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Folgen des Organ-Skandals

Marco Müller5. August 2012

In Deutschland werden Organe strikt nach medizinischen Kriterien zugeteilt - so zumindest sollte es sein. Ein Organspende-Skandal hat aber gezeigt, dass das derzeitige System nicht perfekt ist.

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Kühlbox für Spenderorgane vor einer Zeichnung die einen Chirurgen zeigt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ein deutscher Arzt hat offenbar Gott gespielt und entschieden, dass seine Patienten - obwohl weniger krank als andere - bei der Organvergabe bevorzugt wurden und damit eine Chance auf Leben bekamen. Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob dadurch andere Patienten sterben mussten.

Deutschland ist ein hochindustrialisiertes Land, in dem alles klar geregelt ist. Menschen - egal ob reich, arm, berühmt oder unbekannt - sollten immer gleichbehandelt werden, wenn es um die Zuteilung von Spenderorganen geht. Deshalb ist der Transplantations-Skandal jetzt ein Schock. Jeden Tag melden sich Politiker, Ärzte und Gesundheitsexperten zu Wort und erklären, dass das derzeitige System so nicht mehr funktioniert.

Der Arzt und die Liste

Wenn in Deutschland jemand ein Organ benötigt, dann tragen die behandelnden Ärzte alle Befunde zusammen und übermitteln sie an die Stiftung Eurotransplant in den Niederlanden, die für die Vermittlung der Organe zuständig ist. Dort wird anhand der Befunde eine Warteliste erstellt. Wer ganz dringend ein Organ braucht, steht weiter oben als jemand, bei dem es noch nicht so akut ist. Eurotransplant erstellt die Warteliste zentral für Deutschland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien und Kroatien. Die behandelnden Ärzte haben damit keinen Einfluss, wann ihre Patienten an der Reihe sind - eigentlich.

Denn die zentrale Figur in diesem Skandal hat Einfluss genommen. Der ehemalige Oberarzt am Universitäts-Klinikum Regensburg soll zwischen 2004 und 2006 die Daten von mehr als 20 seiner Patienten gefälscht haben, damit sie auf der Warteliste für Lebertransplantationen höher eingestuft wurden. 2005 soll er verbotenerweise sogar jordanische Patienten auf die Warteliste für europäische Patienten gesetzt haben. Eine Leber soll gar in Jordanien transplantiert worden sein. Damals hatte die Staatsanwaltschaft ermittelt. Letztendlich wurde aber entschieden, dass das Verhalten des Arztes nicht strafbar war, sondern möglicherweise nur eine Ordnungswidrigkeit darstellte. Die Klinik hat ihre Richtlinien daraufhin gestrafft.

2008 wechselte der Oberarzt an das Universitäts-Klinikum Göttingen, wo er ebenfalls die Daten von mehr als 20 Patienten gefälscht haben soll. Mittlerweile wurde er vom Dienst suspendiert. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Die Untersuchungen erstrecken sich aber auch auf mögliche Mittäter, denn dass außer dem Oberarzt niemand von den Manipulationen wusste, erscheint unwahrscheinlich.

Jeden Tag Tote durch Organmangel

In Deutschland herrscht Organmangel. 12.000 Menschen warten derzeit auf ein Spenderorgan, im vergangenen Jahr gab es aber nur 4000 Transplantationen. "Es sterben pro Tag in Deutschland drei Menschen auf der Warteliste, weil nicht rechtzeitig ein Organ zur Verfügung steht", erklärt Professor Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die DSO organisiert den Ablauf von der Registrierung eines möglichen Spenders über die Weitergabe der Daten an Eurotransplant bis zur Übergabe des Organs an das Transplantationszentrum.

In dem aktuellen Skandal geht es um Lebertransplantationen. Günter Kirste erklärt wie die Anmeldung bei Eurotransplant für dieses Organ abläuft: "Ein Arzt von einem Transplantationszentrum meldet seinen Patienten an und gibt bestimmte Laborwerte dazu. Diese Laborwerte werden zusammengefasst und darauf ein Score berechnet." Je höher dieser Wert, desto weiter oben landet der Patient auf der Warteliste. Ist dieses System zu leicht zu manipulieren?

Professor Jan Gummert ist Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen, dem größten Herztransplantationszentrum Europas. Er sieht dieses System kritisch: "Soweit ich weiß ist das so, dass bei der Leber letztendlich nur wenige Laborwerte eine besondere Rolle spielen um die Dringlichkeit auf der Warteliste festzulegen und das ist natürlich sehr viel einfacher wahrscheinlich zu manipulieren."

Vom Herzen lernen?

