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Musik

Tagebuch aus Bayreuth: Teil 2

Rick Fulker28. Juli 2013

Die Route 66 beim "Rheingold" führt zur "Walküre" nach Baku. Auf der Bühne sieht Rick Fulker eine antiquierte Ölförderanlage und Protagonisten, die nicht zu tun haben - außer großartig zu singen.

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Rick Fulker Foto DW/Per Henriksen
Bild: DW

Der Wettermann hat sein Versprechen eingehalten. Es ist wirklich heißer geworden: 38 Grad, gefühlte 45. Am Festspielhügel sind wieder Bäume gefällt worden. Links unterhalb des Festspielhauses, vor der Büste von Cosima Wagner, waren früher Gehwege und ein Blumenbeet. Jetzt ist der Platz geräumt und mit Kies bedeckt. Schade eigentlich: Etwas vom alten Charme ist verloren gegangen.

Medienrummel, Auffahrt, Stars, Politiker und Staatsempfang: All das ist mittlerweile eine Ewigkeit (zwei Tage) her. Die paar Promis, die geblieben sind, mischen sich unauffällig unter die Wagnerianer. Flanierende Gäste und improvisierte Picknicks: Die Stimmung ist heiter und entspannt.

"Die Walküre" - der "erste Tag" des "Ring"-Zyklus: Ein hölzerner Ölförderturm steht auf der Bühne. Baku, 19. Jahrhundert: die frühen Tage der Ölförderung. Schwarz-weiß projizierte Fotos und Videostrecken verdeutlichen Szene und Aktion dezent und unaufdringlich.

Augen zu und durch

Johan Botha als Siegmund Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath.
Unübertroffen: Johan Botha als SiegmundBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrat

Am Vortag hatte Regisseur Frank Castorf "Das Rheingold" als Lustspiel mit vielen Gags inszeniert. Wie wird er nun mit den großen Momenten, den statischen Erzählstrecken und der Tragödie vom Weltuntergang umgehen? Vorläufig heißt die Antwort: gar nicht. Castorf verlässt sich bei seinen Figuren zum großen Teil auf das Improvisationstalent seiner Künstler. Bei Sängern ist dieses Talent unterschiedlich ausgeprägt. Das Ergebnis: über große Strecken reines Rampentheater. Der Regisseur geht nicht besonders auf die Story ein.

Im ersten Akt sind Siegmund und Sieglinde gesanglich brillant, können jedoch visuell nicht überzeugen. Die Zwillinge sind rein körperlich so unterschiedlich, dass es fast komisch wirkt. Da muss der Regisseur ran! Aber nicht, indem er dem Sänger Johan Botha eine "Trimm Dich-Kur" verordnet. Ich kann die Bemerkungen über die Körperfülle des südafrikanischen Tenors sowieso nicht mehr hören. Für mich ist er als Siegmund einfach der Größte.

Castorfs Stärke sind Szenenaufbau und Videostrecken. Der Kampf zwischen dem Helden Siegmund und seinem Gegner Hunding im zweiten Akt findet versteckt im Ölförderturm statt. Figuren und Ablauf sind nur auf dem projizierten Bild zu verfolgen. Hier ist das Video keine Ergänzung, sondern die Hauptsache. Eigentlich interessant.

Und die Musik

Christian Thielemann, früher "Ring"-Dirigent in Bayreuth, gilt als Meister des "erzählenden" Orchesters. Er verdeutlicht den gedanklichen Inhalt der Partie. Der jetzige "Ring"-Dirigent Kirill Petrenko beherrscht diese Kunst ebenfalls, bringt aber mehr Gefühl ein. Petrenko liebt und respektiert seine Solisten, nimmt den Klang aus dem Graben teilweise auf Kammermusikniveau zurück. Wotans Erzählung im zweiten Akt ist so delikat, dass der Bassist Wolfgang Koch fast nur zu flüstern braucht. Ich weiß nicht, wann ich das je schöner und bewegender gehört habe. 

Eine antiquierte Ölförderplattform auf der Bühne Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath.
Bei Regisseur Frank Castorf mutiert der altehrwürdige Hundingsaal zur ÖlförderplattformBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrat

Petrenko kann aber auch einen großen Sound erzeugen, der fast die Schmerzensgrenze erreicht. Nuance und Drama seiner musikalischen Deutung machen den legendären "Thielemann-Ring" vergessen. Für Catherine Foster, die Brünnhilde dieser Produktion, mischen sich nach dem zweiten Akt ein paar Buhrufe ein. Wenn auch ihr erstes "Hojotohoh!" leicht daneben gerät und sie sich darauf etwas zurücknimmt, triumphiert sie dann doch im dritten Akt.

Wie war das eigentlich früher?

Von etwas anderem mag ich nicht gar nichts mehr hören: von der Krise des Wagnergesangs. Etwa dass Physiognomie und die Stimmbänder der Sänger und Sängerinnen irgendwie anders seien als vor einem halben Jahrhundert. Das ist völliger Unsinn. Historische Aufnahmen beweisen, dass es auch damals viel Mittelmaß gab. Manierismen wie der berühmte "Bayreuth bark", die bellende und keifende Deklamation (anstatt Gesang), gehören Gott sei Dank längst der Vergangenheit an.

Wotan + Fricka Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath.
Gott Wotan und Fricka im EhestreitBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrat

Eigentlich ist das Gesangsniveau bei den Bayreuther Festspielen in den letzten 25 Jahren, in denen ich dabei war, deutlich gestiegen. Zweitrangige Sänger treten in der Ära Eva Wagner-Pasquier (die Co-Festspielleiterin ist in erster Linie für die Besetzung zuständig) nicht mehr auf. Gutes Niveau und ein paar Sternstunden: Was kann man im Wagnerjahr mehr von den Festspielen erwarten?

Ich freue mich schon auf die Tonaufnahme und auf die Produktion der Radioübertragungen des "Petrenko-Ring". Die DW-Produktion wird im September in den USA ausgestrahlt.