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Bildungsrepublik Deutschland?

7. Juni 2011

Sprachförderung, Ganztagsschulen, längeres gemeinsames Lernen: Mit zahlreichen Reformen hat Deutschland versucht, sein schlechtes Image in Sachen Bildung loszuwerden. Mit Erfolg. Aber es bleibt noch viel zu tun.

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Mädchen mit Doktorhut (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/bilderstoeckchen

In dieser Schule gibt es keine Hausaufgaben, keine Zensuren und kein Sitzenbleiben. Trotzdem lesen die Schüler der Laborschule Bielefeld genauso gut und verstehen so viel von Naturwissenschaften wie ihre Mitschüler an anderen deutschen Schulen. Vor allem aber haben sie Freude am Lernen, wie Schulleiterin Susanne Thurn betont. "Unsere Schüler lernen angstfrei, denn sie lernen für sich selbst." Wer nur für den nächsten Test pauke und den Sinn dahinter nicht erkennen könne, tue sich schwer damit, Spaß am Unterricht zu entwickeln.

An dieser Schule aber lernen die Kinder nicht nur anders – mit Arbeitsblättern statt Schulbüchern, in Kleingruppen statt im ganzen Klassenverband –, sie lernen auch länger gemeinsam. Nämlich von der nullten, also einer Vorschulklasse, bis zur zehnten Klasse. Außerdem ist die Laborschule Bielefeld eine Ganztagsschule. Ihre Gründung war 1974 eine Revolution in der deutschen Schullandschaft. Heute gibt es immer mehr Schulexperimente, die auf individuelles und längeres gemeinsames Lernen der Kinder setzen.

Gewinner- und Verliererschulen abschaffen

Ein Schüler rauft sich die Haare (Foto: dpa)
Die erste PISA-Studie war ein Schock für DeutschlandBild: dpa

Denn spätestens seit der international vergleichenden PISA-Studie im Jahr 2000 steht fest, dass diese Lernkonzepte am erfolgreichsten sind. Deshalb plädiert Susanne Thurn für eine Abschaffung des gegliederten deutschen Schulsystems in Haupt- und Realschulen oder Gymnasien. Solange leistungsstärkere und schwächere Schüler getrennt würden, gebe es Gewinner- und Verlierer-Schulen, kritisiert sie.

Genau das aber kann sich Deutschland nach Ansicht vieler Bildungsexperten nicht mehr leisten. Immer weniger Kinder wachsen in der alternden Gesellschaft nach. Immer mehr brauchen später gute Jobs, um die Renten der Babyboomer-Generation bezahlen zu können. Dass rund 20 Prozent aller Jugendlichen eines Jahrgangs das deutsche Bildungssystem ohne Abschluss verlassen, hat Politik und Wirtschaft aufgeschreckt.

Mehr Förderung, mehr Auswahl

Dabei lag ihr Anteil im Jahr 2000 noch bei 23 Prozent, betont Jürgen Baumert. Der ehemalige Direktor am Max-Plack-Institut für Bildungsforschung verantwortete die erste PISA-Studie in Deutschland. Er sieht Fortschritte auf dem Weg zur Bildungsrepublik. "Die Bildungslandschaft ist heute völlig anders als noch vor elf Jahren", sagt er. Die frühe Förderung benachteiligter Kinder sei bereits Realität, und die Übergänge zwischen den einzelnen Schulformen vom Kindergarten bis zur Hochschule würden immer durchlässiger für Kinder sozial schwacher Familien.

2000 hat Deutschland an der Spitze gestanden, wenn es um die Koppelung von sozialer Herkunft und Schulerfolg ging. "Heute sind wir gutes Mittelfeld", erklärt der Bildungsforscher. Ab 2013 gibt es sogar eine staatliche Betreuungsgarantie für unter dreijährige Kinder. Ein längst fälliger Schritt, meint Baumert, um vor allem Müttern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Die große Herausforderung: Migrantenkinder

Schülerinnen unterhalten sich in einer Unterrichts-Pause (Foto: dpa)
In Großstädten kommen viele Schüler aus MigrantenfamilienBild: picture-alliance/dpa

Also alles gut in der einst so gescholtenen Bildungsrepublik Deutschland? Nein, sagen die Bildungsexperten. Noch fehlen vor allem in Westdeutschland flächendeckend Ganztagsschulen, die etwa in Frankreich schon seit Jahren Standard sind. Und noch hat sich die deutsche Politik nicht darauf eingestellt, dass in Großstädten in Zukunft bis zu 70 Prozent der Schüler aus Migrantenfamilien kommen.

Für Susanne Thurn ist damit klar, dass sich der Erfolg der Bildungsreformen an der Integration von Migrantenkindern misst. Und die gelinge am besten, wenn Lehrer sich auf diese Schüler einstellen müssten und sie nicht – wie im dreigliedrigen Schulsystem in Deutschland üblich – an andere Schulen abgeben könnten. "Dann gibt es einen Mentalitätswandel, denn der Lehrer muss plötzlich mit den Kindern, die er hat, umgehen lernen."


Autorin: Sabine Damaschke, Richard Fuchs

Redaktion: Gaby Reucher