Der türkische Frühling
Straßenschlachten, Verletzte und Tote: Seit zwei Wochen demonstrieren in der Türkei hunderttausende Menschen gegen die Regierung. Ministerpräsident Erdogan will am Mittwoch (12.06.2013) mit den Demonstranten sprechen.
Widerstand gegen die Staatsgewalt
Mindestens vier Tote, tausende Verletzte und tausende Festnahmen. Die Türkei kommt seit Ende Mai nicht mehr zur Ruhe. Nahezu täglich prallen auf dem Taksim-Platz in Istanbul Demonstranten und Polizisten aufeinander: Tränengas und Wasserwerfer gegen Molotow-Cocktails und Steine. Der umkämpfte Platz gleicht einem Kriegsgebiet.
Massenkundgebungen
"Ihr Anblick besudelt den Ruf unseres Landes." So hat Istanbuls Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu das harte Vorgehen gegen die Demonstranten verteidigt. Er sprach von gesellschaftlichen Außenseitern. In Istanbul waren zeitweise mehr als 100.000 Menschen zu den Demonstrationen gekommen. Die Proteste haben sich auf viele andere Städte ausgeweitet.
Kampf gegen Baumfällungen
Begonnen hatten die Proteste als Widerstand gegen ein Bauprojekt in der Istanbuler Innenstadt. Der Gezi-Park mit Dutzenden alten Bäumen, direkt neben dem Taksim-Platz gelegen, soll Regierungsplänen zufolge einem Einkaufszentrum weichen. Der Park ist eine der letzten Grünflächen im Zentrum. Als erste Baumfäll-Arbeiten begannen, errichteten Demonstranten zum Schutz des Parks ein Zeltlager.
Hartes Durchgreifen
Die Proteste wurden Ende Mai durch einen massiven Polizeieinsatz niedergeschlagen. Die Einsatzkräfte fuhren schweres Geschütz auf und gingen mit Wasserwerfern, Tränengas und Pfefferspray gegen die Demonstranten vor.
Hunderte Verletzte
Die Polizei versuchte, Demonstranten am Betreten des Istanbuler Taksim-Platzes zu hindern. Ärzten zufolge wurden allein am 31. Mai hunderte Menschen verletzt, einige verloren ihr Augenlicht. Das stachelte die Proteste weiter an, die Zahl der Teilnehmer stieg in die Zehntausende.
Ausweitung auf das ganze Land
Jetzt flammen die Proteste auch in weiteren türkischen Städten auf, die Proteste werden zunehmend politisch. In der Hauptstadt Ankara, in der westtürkischen Stadt Izmir, selbst in touristischen Zentren im Süden des Landes gehen die Menschen auf die Straße. Und überall gibt es die gleichen Bilder: Tränengas, Wasserwerfer, Verletzte.
Regierung in der Kritik
Die Regierung Erdogan steht jetzt im Mittelpunkt der Kritik. Seine islamisch-konservative Partei wird als zunehmend autoritär beschrieben. Die Demonstranten sehen sich durch neue gesetzliche Restriktionen in ihrer Freiheit eingeengt. Erdogan bekräftigte kürzlich die Baupläne in Istanbul und ignorierte zunächst die Forderungen der Demonstranten.
Bunte Vielfalt
Die Kundgebungen werden zunehmend kreativer: Theater- und Künstler-Gruppen treffen sich auf dem Taksim-Platz und präsentieren ihre Aufführungen. Im Gezi-Park protestiert man mit Yoga, Musikgruppen treten auf, selbst Klassik ist zu hören. Viele wollen der Gewalt etwas entgegensetzen.
Die Frau in Rot
Doch die Gewalt geht weiter. Und ein Foto macht die Runde: Zu sehen ist Ceyda Sungur, die an der Istanbuler Technischen Universität arbeitet. Sie wird als "Frau in Rot" unfreiwillig zum Symbol für die Proteste. Ein Polizist besprühte sie im Gezi-Park unvermittelt aus nächster Nähe mit Reizgas. Kurz darauf bricht sie zusammen, am nächsten Tag ist sie wieder dabei.
Sonnenschirm gegen Wasserwerfer
Die Demonstranten halten weiter dagegen. Sie errichten Barrikaden, nutzen alles, was gerade greifbar ist, improvisieren. Atemmasken werden verteilt, einige versuchen, sich mit Taucherbrillen gegen Wasserwerfer und Tränengas zu schützen.
Polizisten im Nebel
Die Polizei geht mit moderner Ausrüstung gegen die Aufständischen vor. Sie rückt in voller Montur immer wieder vor, zentrale Plätze in türkischen Städten bleiben schwer umkämpft. Parallel nehmen Beamte Menschen fest, die per Kurznachrichtendienst Twitter zur Teilnahme an den Kundgebungen aufgerufen hatten.
Gegendemonstration
Bei seiner Rückkehr aus Nordafrika in der vergangenen Woche lässt sich Premierminister Erdogan feiern: Anhänger seiner Partei jubeln ihm bei seiner Ankunft in Ankara zu. Die Demonstranten im ganzen Land warnt er mit den Worten, dass die Geduld seiner Regierung bald zu Ende sei. Er sieht die demonstrierenden Massen "Arm in Arm mit Terrorismus".
Internationale Unterstützung
Seit Tagen schon beschränken sich die Proteste nicht mehr nur auf die Türkei. Durch die Berichte der Medien und über Soziale Netzwerke blickt die ganze Welt auf das, was dort passiert. In New York, Athen, Berlin und weiteren Städten gehen die Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität auszudrücken.
Ende offen
Was als Protest gegen das Fällen von Bäumen in Istanbul begann, ist in der Türkei zu einer alle Regionen betreffenden Protestbewegung geworden. Ein Ende der Demonstrationen ist nicht absehbar - auch nach dem Treffen Erdogans mit Vertretern der Aktivisten in der Nacht zum Freitag (14.06.2013) nicht.