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Der Spuk von Saloniki

Fabian Vögtle28. August 2013

Bei Geisterspielen herrscht im und rund um das Stadion eine ungewohnte Atmosphäre. So auch beim Spiel der Schalker in Thessaloniki, wie DW-Reporter Fabian Vögtle erlebt hat.

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Teams vor leeren Rängen beim Champions-League-Qualispiel Saloniki gegen Schalke. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn beim Einlaufen der 22 Spieler der lauteste Applaus im ganzen Stadion ausgerechnet auf der Pressetribüne aufbrandet, dann kannst du eigentlich nur bei einem Geisterspiel sein. Ob lokaler Radioreporter, Aufnahmeleiter vom National-Fernsehen oder Vertreter der schreibenden Zunft, es gibt keinen, der nicht klatscht und während der obligatorischen Champions-League-Hymne sein Smartphone in die Höhe streckt. Der Journalist wird zum Fan, wenn die eigentlichen Anhänger draußen bleiben müssen - wie an diesem griechischen Sommerabend bei 28 Grad Celsius in Thessaloniki.

Selbst PAOK-Fans finden die Strafe gerecht

Kurz vor dem Spiel stehen rund hundert Fans von PAOK Saloniki am Touma-Stadion. Sie stimmen sich friedlich auf das Geisterspiel ein, als der grau getarnte Gästebus mit den Spielern des FC Schalke 04 auf das Stadiongelände rollt. Ein paar Pfiffe ertönen, mehr nicht. “Heute passiert nichts. Die gehen jetzt alle in die Kneipe und wollen das Spiel sehen”, erklärt Dimitris. Der 37-jährige Deutsche mit griechischen Wurzeln gehört zur Fan-Vereinigung “PAOK-Fans Germany”. Einige von ihnen machen gerade Urlaub in der Heimat und wollen ihr Team anfeuern. “Das ist unser Ursprung und damit eine Herzenssache”, sagt Dimitris stolz. Dass sie nicht ins Stadion dürfen, findet er zwar schade. "Aber die Strafe ist so was von gerecht.” Er selbst sei vor genau einem Jahr im Stadion gewesen, als es im Spiel gegen Rapid Wien Ausschreitungen gab.

Randalierende Fans beim Spiel Paok Saloniki gegen Rapid Wien im Augusti 2012. Foto: dpa-pa
Randalierende Fans beim Europa-League-Qualifikationsspiel der Griechen gegen Rapid WienBild: picture-alliance/dpa

Bloß keine Provokationen

Doch diesmal rechnet Dimitris nicht mit Krawallen - trotz der Anspannung vor dem zweiten von insgesamt drei Geisterspielen, zu denen PAOK verurteilt worden war. Schließlich gehe es um den erstmaligen Einzug in die Gruppenphase der Champions League. “Solange die Schalker sich zurückhalten, passiert nichts”. Damit spielt der seit 12 Jahren im deutschen Fanclub aktive Dimitris auf die Provokationen der Schalker im Hinspiel in Gelsenkirchen an. Außerdem seien jetzt einige Schalke-Fans in ihren Trikots durch Thessaloniki gezogen. “Das geht hier gar nicht”, findet er. Es gebe eben Unterschiede zwischen deutscher und griechischer Fankultur. Doch weitere Provokationen bleiben am Abend des Spiels aus und somit auch Reaktionen der durchaus gewaltbereiten PAOK-Fans. Für sie gilt laut Dimitris an diesem Abend nur eines: “Bis zur 90. Minute wird angefeuert, denn wir wollen alle in die Champions-League. Und dann kann endlich auch wieder die Party im Stadion anfangen.”

Falsche Journalisten

Die muss diesmal jedoch noch ausfallen. Während sich im Schatten des Stadions die Bars und Kneipen füllen, versammeln sich auf der Haupttribüne rund 150 aus dem Ruhrpott angereiste Schalke-Edelfans sowie knapp 50 von der UEFA wohl zugelassene Saloniki-Stimmungsmacher – vermutlich die lautesten Schreihälse, die aufzubieten waren. Um als akkredierter Journalist die Innenräume des Stadions zu erreichen, muss man einige Kontrollen mehr als sonst durchlaufen. Ein Grund: Einige “schlaue” Schalker Anhänger haben versucht, sich als Pressevertreter getarnt ins Stadion zu schmuggeln.

Schalker Block in Thessaloniki. Foto: dpa-pa
Schalker Block in ThessalonikiBild: picture-alliance/dpa

Von wegen neutral

“Hurra, hurra, die Schalker, die sind da!” Den griechischen Journalisten ist der Ärger über die Schlachtrufe aus dem benachbarten “Schalker Familienblock” anzusehen. Dass die deutschen Gäste in ihrem Heiligtum derart aufdrehen, macht einen der griechischen Presseleute sogar derart zornig, dass er in der 2. Halbzeit nicht nur wie alle anderen rumfuchtelt, schreit und auf die Pressetische haut. Er wird gegenüber Schalkern handgreiflich und muss von Kollegen zurückgehalten werden.

Public-Viewing-Stimmung rund um das leere Stadion in Thessaloniki.Foto: DW/Fabian Vögtle
Das Stadion leer, die Plätze vor den Bildschirmen vollBild: DW/Fabian Vögtle

Sonst bleibt aber alles friedlich, auch rund um das Stadion. Dort herrscht Public-Viewing-Atmosphäre, wie wir sie in Deutschland wohl nur von Welt- und Europameisterschaften kennen. Doch auch in Thessaloniki ist dieser Abend eher eine Ausnahme. "So viele Leute sind in den Cafés und Bars am Stadion sonst höchstens bei den Derbys", sagt Tim Anemou, der für das Rote Kreuz für alle Notfälle bereitsteht, aber auch wie gebannt auf einen der zig Bildschirme schaut.

Nichts wie weg!

Als der Schalker Jermaine Jones mit Gelb-Rot vom Platz fliegt und Saloniki kurz darauf das 2:2 erzielt, gibt es bei den griechischen Fans kein Halten mehr. Noch zehn Minuten bleiben für den Siegtreffer, den Einzug in die Königsklasse und 20 Millionen Euro mehr in der Vereinskasse. Als jedoch kurz vor Ende das 3:2 für Schalke fällt, werfen viele Fans ihre Motorroller an und düsen enttäuscht davon. Nur wenige schauen sich noch die letzten Spielminuten an, noch weniger Fans bleiben nach dem Schlusspfiff an den Tischen sitzen.

Fußballfans aus Leidenschaft

Einer von ihnen ist Antonis Terzidis. Mit seinen Freunden diskutiert und analysiert er das Spiel, von den vergebenen Chancen bis zu den umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen. Der 28-Jährige schaut betröppelt drein, selten war die Champions-League für PAOK so zum Greifen nahe wie diesmal. Trotz der Niederlage gegen Schalke blickt Antonis zuversichtlich nach vorne: “Wir wollen nächstes Jahr die Meisterschaft gewinnen, um dann bessere Chancen auf die Champions-League zu haben.” Gerade von Trainer Huub Stevens erwarte er viel. Die Spiele der Königsklasse wolle er sich trotz des Ausscheidens seines Teams anschauen und dort auch deutsche Mannschaften anfeuern, verspricht der PAOK-Anhänger: "Denn wir sind Fußballfans aus Leidenschaft."

PAOK-Fans Antonis Terzidis (rechts) und Diogenis Dimitrakopoulos vor einer Bar am Stadion. Foto: DW/Fabian Vögtle
PAOK-Fan Antonis Terzidis (r.)Bild: DW/Fabian Vögtle