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"Der Mangel an Dringlichkeit ist rücksichtslos"

Zusammengestellt v. Aladdin Sarhan/Lisa Hemmerich 26. Juli 2006

Wie kommentiert die internationale Presse den Nahost-Konflikt? DW-WORLD.DE bietet einen täglichen Überblick.

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Israelische Pressestimmen

Bei "Ynetnews", der englischsprachigen Website der Yedioth Group, schreibt Moshe Elad, Forscher des Technion-Instituts in Haifa:

"Die Hisbollah geht weder wie eine Guerillagruppe vor, wenn sie Zivilisten angreift, noch ist sie eine rein terroristische Organisation, die sich aus einer nicht-ständigen Armee zusammensetzt. Die Hisbollah erfand einen neuen Begriff: die Terroruerilla. Das ist eine neue Art schiitischer, fanatischer, Terror-Guerilla, die von staatlicher Seite unterstützt wird und unkonventionelle militärische Mittel einsetzt. (...) Bis vor ein paar Tagen genoss Nasrallah das Ansehen der Terroruerilla, aber heute ähnelt dies der Glorifizierung des legendären Kriminellen Al Capone. Er genoss auch die Unterstützung aus den Straßen Chicagos, bis die Zahl unschuldiger Opfer stieg und sein Ansehen sank. Das gleiche gilt für den Libanon. Das Ausmaß der Zerstörung im Zusammenhang mit der Auslöschung von Hisbollahmilizen und die internationale Unterstützung Israels bewirken eine kritische Einstellung der Masse gegenüber Nasrallah und seiner Organisation."

Arabische Pressestimmen


Die in London erscheinende transarabische Zeitung "Al-Hayat" zieht eine Zwischenbilanz des Kriegs:

"Von Tag zu Tag wird es immer deutlicher, dass Israel keinen Sieg in seinem Krieg gegen den Libanon erreichen wird. Zwei Wochen nach Beginn der militärischen Auseinandersetzungen gibt es keinerlei Anzeichen für die Verwirklichung der erklärten israelischen Ziele. Denn die Führungsstruktur Hisbollahs wurde bisher weder zerstört noch geschädigt. Wahrscheinlich wird der Krieg nicht mit der Niederlage Hisbollahs enden. Und noch wahrscheinlicher ist, dass diese Milizen auch keinen Sieg gegen Israel erreichen werden. Obwohl Hisbollah bisher einen erfolgreichen Widerstand gegen die israelischen Angriffe geleistet hat, konnte die israelische Armee dem libanesischen Widerstand und jedem anderen Widerstand eine wichtige Botschaft übermittelt, nämlich dass ein Krieg gegen Israel mit großem Risiko verbunden ist. (…) Auch wenn Hisbollah im Auftrag Syriens und Irans einen 'Stellvertreterkrieg' gegen Israel führen würde, um von den Verdächtigungen gegen Syrien in Bezug auf die Ermordung des libanesischen Premiers Al-Hariri und von dem iranischen Atomprogramm abzulinken, rechtfertigt dies nicht den umfassenden Krieg, den Israel gegen den Libanon führt, bei dem hunderte von Zivilisten ums Leben gekommen sind."

Abd Al-Bari Atwan, Chefredakteur der panarabisch-nationalistisch orientierten Zeitung "Al-Quds Al-Arabi" kritisiert in seinem Kommentar die USA:

"Der Besuch der US-Außenministerin Rice im Nahen Osten sollte die Region auf die Geburt eines 'Neuen Nahen Osten' vorbereiten, aber das Aussehen dieses 'Neugeborenen' widerspricht den Wünschen Israels und des Weißen Hauses. Die Außenpolitik der US-Administration erweist sich immer noch als sprunghaft und weitgehend lernunfähig, denn die Amerikaner sind fest dazu entschlossen, die israelischen Positionen weiter zu übernehmen. Vor einem Jahr sprachen die US-Politiker von einem 'Großen Nahen und Mittleren Osten', der Unterstützung der bereit angelegten Reformen in der arabischen Welt sowie dem Schutz der Freiheit und Menschenrechte in dieser Krisenregion. Nun wird das Wort 'groß' durch das Wort 'neu' ersetzt, sowie den 'Krieg gegen Fundamentalismus' durch den 'Krieg gegen den Terror'. Aufgrund dieses wechselhaften Kurses hat die US-Administration den 'Alten' Nahen Osten verloren und wird mit Sicherheit den 'Neuen' genauso verlieren."

