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Fluss der Romantik

Sabine Oelze31. Juli 2013

Seit 2002 gehört das Obere Mittelrheintal zum UNESCO-Weltkulturerbe. Seine Hochphase hatte der Rhein allerdings bereits 200 Jahre früher - als die Romantiker aus ganz Europa den Strom für sich entdeckten.

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Gemälde von Georg Schneider: Blick vom Niederwald auf Bingen (Foto: Siebengebirgsmuseum)
Georg Schneider, Blick vom Niederwald auf Bingen, um 1800. Öl auf leinwand, 49 x 65 cm. Sammlung RheinRomantikBild: Siebengebirgsmuseum

Ihr Anblick verzauberte ihn. Der englische Dichter Lord Byron war 1816 so verzückt von der Burgruine auf dem Drachenfels, dass er sofort zur Feder griff. Er verfasste die berühmten Verse "The Castled Crag of Drachenfels". Am liebsten wolle er ein Leben lang rasten zu Füßen des turmgekrönten Drachenfelses, schrieb er voller Begeisterung. Mit seinen Versen trat er eine Lawine naturfühliger Poesie los und brachte damit sogar den Rheintourismus in Gang. Heute lässt das Siebengebirgsmuseum im beschaulichen Königswinter bei Bonn die Faszination der Romantiker für Deutschlands berühmtesten Strom wieder lebendig werden. Das Ausstellungshaus steht genau am richtigen Ort: Wer in Königswinter aus dem Zug steigt, erlebt, wie sich Drachenfels und Drachenburg majestätisch vom Himmel abzeichnen.

Die Drachenburg: "ein Zauberbild"

Der kleine Ort am Rhein ist deshalb noch immer ein beliebtes Ausflugsziel, das in jedem Reiseführer Erwähnung findet. Nicht nur Dichter wie Heinrich Heine, Clemens Brentano oder Joseph von Eichendorff kamen in der Region einst vorbei. Auch zahlreiche Maler reisten an, um den Fluss und seine abwechslungsreiche Landschaft zu erkunden und im Bild festzuhalten. "Fasziniert hat die Künstler die Mischung dieser Region", so Museumsdirektor Elmar Scheuren. "Es war einerseits die Szenerie, die sich schön malen ließ, und andererseits die Aktivität der Menschen." Zeugnisse dieser Aktivität sind die Burgen rechts und links des Rheins. Im Mittelalter waren sie als militärische Befestigungen entlang des beliebten Handelsweges gebaut. Doch im Laufe der Jahrhunderte wurden sie funktionslos. Neue Waffentechniken machten sie überflüssig; als Wohnsitz taugten sie nichts. Es sei sogar erstaunlich, dass überhaupt so viele übrig seien, weil einige als Steinbruch genutzt wurden, zum Beispiel für den Bau von Kirchen, so Scheuren. Auch die Steine des Kölner Doms stammen vom Rhein. Bis ins 19. Jahrhundert wurde der Drachit, der graue Stein des Drachenfelses, abgebaut und nach Köln geliefert.

Gemälde von Georg Schneider: Ruine Ehrenfels im Mondschein (Foto: Siebengebirgsmuseum)
Georg Schneider, Ruine Ehrenfels im Mondschein, um 1790. Öl auf leinwand, 49 x 65,8 cm. Sammlung RheinRomantikBild: Siebengebirgsmuseum

Ruinenkult und Nationalgefühl

Für die Romantiker erfüllten die Ruinen entlang des Rheins genau den gewünschten Grad an schauriger Lust, den sie für ihre Kunst benötigten. Natürlich waren sie auch willkommene politische Symbole und Zeichen für ein aufblühendes Nationalgefühl im 19. Jahrhundert. War es auf der einen Seite das Wilde und Unberührte der Natur, was die Künstler begeisterte, so brachten sie auf der anderen Seite auch die Zeichen der Zivilisation und des Fortschritts in ihren Bildern unter. Johannes Jakob Diezler schuf das Gemälde "Niederlahnstein und Kappellen-Stozenfels" (1830). Ein perfektes Idyll. Jedoch nur auf den ersten Blick. Wer genau hinguckt, sieht, dass den Maler nicht nur die schöne Landschaft interessierte. Er zeigt auch die moderne Infrastruktur. Über den Rhein fährt ein Dampfschiff, am Ufer ist der Weinbau zu erkennen, eine Kutsche bringt Reisende zum Fluss. "Die Kulturlandschaft war die Landschaft an sich für sie", erklärt Scheuren.

