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Der schleichende Zerfall Jugoslawiens

Anto Jankovic15. Januar 2002

Vor zehn Jahren wurden Kroatien und Slowenien von der gesamten damaligen EG völkerrechtlich anerkannt. Somit war der Zerfall Jugoslawiens besiegelt. Doch der Prozess des Zerfalls setzte schon viel früher ein.

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Im Sommer 1986 veröffentlichte die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) ein Memorandum zur Lage in Jugoslawien. Darin diagnostizierte die höchste wissenschaftliche Institution der Serben, dass das "Serbentum in Jugoslawien gefährdet" sei.

Unmutsäußerungen über den gemeinsamen Staat hatte man bis dahin nur aus Kreisen der Albaner und Kroaten, der Slowenen und Mazedonier gehört: Unzufriedenheit vor allem, weil die Serben in der Kommunistischen Partei und der staatlichen Administration, im Militär und der Polizei überproportional vertreten waren. Von ihnen fühlten sich die anderen Völker Jugoslawiens unterdrückt und ausgebeutet. Und so hatte das SANU-Memorandum Signalwirkung: Nun fühlten sich also auch Serben "gefährdet" - die Tage Jugoslawiens schienen gezählt.

"Retter des Serbentums"

Ein Jahr später ernannte sich Slobodan Milosevic zum "Retter" des Serbentums. Mit markigen Sprüchen wühlte er die Emotionen auf:

"Wir werden die Konterrevolution in Kosovo stoppen und Reformen des politischen Systems durchführen, die es ermöglichen werden, dass die Republik Serbien auf dem ganzen Territorium ihre Kompetenzen verwirklicht."

Milosevic stürzte seinen Ziehvater Ivan Stambolic und setzte sich selbst an die Spitze der Kommunisten Serbiens. Dann löste er die Autonomie der serbischen Provinzen Kosovo und Vojvodina auf und ersetzte die legitime Führung in Montenegro durch eine ihm ergebene Mannschaft. Nach zwei Jahren hatte er in allen Gremien der Partei und des Staates die Hälfte der Stimmen hinter sich. Somit konnte er - auf quasi demokratischem Wege - unliebsame Vorschläge blockieren und seine eigenen durchsetzen.

Auszug der Slowenen und Kroaten

Zur Bewährungsprobe für Milosevics Abstimmungsmaschinerie kam es auf dem 14. außerordentlichen Parteitag der jugoslawischen Kommunisten im Januar 1990: Die Slowenen hatten einen ganzen Katalog von Reformforderungen unterbreitet. Doch alle ihre Vorschläge wurden abgeschmettert.

Die slowenischen Delegierten verließen den Parteitag, ihrem Beispiel folgten wenig später die Kroaten. Nach drei Monaten fanden in beiden Teilrepubliken freie Mehrparteienwahlen statt, die ersten nach dem Zweiten Weltkrieg. Als es etwas später auch in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien freie Wahlen gab, versuchten die neuen demokratisch gewählten Führungen in monatelangen Verhandlungen mit Milosevic Jugoslawien in eine Konföderation umzuwandeln. Doch alle Reformvorhaben scheiterten erneut am Widerstand Slobodan Milosevics.

Unabhängigkeitserklärung

Ein Jahr nach den freien Wahlen fanden in Slowenien und Kroatien Volksabstimmungen über den künftigen Status ihrer Republiken statt. Als sich in beiden Republiken mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für Unabhängigkeit aussprachen, erklärten die Parlamente beider Länder am 25. Juni 1991 ihre Unabhängigkeit.

Die Lage spitzte sich zu: Die - serbisch dominierte - Jugoslawische Volksarmee erhielt die Weisung, die Unabhängigkeitsbestrebungen in Slowenien und Kroatien zu verhindern - auch mit Gewalt. Immer mehr Slowenen und Kroaten desertierten, zum Teil auf abenteuerlichen Wegen, aus der Armee. Indes verhallten alle internationalen Appelle, auf Gewaltanwendung zu verzichten, ungehört.

Die Gewalt aber wurde nicht gestoppt. Zwar zog sich die Jugoslawische Armee nach einer Woche Krieg aus Slowenien zurück. In einigen Gebieten Kroatiens mit hohem serbischen Bevölkerungsanteil bildeten sich bewaffnete Gruppen, die von der Jugoslawischen Armee mehr oder minder offen unterstützt wurden.

Dass der Vormarsch der serbischen Streitkräfte Anfang 1992 schließlich stoppte, ist wohl in erster Linie der internationalen Anerkennung Kroatiens am 15. Januar zu verdanken, die auf Drängen Deutschlands zustande gekommen war. Dennoch: ein Drittel des kroatischen Territoriums blieb besetzt bis 1995. Bei den Kämpfen waren Tausende umgebracht worden, Hunderttausende vertrieben.