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Kunst

"Der montierte Mensch" - im Spiegel der Kunst

9. November 2019

Was verbindet, was trennt Mensch und Maschine? Und welche Antworten liefern die Künstler? Wie weit geht die Verschmelzung von Mensch und Maschine? Das Essener Museum Folkwang bietet einen kunsthistorischen Überblick.

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Technikbild von Roy Lichtenstein
Bild: Estate of Roy Lichtenstein/Rheinisches Bildarchiv, rba_d039366

In einer riesigen Werkshalle scharen sich Arbeiter um einen Schmelztiegel. Als einzige Lichtquelle erhellt der rotglühende Stahl ihre Gesichter. Der badische Maler Heinrich Kley (1863-1945) hielt die Szene 1909 in einem stimmungsvollen Gemälde fest. Daneben zeigt ein Bild des Amerikaners Trevor Paglen, das ein Computer mit künstlicher Intelligenz erzeugt hat, einen verschwommenen Menschenkopf mit blutunterlaufenen Augen.

Zwischen beiden Werken liegen 100 Jahre technischer Fortschritt. Zeit genug, nachzudenken über das Verhältnis von Mensch und Maschine. Mit 200 Arbeiten von 100 Künstlerinnen und Künstlern – Malerei und Skulptur ebenso wie Grafik, Installationen und Filme - schlägt die Essener Schau bis zum 15. März 2020 eine Brücke von den Anfängen des Maschinenzeitalters bis zu den Unwägbarkeiten des Digitalen - mit überdenkenswerten Aussagen.

Wie steht der Mensch zur Maschine? Das Verhältnis war und ist ein ambivalentes: Mal verspricht Technik ein besseres Leben. Dann wieder weicht die Zukunftshoffnung einer Angst vor Kontrollverlust, gepaart mit der Sorge, der Mensch könne durch die von ihm geschaffene Maschine ersetzt werden.

Die Maschine gibt den Takt vor

Verheißung also und Bedrohung – beides treibt die Künstler um: "Ich möchte Zusammenhänge aufzeigen und den persönlichen Blick schärfen", sagt auch Kuratorin Anna Fricke zur Idee ihrer Ausstellung. Den Titel hat sie einem Buch des Konstanzer Kulturwissenschaftlers Bernd Stiegler entlehnt.

Umberto Boccionis Bronzeguss eines Schreitenden
Boccionis Bronzeguss eines SchreitendenBild: Privatsammlung

Spätestens mit der industriellen Revolution schlägt die Geburtsstunde des "montierten Menschen", wie Stiegler schreibt. Der Takt der Maschinen wird zum Rhythmus des Menschen, der Mensch zur Arbeitsmaschine. Fotografische Dokumente aus dem Historischen Archiv Krupp zeugen, wie schon Kleys Industrieszenen, von der nachhaltigen Bedeutung dieses Wandels.

Der Ausstellungsparcour beginnt mit Arbeiten von Giacomo Balla, Marcel Duchamp, El Lissitzky und Fernand Léger. Umberto Boccionis Maschinenfigur von 1913 schreitet forsch in die Zukunft; als Futurist begrüßte er die technologischen Entwicklungen und das Tempo seiner Zeit. Auch Léger zeigt den Arbeiter 1920 als stolze, souveräne Figur.

Ungleich kritischer sehen andere Künstler die Mensch-Maschine-Beziehung. Wie etwa Otto Dix, der mit seinem Gemälde "Der Krieg" die Schrecken des Ersten Weltkrieges illustriert: Der Mensch geht zwischen Kriegsgerät völlig unter. George Grosz und John Heartfield schaffen mit ihrer satirischen Assemblage "Wildgewordener Spießer Heartfield" eine zur nummerierten Puppe degradierte Kreatur – mit Holzbein, zur Pistole verkümmertem Arm und einer Glühbirne als Kopf. Wo bleibt da der Mensch?

Ironisch-witzig: Tinguelys Maschinen 

Diese Frage treibt viele Künstler des letzten Jahrhunderts um, unter den Nationalsozialisten wie im Kommunismus Stalins. Hier wie dort ist es hier der Staat, der zur Megamaschine wird, und der Einzelne zum Teil eines großen technoiden Räderwerks.

Kriege bringen  gesellschaftliche Umbrüche und Technikschübe – und inspirieren Künstler bei ihrer Suche nach neuen Ausdrucksformen: Der Schweizer Jean Tinguely (1925-1991) etwa setzt nach dem Zweiten Weltkrieg der Zweckgerichtetheit des Maschinellen seine verspielten, rostenden und ratternden Maschinenskulpturen entgegen. Das lässt noch heute schmunzeln.

Fernand Léger Le Mécanicien, 1920
Fernand Léger: Le Mécanicien von 1920Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2019 Foto: NGC

Fortschrittsglaube, Kriegstechnologie oder Künstliche Intelligenz - in diesem Spektrum rangiert die Essener Schau, aufgeteilt 24 Themenräume: "Der konstruierte Mensch", "Fabrikmensch", " Kybernetische Systeme", "Einsen und Nullen". Was die meisten Arbeiten verbindet: In ihnen spiegelt sich die Janusköpfigkeit des Technischen.

Spannend auch diese Frage: Waum ist der Maschinenmann eigentlich zumeist männlich? Künstlerinnen der 1960er und 1970er Jahren zielen mit ihren Arbeiten darauf ab. Kiki Kogelnik etwa zeigt den weiblichen Körper als Produkt. Lynn Hershman Leeson und Helen Chadwick verbinden den weiblichen Körper mit Alltagsgeräten und kritisieren so die zwangsläufige Verbindung von Mann und Maschine.

Zeitgenössische Positionen von Trevor Paglen, Tony Oursler oder Avery Singer fragen schließlich nach den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters. So baut Oursler computeranimierte Gesichter. Von Paglen trainierte Künstliche Intelligenz (KI) erschafft eigene Bilder. Aber kann denn KI kreativ sein? Auch so eine Frage. Für Peter Gorschlüter, den Direktor des Museum Folkwang, gibt es "für den Weg in die digitale Gesellschaft noch keine Bilder". Vorher braucht es noch viel Reflexion.