Gemälde von unbekanntem Maler: Blick auf Rüdesheim (Foto: Siebengebirgsmuseum)
Unbekannt, Blick auf Rüdesheim und den Rhein, um 1820/25. Gouache, 41,5 x 56,5 cm. Sammlung RheinRomantikBild: Siebengebirgsmuseum

Erfindung der Loreley

Die Romantiker hatten viel Fantasie. Sie überhöhten die Landschaft. Und projizierten viel in sie hinein. So ist auch der berühmte Mythos der Loreley entstanden. Vor dem 19. Jahrhundert war die Loreley nicht mehr und nicht weniger als ein Schieferfelsen bei Sankt Goarshausen in der Nähe von Koblenz. Wegen der Untiefen im Fahrwasser war die Passage gefährlich und es ereigneten sich viele Schiffsunglücke. Die Legende von der Nixe, die dort saß, um ihr goldenes Haar zu kämmrn und die Schiffer mit ihrem Gesang in ihren Bann zu schlagen, tauchte erstmals im Jahr 1801 auf. In der Ballade "In Bacharach am Rheine" beschrieb Clemens Brentano eine Zauberin im Dorf Bacherach. Der Felsen spielte zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch keine Rolle. Erst in den 1820er Jahren griff Heinrich Heine die Loreley-Geschichte wieder auf und platzierte die Zauberin aus Bacherach auf den Felsen - und ließ sie sich kämmen. "Damit war der Mythos perfekt", sagt Scheuren. Ähnlich sei es der Sage von Siegfried dem Drachentöter ergangen. "Der Drachenkampf war reine Fiktion. Zum ersten Mal tauchte die Geschichte im 18. Jahrhundert auf. Die Diskussion lief ein paar Jahre, dann wurde daraus eine Legende, die bis heute wirkt".

Landschaft der Erinnerung

Was nicht da war, wurde kurzerhand dazu erfunden. Die Rheinansichten des Schweizer Malers Ludwig Bleueler belegen den Widerspruch zwischen Traum und Wirklichkeit. Eine Ansicht von Mainz zeigt einen Park mit Spaziergängern, durch die eine Lokomotive fährt. "Die linksrheinische Eisenbahnlinie war damals erst in Planung. Als sie eröffnet wurde, war Bleueler schon drei Jahre lang tot", erklärt Scheuren. Die fortschreitende Technisierung verändert nicht nur das Bild vom Rhein. Am Ende der 1820er Jahre strömten Tausende von Touristen in die Region. Die exklusive Bildproduktion weicht dem Massenkonsum. Die Dampfschifffahrt trägt dazu bei, dass Reisen erschwinglich wird. Sogar Angehörige des englischen Königshauses - nicht zuletzt angezogen durch die Verse ihres Nationaldichters Lord Byron - besuchten den viel gepriesenen Fluss. Die Popularität des Rheins erreichte Ende des 19. Jahrhunderts in der Kunst ihren Höhepunkt. Im 20. Jahrhundert lösten Fernreisen das Urlauben am Rhein ab. Ganz in Vergessenheit geriet der beliebte Fluss dennoch nicht. Der Drachenfels mit seinen 350 Metern soll der meist bestiegene Berg in Europa sein.

Gemälde von Johannes Jakob Diezler: Niederlahnstein und Kapellen-Stolzenfels (Foto: Siebengebirgsmuseum)
Johannes Jakob Diezler, Niederlahnstein und Kapellen-Stolzenfels, 1830. Öl auf Holz, 33,8 x 57 cm. Sammlung RheinRomantikBild: Siebengebirgsmuseum