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Der Preis der Untätigkeit

Loay Mudhoon
8. Juli 2019

Die Europäische Union zeigt sich pragmatisch im Umgang mit arabischen Autokraten. Dieser realpolitische Kurs ist die Folge von Machtverschiebungen in dieser Region. Aufseiten der EU ist sie Folge der eigenen Schwäche.

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Ausreichend Distanz? EU-Ratspräsident Donald Tusk (l.) und Ägyptens Präsident Abdel  
Ausreichend Distanz? EU-Ratspräsident Donald Tusk (l.) und Ägyptens Präsident Abdel  Bild: European Union

Das Gipfeltreffen der EU mit der Arabischen Liga Ende Februar im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich war das erste seiner Art: Europäische Regierungschefs und die gesamte EU-Spitze trafen sich mit arabischen Autokraten, um „den Willen zu engerer Kooperation und Koordination zu bekräftigen“, wie es in der Abschlusserklärung des für manche Beobachter „historischen“ Treffens hieß. 

Doch am Ende blieb nur eine Tatsache „historisch“: dass diese Veranstaltung überhaupt zustande kommen konnte. Denn ihre Beschlüsse fielen so unverbindlich aus, dass sie schon bald in Vergessenheit gerieten; ihre Bedeutung blieb weitgehend symbolisch. 

Und dennoch kam es bei der Abschlusspressekonferenz des Gipfels auf offener Bühne zu einem Eklat beim Thema Menschenrechte – trotz der zur Schau gestellten Harmonie. Vor allem sah sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker genötigt, die Behauptung des ägyptischen Machthabers Abdel Fattah al-Sisi, die Menschenrechtslage in seinem Land sei von niemandem angesprochen worden, energisch zu widersprechen. 

Dass sich die Europäische Union auf dieses Treffen mit unbelehrbaren, korrupten Autokraten und rücksichtlosen Gewaltherrschern, die demokratische Werte und rechtsstaatliche Normen mit Füßen treten, ohne Vorbedingungen einlässt, hat weniger mit der Einsicht in die Notwendigkeit einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen direkten Nachbarn zu tun. Vielmehr hat diese schwierige Übung in Realpolitik mit den eigenen Versäumnissen zu tun – und vor allem mit der Schwäche des Westens insgesamt.
 
Keine gemeinsame Syrienpolitik

Der Gipfel legte offen, wie sich die Machtverhältnisse in den Beziehungen zwischen Europa und seinen arabischen Nachbarn in den vergangenen Jahren verändert haben. Regionale Akteure wie Ägypten und Saudi-Arabien präsentieren sich zunehmend selbstbewusst gegenüber westlichen Staaten, lehnen „Belehrungen“ über Fragen der Demokratie und der Menschenrechte ab und pochen auf bedingungslose Zusammenarbeit, vor allem mit der EU. Freilich fühlen sie sich durch Trumps Allianzpolitik und seine zur Schau gestellte Hinwendung zu autoritären, starken Männern ermutigt. 

Diese für die internationale Ordnung bedeutsame Entwicklung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die wesentliche Machtverschiebung im Nahen und Mittleren Osten nachhaltig zuungunsten der westlichen wie der arabischen Staaten ausgefallen ist. Zu den neuen starken Akteuren in der Region sind nämlich Russland, Iran und die Türkei avanciert. 

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die USA sind kriegsmüde, sie ziehen sich seit ihren verlorenen Kriegen in Afghanistan und Irak aus dem Großraum Mittlerer Osten sukzessive zurück. So profitierte ausgerechnet Iran vom abrupten Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Irak 2011; die Islamische Republik stieg zur tonangebenden Macht im Zweistromland auf. Zuvor hatte die Bush-Administration im Zuge des „Kriegs gegen den Terror“ die „natürlichen“ Feinde Irans militärisch beseitigt: das Taliban-Regime in Afghanistan und das Baath-Regime von Saddam Hussein in Irak. 

Eine verhängnisvolle Strategie

Mit dem Ausbruch und der Verselbstständigung der Gewalt im syrischen Bürgerkrieg wurde schnell klar, dass die westliche Außenpolitik den neuen Realitäten im benachbarten Land nicht gerecht werden kann. Während das Assad-Regime massive Unterstützung von Russland, Iran und den schiitischen Kräften im Libanon und in Irak erhielt, haben die westlichen Mächte keine gemeinsame Syrienpolitik formulieren können. 

Die gespielte Machtlosigkeit des Westens manifestierte sich besonders an der Verwässerung der „Rote-Linie-Doktrin“ durch die Obama-Administration: Statt wie angekündigt militärisch auf den Giftgaseinsatz im Jahr 2013 zu reagieren, ließ sich Obama auf ein Abkommen mit Russland ein, das zwar in eine völkerrechtlich verbindliche Resolution mündete, die Syrien dazu verpflichtet, alle Chemiewaffen zu vernichten. Doch die Umsetzung dieser Resolution ließ sich nicht glaubwürdig kontrollieren. Der Westen verlor durch dieses mangelnde Engagement massiv an Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit im Mittleren Osten. 

Doch das eigentliche Versagen westlicher Mächte liegt darin, dass man sich in Washington und Brüssel sehr früh entschieden hat, nicht militärisch in Syrien zu intervenieren und stattdessen „den Konflikt ausbluten zu lassen“. Eine verhängnisvolle Strategie, die schließlich Russland, Iran und der Türkei freie Hand in Syrien ließ. 

Die Entscheidung des US-amerikanischen Präsidenten, eigene Truppen aus Syrien abzuziehen, ohne Rücksprache mit den Partnern vor Ort und gegen den Rat seiner Berater und Minister, hat viele Alliierte der USA im Nahen Osten – etwa die Kurden – zu Recht aufgeschreckt. Sie dürfte den Einflussverlust westlicher Ordnungspolitik auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten vergrößert haben. 

Für Europa bedeuten der US-Rückzug und die signifikanten Machtverschiebungen, dass die EU eine gemeinsame Politik für die Nachbarregion formulieren muss. Dabei sollte es nicht bei einer Stärkung der eigenen Militärkapazitäten und der Zusammenarbeit mit Autokratien bleiben. Eine umfassende europäische Antwort auf die historischen Transformationsprozesse und die Schwäche der arabischen Staaten liegt angesichts der Herausforderungen von Staatszerfall und Migration im ureigenen Interesse Europas.

Titel Weltzeit 3-2019: „Es gibt keine Unantastbaren“ – DW Freedom of Speech Award für Anabel Hernández
Dieser Beitrag stammt aus dem gedruckten DW-Magazin Weltzeit 3 | 2019 – Im Zeitalter der MachtverschiebungenBild: DW/R. Oberhammer
Loay Mudhoon, DW-Nahost-Experte, Leiter Qantara.de
Loay Mudhoon, DW-Nahost-Experte, Leiter Qantara.de