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 350 Herzen transplantiert, davon rund 80 im Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen. Wenn es dort darum geht, wie dringlich eine Herztransplantation für einen Patienten ist, dann setzen sich in der Klinik - wie auch in anderen Herz-Transplantationszentren - mindestens vier Ärzte zusammen. Professor Jan Gummert erklärt im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass viele Laborwerte erhoben werden, eine Herz-Ultraschall-Untersuchung sowie eine Katheter-Untersuchung durchgeführt und dann alle Ergebnisse zusammengetragen werden. Schließlich kontrolliere der Oberarzt noch einmal alles. "Bei uns müssten dann mindestens fünf Ärzte Daten manipulieren, um so etwas machen zu können. Und da denke ich, ist die Kontrolle doch recht gut, dass das nicht passiert", sagt der Herzspezialist.

Das ist allerdings nicht überall so. Selbst das Vier-Augen-Prinzip scheint sich noch nicht überall durchgesetzt zu haben. Günter Kirste von der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist deshalb skeptisch, wenn es um mehr Kontrolle durch beteiligte Ärzte geht: "Ich glaube, das von einigen jetzt geforderte Vier-Augen-Prinzip hilft wenig, denn vier Augen waren eben in Göttingen offensichtlich auch beteiligt." Er glaubt stattdessen, "dass man jemanden hinzuziehen muss, der unabhängig ist von der Transplantationsmedizin, und dieser Kollege, ein Fachmann natürlich, muss das zusätzlich bestätigen."

Auch Herzspezialist Jan Gummert ist für eine unabhängige Instanz, die zumindest durch Stichproben überprüft, ob alle Daten auch stimmen. Diese unabhängige Instanz könne die Ständige Kommission Organtransplantation sein. Sie ist bei der Bundesärztekammer angesiedelt und prüft derzeit, wenn ein Verdacht gemeldet wird. Selber mit eigenen Prüfern in Transplantationszentren gehen darf sie bisher nicht.

Langfristige Lösung

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr erwartet nun Vorschläge, "wie künftig Manipulationen und andere Verstöße besser zu verhindern sind." Am 27. August 2012 sollen Vertreter des Gesundheitswesens und der Transplantationsmedizin dem Minister Rede und Antwort stehen.

Ob aber letztendlich ein nicht manipulierbares System das Ergebnis sein wird, ist fraglich. "Weltweit ist kein System dagegen gefeit, dass einer ganz speziell betrügt.", sagt Günter Kirste von der DSO. "Wenn ich hergehe und falsche Laborwerte in ein Anmeldeformular eintrage wider besseres Wissen - gegen diesen Betrug ist niemand gefeit, nirgendwo weltweit." Die Lösung des Problems liegt denn vermutlich auch ganz woanders.

Wenn ausreichend Organe zur Verfügung stünden, gäbe es keinen Grund mehr für Manipulationen. Jan Gummert vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen weist auf andere europäische Länder hin, bei denen es mehr Organspender gibt. Dort wird es zum Teil so gehandhabt, dass jeder nach seinem Tod als Organspender gilt, es sei denn, er widerspricht. In Deutschland können Toten nur dann Organe entnommen werden, wenn sie das zu Lebzeiten in einem Organspendeausweis eindeutig so angegeben haben. "Dieser Druck, der auf den deutschen Transplanteuren lastet, der mag wohl auch in diesem Einzelfall dazu beigetragen haben, dass ein Arzt sagt: Ich brauche Spenderorgane für meine Patienten," meint Gummert, und hofft trotz des Skandals auf mehr Organspender, zur not durch entsprechende gesetzliche Regelungen. "Wenn sehr viel mehr Spenderorgane zur Verfügung stünden, dann würde kriminellen Machenschaften wahrscheinlich auch der Boden entzogen."

Eine Frau füllt einen Organspendeausweis aus (Foto: dapd)
Zu wenige Deutsche haben einen OrganspendeausweisBild: dapd
Portrait von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) (Foto: dapd)
Bundesgesundheitsminister Bahr will Manipulationen stoppenBild: dapd
Eine Hinweistafel für eine Pressekonferenz steht Universitätsmedizin Göttingen (UMG). (Foto: dpa)
Hinweisschild in der Universitätsklinik GöttingenBild: picture-alliance/dpa
Portrait von Jan Gummert (Foto: DW)
Jan Gummert vom Herz- und Diabeteszentrum NRWBild: DW
Ein Mediziner läuft mit Kühlbehälter, in dem sich ein menschliches Organ befindet, zum Operationssaal. (Foto: DW)
Pro Tag sterben in Deutschland drei Menschen weil sie nicht rechtzeitig ein Organ bekommenBild: DW
Portrait von Günter Kirste (Foto: dpa)
Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO)Bild: picture-alliance/dpa
Eingangsbereich des Klinikums Regensburg (Foto: dapd)
Universitätsklinikum Regensburg: Dort begann der SkandalBild: dapd
Spenderniere (Foto: dpa)
Einem Spender wird eine Niere entnommenBild: picture-alliance/dpa