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Interview

Das Interview führte Birgit Adolf28. November 2006

Beate Winkler ist Direktorin der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. DW-WORLD.DE hat mit der Europa-Expertin über den wachsenden Rassismus in der Europäischen Union gesprochen.

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Beate Winkler, Direktorin des Europäischen Zentrums zur Beobachtung von Rasismus und Fremdenfeindlichkeit
Beate Winkler: 'Migration ist eines der ältesten Phänomene der Menschheit'Bild: picture-alliance / dpa

DW-WORLD.DE: Am Montag (27.11.2006) haben Sie vor dem EU-Parlament den Jahresbericht Ihrer Organisation vorgestellt. In welche Richtung ging die Entwicklung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Europa im letzten Jahr?

Beate Winkler: Ich würde Ihnen an dieser Stelle sehr gerne klare und präzise Daten für alle 25 Mitgliedsländer liefern. Leider können wir das trotz unserer Arbeit nicht, und zwar, weil wir bei der Erfassung der Daten auch auf die Zusammenarbeit und die Daten der Mitgliedsstaaten angewiesen sind. Es gibt - das muss man sich einmal vorstellen - innerhalb der Europäischen Union nur zwei Länder, die über ein sehr gutes und effizientes Datenerfassungssystem verfügen, und das sind Großbritannien und Finnland. Zwei von fünfundzwanzig! Fünf Länder dagegen haben überhaupt keine Datenerfassungssysteme, was in den Statistiken zu absurden Ergebnissen führen kann, wie wir in früheren Berichten nachweisen konnten. Das erste Ergebnis unseres Jahresberichtes ist also, dass das wahre Ausmaß und Wesen von rassistisch motivierten Gewalt- und Straftaten noch immer schwer zu erfassen ist, da es häufig unzureichend dokumentiert und somit vernachlässigt wird. Trotzdem konnten wir Trends feststellen. Diese zeigen, dass rassistische Gewalt in den europäischen Mitgliedstaaten in den letzten Jahren gestiegen ist, und zwar in der Mehrzahl jener Länder, in denen es gute Datenerfassungssysteme gibt. Allerdings könnte dieser statistische Anstieg zum Teil auch auf bessere Datenerfassung zurückzuführen sein.

In Jahresbericht wird ein Überblick über die fünf Kernbereiche rassistisch motivierte Gewalt- und Straftaten, Beschäftigung, Bildung, Wohnungswesen und Rechtsvorschriften gegeben. Wie sehen die Ergebnisse im Einzelnen aus?

Geht man in die einzelnen Bereiche, zum Beispiel Arbeitsmarkt, ist nach wie vor festzustellen, dass Migranten überdurchschnittlich oft mit dem Problem der Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, selbst wenn sie den gleichen Qualifikationshintergrund wie Einheimische vorweisen können. Weiterhin gibt es schlechtere Voraussetzungen im Bildungsbereich, wo beispielsweise die Roma-Kinder besonders betroffen sind. Diese haben eine wesentlich höhere schulische Abbrecherquote als andere Kinder, und, was uns besonders beunruhigt, sie werden zu fast 70 Prozent in Sonderschulen oder Spezialklassen abgeschoben. Auch im Wohnbereich ist die Situation alarmierend: Wir konnten nachweisen, dass Migranten in den ärmeren und sozial gefährdeteren Wohngebieten leben.

Gibt es denn auch positive Tendenzen?

Ja, neben dem bisher gezeichneten negativen Bild gibt es auch viele positive Entwicklungen. Der gesamte Bereich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat mittlerweile eine ganz andere politische Dimension. Die Regierungen nehmen dieses Phänomen inzwischen wesentlich ernster. Es gibt zum Beispiel nationale Aktionspläne oder auch die Anti-Diskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union. Wobei man zu Letzteren sagen muss, dass diese noch längst nicht in allen Mitgliedsländern voll umgesetzt worden sind. Hier muss noch ganz entschieden dran gearbeitet werden.

In welchen EU-Ländern gibt es besonders akute Probleme?

Es gibt keine Rassismus-Hitliste, genauso wenig, wie es das rassistischste Land innerhalb der Europäischen Union gibt. Das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit lässt sich in allen EU-Ländern feststellen. Ein großes Problem ist, dass das Thema Zuwanderung viel zu stark unter einem negativen Gesichtspunkt gesehen wird. Selbst unsere eigene Organisation weist mit ihrem Namen sicherlich keine positive Perspektive auf. Aber darum geht es: Wie gehen wir konstruktiv mit kultureller, ethnischer und religiöser Vielfalt um? Denn das ist die Zukunft von Europa! Insbesondere in einer Welt, die immer enger rückt durch die Globalisierung.

Mit welchen Maßnahmen kann man wo ansetzen?

Zunächst einmal muss die politische Führung eines Landes ganz klare Zeichen setzen, auch im Bereich der nationalen Gesetzgebung. In unserem letzten Bericht haben wir nachweisen können, dass Rassismus dann zurückgeht, wenn klar ist, dass solch ein Verhalten gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Zweitens muss dringend im Bereich der Bildung etwas getan werden. Wir wissen, dass die am besten gebildeten Gruppen die geringsten Vorurteile haben, da sie am ehesten in der Lage sind, diese zu überprüfen. Und drittens ist es eine Frage der medialen Berichterstattung. Die Medien haben eine mächtige Wirkung, da dieser gesamte Bereich zutiefst von Emotionen beeinflusst wird. Die Medien erzeugen die Bilder, und die Bilder sind wichtiger und einflussreicher als die Worte. Die Bilder können faszinierend sein im positiven Sinne, sie können aber auch bedrohlich sein und eine negative Wirkung haben. Hier wäre es wünschenswert, dass die Medien auch die positiven Perspektiven von Migration aufzeigen.

Was ist die Rolle und Aufgabe Ihrer Organisation in diesem Prozess?

Wir sind ein Frühwarnsystem für den Bereich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Und gleichzeitig sind wir ein Kompetenzzentrum für den Umgang mit kultureller Verschiedenheit. Wir identifizieren und analysieren die Probleme, die in diesem Zusammenhang auftauchen, wir entwickeln Strategien zu ihrer Bewältigung und wir präsentieren diese den Organisationen und Institutionen der EU, die sie aktiv umsetzen können, das heißt dem EU-Parlament, der EU-Kommission, dem Europäischen Rat sowie den EU-Migliedsstaaten und nicht zuletzt den Medien. Wir sind diejenigen, die mit einer ganz spezifischen Überzeugungskraft andere dafür gewinnen, sich dieser Themen anzunehmen.

Welches Anliegen ist Ihnen zurzeit am wichtigsten?

Entscheidend ist, dass wir wirklich einen Perspektivenwechsel vornehmen, weg von den Bedrohungsszenarien hin zu den Chancen, die eine multikulturelle Gesellschaft hat und immer gehabt hat. Denn Migration ist eines der ältesten Phänomene der Menschheit und ist bisher auch immer bewältigt worden. Der Mensch hat ja bekanntlich Beine und keine Wurzeln. Er ist ein Nomade, der immer umherziehen wird.

Dr. Beate Winkler, geboren 1949 in Dresden, ist seit 1998 Direktorin der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien.