Trainer Kai Timm hat die Qual der Wahl. Für die nächste Runde muss er rund 50 Spieler zusammenziehen. Sie bilden die Grundlage für die letzten 16, die in die Verbandsauswahl kommen. Auf die Frage ob er, der im Jahr 2005 immerhin mit Robin Dutt Jahrgangsbester beim DFB-Lehrgang war (ein Jahrgang übrigens, in dem auch Jürgen Klopp saß), immer im Jugendbereich arbeiten wolle, antwortet Timm: "Ich mache das hier wirklich gern. Das ist eine schöne Arbeit in einem wirklich gut organisierten Fußballverband. Aber klar, wenn ein Profiverein aus dem In- oder Ausland oder ein Nationalteam mich ansprechen sollte, müsste ich überlegen."

Bis dahin kümmert sich Timm weiter um seine jungen Talente - und die warten, wie Abdul Raman Ali, auf einen Brief des Verbandstrainers. Dann wären sie beim nächsten Auswahltraining dabei.