Europäische Pressestimmen

Die Pariser Zeitung "La Croix" schreibt zur internationalen Libanonkonferenz in Rom:

"Die internationale Libanonkonferenz, die heute in Rom beginnt, hat eine wichtige Aufgabe. Der Waffenstillstand und die Schaffung einer internationalen Friedensgruppe, über die diskutiert wird, haben zunächst das Ziel, Leben zu retten - alle jene Leben, die einer Fortsetzung des bewaffneten Konflikts zum Opfer fallen würden. Doch es wird auch darum gehen, die planmäßige Zerstörung eines kosmopolitischen Landes und einer Gesellschaft mit vielen Religionen zu verhindern - die kollektive Strafe, die einem Volk auferlegt wird, weil einige seiner Mitglieder, moslemische Extremisten, die Sicherheit Israels bedrohen. Es geht nicht zunächst um wirtschaftliche Interessen, sondern um politische. Das Prinzip des 'Auge um Auge, Zahn um Zahn', das Elend und die Trümmer sind ein idealer Nährboden für Rache. Für diese schreckliche Spirale der Gewalt im Nahen Osten."

Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" schreibt am Mittwoch zum Nahost-Konflikt und zur Konferenz in Rom:

"Wenn eine gleichgültige internationale Gemeinschaft Israel mit der Hisbollah allein ließe, dann wäre dies eine Ermutigung für jede extremistische Formation in der Region, und die Hamas-Bewegung würde immer unzugänglicher werden. In Israel werden derzeit die Stimmen der Vernunft zu Gunsten derjenigen zum Schweigen gebracht, die meinen, dass Gewalt die einzige Sprache ist, die im Nahen Osten verstanden wird. (...)

Wenn die Konferenz in Rom sich in die Richtung bewegt, die Gewalt der Hisbollah zu besiegen, Autonomie und Demokratie im Libanon zu stärken, einschließlich Unterstützung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, und mit Israel, mit dem man Frieden und Sicherheit will, einen Dialog zu beginnen, dann kann die Ewige Stadt sich mit neuer Ehre schmücken."

Die "Neue Zürcher Zeitung" hört neben den kriegerischen Auseinandersetzungen in Nahost hektischen Lärm um eine Truppe für Libanon und schreibt:

"Erstaunt hört man den Chefdiplomaten der EU, Solana, sagen, eine EU-Truppe könnte leicht zusammengestellt werden, weil mehrere Mitgliedstaaten schon ihre Bereitschaft dazu erklärt hätten. Augenreibend nimmt man auch den deutschen Verteidigungsminister Jung zur Kenntnis, der bereits laut darüber nachdenkt, dass ein deutsches Truppenkontingent unter bestimmten Umständen in die Levante geschickt werden könnte, wo doch das vergleichsweise harmlose Engagement bei der europäischen Hilfstruppe im Kongo, das in wenigen Tagen offiziell beginnt, schon derart hohe Wellen in der deutschen Politik schlug. Im Lärm des lauten Nachdenkens geht unter, dass von jenen Westmächten, die zum Führen einer Friedenstruppe in Libanon in der Lage wären, keine konkreten Zusagen kamen."

Zur Nahost-Konferenz in Rom schreibt die römische Zeitung "La Republica":

"Es gibt viele, die die Idee, eine multinationale Truppe zu Israelis und Hisbollah zu entsenden, genial, großzügig und mutig finden. Aber wie viele sind bereit, ihre eigenen Soldaten in das Gebiet zu schicken, vor allem jetzt, nach der Tötung von vier UN-Beobachtern im Südlibanon. Und welche Nationalität müssten Soldaten überhaupt haben, um von der Regierung in Jerusalem akzeptiert zu werden? Verteidigungsminister Amir Perez hat bereits die NATO als Möglichkeit angedeutet. Aber die NATO - falls sie wegen ihrer zahlreichen bereits laufenden Einsätze von Ex-Jugoslawien bis Afghanistan überhaupt die nötigen Mittel zur Verfügung hat – hat einen zu amerikanischen Stempel für die Hisbollah. Regierungschef Ehud Olmert hat von Europäern und Arabern als möglicher Truppe gesprochen, während Außenministerin Tzipi Livni klüger war und erstmal ganz vage geblieben ist. In Jerusalem, wie auch in Rom, können Minister der gleichen Regierung eben Ideen haben, die nicht notwendigerweise die gleichen sind."

Zur Nahostkrise schreibt die "Financial Times":

"Es ist kein Wunder, dass Nuri al-Maliki, der bedrängte irakische Ministerpräsident, der sich gestern mit US-Präsident Bush traf, so stark auf einen Waffenstillstand im Libanon drängte. Ebenso ist das mit dem König Abdullah von Saudi Arabien, einem weiteren Verbündeten der USA, der trotz seiner Furcht vor dem von Iran angeführten Radikalismus warnte, dass es 'keine andere Option, als einen Krieg' geben werde, wenn Israel nicht seine Angriffe gegen Libanon und die Palästinenser einstellt. Die USA und ihre Freunde müssen mit allen Parteien in der Region sprechen. Das schließt Syrien und den Iran ein. Zum Teil auf diese Weise konnte Washington 1996 den letzten vergleichbaren Ausbruch von Kämpfen beenden. Der jetzige Mangel an Dringlichkeit ist rücksichtslos."