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Der mühsame Aufbruch aus der Eiszeit

Alois Berger26. November 2013

Der Iran wird sein Atomprogramm für sechs Monate auf Eis legen. Im Gegenzug wollen die USA und Europa die Sanktionen vorübergehend lockern. Doch was bedeutet das für die iranische Bevölkerung?

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Alltag in Teheran (Foto: Imago)
Bild: imago/Xinhua

Zur Feier des Tages gab es Süßigkeiten. Die iranischen Mitarbeiter der Deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran hatten eine ganze Kiste davon mitgebracht, um den Erfolg der Verhandlungen in Genf zu feiern. "Das war ein sehr erhebender Moment für uns", erzählt der Geschäftsführer der Handelskammer, Daniel Bernbeck. Die Erleichterung sei überall in Teheran zu spüren: "Ich glaube, dem überwiegenden Teil der Bevölkerung ist ein Gebirge von der Seele gefallen."

Dass die vereinbarte Lockerung der Wirtschaftssanktionen bereits in den nächsten Wochen oder Monaten zu spürbaren Veränderungen im Leben der Iraner führen könnten, das kann sich Bernbeck allerdings nicht vorstellen. Zum einen werde es noch dauern, bis die Genfer Übereinkunft in Washington und in Brüssel in konkrete Entscheidungen gegossen wird. Zum anderen sind die Beschlüsse von Genf noch mit vielen Fragezeichen versehen. So soll die Lockerung der Sanktionen nur in kleinen Schritten passieren, immer abhängig davon, ob der Iran sich auch an die Abmachungen hält und sein Atomprogramm stufenweise zurückfährt.

Iran darf wieder Öl und Gas verkaufen

Einer der ersten Schritte dürfte die zeitweise Aufhebung des Embargos für wichtige Ersatzteile sein, damit iranische Airlines ihre Maschinen wieder flott bekommen und Industriebetriebe defekte Anlagen wieder nutzen können. Außerdem soll die Regierung 400 Millionen US-Dollar von ihren derzeit gesperrten Auslandskonten abheben und für iranische Studenten im Ausland ausgeben können. Das Wichtigste dürfte für die iranische Regierung aber sein, dass sie in engen Grenzen wieder Öl, Gas und Gold verkaufen darf, um an Dollar und Euros zu kommen. Das Geld braucht der Iran, um für die Wirtschaft wichtige Importgüter zu bekommen. Im ersten Halbjahr 2014 darf der Iran, wenn er sich an die Bedingungen hält, für vier Milliarden US-Dollar Öl- und Gas verkaufen. Diese Erleichterung könne nur der Anfang sein, sagt Daniel Bernbeck: "Vor den Sanktionen hatte der Iran mehr als 100 Milliarden US-Dollar Erlöse aus den Öl- und Gas-Exporten, wenn jetzt vier Milliarden für sechs Monate freigegeben werden, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein."

Das Bankensystem liegt am Boden

Allerdings bleibt der größte Teil der Auslandskonten von Iranern eingefroren. Auch die Banken werden nicht so schnell wieder normale Geschäfte über die Grenzen hinweg machen können. Für die Mittelschicht des Landes, für die Geschäftsleute, für den gesamten Handel ist diese Bankenblockade das größte Hindernis auf dem Weg zur Normalität. Geschäfte mit dem Ausland können praktisch nur als Tauschgeschäfte gemacht werden: Reis gegen Öl, kleine Maschinen gegen große Mengen Alteisen, Haushaltswaren gegen Baumwollstoffe. "Das ist nicht nur schwerfällig", meint Bernbeck, "das ist auch kostspielig". Denn solche Geschäfte seien nur mit speziellen Händlern möglich ist: "Und jeder dieser Händler möchte sein Scherflein davon haben."

An diesem Teil der iranischen Misere wird sich so schnell nichts ändern. Die Bankenblockade wird vorerst weitgehend bestehen bleiben. Darüber soll in den nächsten Monaten weiter verhandelt werden zwischen den USA und Europa auf der einen Seite und der iranischen Führung auf der anderen. "Das ist ein Geben und Nehmen", sagt der Orientologe und frühere Botschafter im Iran, Bernd Erbel: "Der Westen hat jetzt 100 Punkte an Forderungen und die Iraner haben 100 Punkte bei den Sanktionen, die sie aufgehoben sehen wollen." Jetzt gehe es darum, "einigermaßen im Gleichschritt zu einer Reduzierung der Sanktionen und zur Erfüllung der Forderung" zu kommen.

Iraner betrachten die Zeitungen, die über den Genfer Deal berichten (Photo: ATTA KENARE/AFP/Getty Images)
Iraner betrachten die Zeitungen, die über den Genfer Deal berichtenBild: ATTA KENARE/AFP/Getty Images

Der Knoten ist geplatzt

Der erfahrene Nahostexperte ist überzeugt, dass in Genf nicht nur ein Anfang gemacht wurde. Da sei ein Knoten geplatzt, glaubt Erbel. Nach 34 Jahren eisiger Sprachlosigkeit zwischen den USA und dem Iran sei es schwierig gewesen, so etwas wie ein Grundvertrauen wieder herzustellen. 34 Jahre lang sei es immer nur in eine Richtung gegangen. 34 Jahre lang habe sich das Misstrauen gegenseitig hochgeschaukelt. "Jetzt geht es das erste Mal in eine andere Richtung", meint der frühere Iran-Botschafter. "Die Abwärtsspirale wurde gestoppt und in eine Aufwärtsspirale umgewandelt." Endlich hätten die Menschen im Iran wieder eine Perspektive, eine Hoffnung auf ein Ende der Sanktionen.

Wie groß das Vertrauen der iranischen Geschäftswelt in einen Wandel in den Beziehungen zum Westen ist, zeigt sich auch im Kurs der iranischen Währung. In den vergangenen 16 Monaten hat der Rial gut 300 Prozent seines Wertes gegenüber dem US-Dollar und dem Euro verloren. Waren aus dem Ausland sind für viele Menschen unerschwinglich geworden. Seit Sonntag (24.11.2013) steigt der Rial wieder. Jeden Tag ein bisschen. Und mit ihm die Erwartungen.

Der Sieg der Hoffnung

Noch gibt es in Teheran viele, die dem Westen nicht trauen und die Vereinbarung von Genf für einen Fehler halten. Nicht nur im iranischen Parlament gibt es skeptische Stimmen, auch in der Regierung und in der geistlichen Führung wollen nicht alle die alten Feindbilder so schnell über Bord werfen. "Die Hardliner werden versuchen, innenpolitische Härte zu zeigen", meint der iranische Politologe Sadegh Zibakalam.

Doch in der Bevölkerung deutet die Stimmung auf einen Aufbruch hin. "Der ist nicht mehr so einfach rückgängig zu machen", glaubt der Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammer in Teheran, Daniel Bernbeck. "Das ist ein qualitativer Sprung gegenüber der Eiszeit davor." Die Menschen im Iran hätten den Konfronationskurs der Regierung "gründlich satt", meint auch der Politologe Zibakalam. Dem werde sich langfristig auch die iranische Führung beugen müssen: "Der Iran wird sich dem Westen gegenüber mehr öffnen, und die westliche Welt wird einen gemäßigteren Iran kennenlernen."