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Triumph der Qualle

Thomas Kruchem19. Dezember 2008

Der Fang von Millionen Tonnen Fisch mit zerstörerischen Methoden bedroht die biologische Vielfalt der Ozeane. Gesetze, die der schleichenden Vernichtung des Fischbestands Einhalt gebieten, sind vorerst nicht in Sicht.

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Qualle. Quelle: ap
Die Quallen bleiben als einzige übrig, wenn die Meere leergefischt sindBild: picture-alliance / Reinhard Dirscherl/OKAPIA

Die Ware Fisch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt - vom regional begrenzt angebotenen Lebensmittel zum weltweit gehandelten Rohstoff. Möglich wurde dies durch die unkontrollierte technische Aufrüstung einer stetig wachsenden Fischereiflotte. Für die begehrten Fischarten plündern besonders europäische und japanische Fangflotten die Meere weltweit.

Fisch in Kiste. Quelle:ap
Weltweit wird viel zu viel Fisch gefangenBild: AP

Und die globale Ausbeutung hat lokale Konsequenzen, so zum Beispiel auf den Philippinen. In Molopolo, einem Dorf im Süden der philippinischen Insel Leyte, ziehen um elf Uhr vormittags die Fischer ihre Boote auf den Strand. Sie sind mit Tüchern gegen die Sonne vermummt und suchen müde den Schatten der Kokospalmen. Den kargen Sardinenfang des Tages haben sie in Eimer geworfen. Gerade mal 20 Kilo Fisch haben die zwei Bootsbesatzungen in sieben Stunden Knochenarbeit gefangen. Bedrückt schaut der alte Jonathan Niang Son aufs Meer. Der Erlös von vielleicht tausend Pesos (ca. 16 Euro), decke nicht einmal die Spritkosten, sagt er.

Jagd mit allen Mitteln

Fischerei - das heißt jagen und sammeln auf dem Meer. 35 Millionen Fischer werfen bis heute ihre Netze aus, die meisten Küstenbewohner armer Länder. Weltweit stecken 200 Millionen Jobs in Verarbeitung, Vermarktung und Zulieferindustrie; insgesamt eine Milliarde Menschen leben von der Fischerei. Experten jedoch sprechen von einer sich seit 20 Jahren zuspitzenden Krise der Fischerei: Die Bestände seien bedrohlich übernutzt. Weltweit kommt es zu einer Krise der Kleinfischerei, die nicht mithalten kann mit der modern ausgerüsteten Großfischerei. Besonders Europa und Japan schicken ihre schwimmenden Meeresfabriken weltweit auf Beutezug.

Arme Länder betroffen

Fischer. Quelle: dw
Die Fischer auf den Philippinen fangen nicht mehr genugBild: Jutta Schwengsbier

Am stärksten trifft die Krise die Küstengewässer armer Länder wie der Philippinen. Es sind Gewässer, die von höchster Bedeutung sind für die Stabilisierung der Fischbestände auf hoher See: Korallenriffe, Seegraswiesen und Mangroven sind die Kinderstube für 90 Prozent der weltweit genutzten Fischarten.

Biotope, für die im Dorf Molopolo der Fischer William Saavedra nur ein Achselzucken übrig hat. Immer mehr kommerzielle Fischer, klagt William, drängen in die 15-Kilometer-Zone von Molopolo ein, wo - laut Gesetz - nur lokale Fischer ihr Netz auswerfen dürfen. Um 90 Prozent seien die Fischbestände vor Leyte in den letzten 20 Jahren zurückgegangen. Und so sind auch die Kleinfischer zu Raubfischern geworden, nutzen Netze mit viel zu engen Maschen und noch schlimmere Fangmethoden.

Fischen mit Dynamit

Tote Fische. Quelle: ap
Die Fische treiben tot im Wasser - so sieht es auch aus, wenn die Fischer Sprengstoff nutzenBild: AP

Eine dieser Methoden ist die so genannte Dynamitfischerei. Der deutsche Aquarienfischhändler Thomas Heeger hört auf dem Meer der Philippinen täglich die Detonationen. "Die kleineren Bomben sind sogenannte Rumflaschen", erklärt er. "Die werden mit Ammoniumnitrat und Benzin gefüllt. Das gibt einen großen Rums - und dann kommen im Umkreis von 30 Metern alle Fische tot an die Oberfläche."

Und das sei noch harmlos. Für Fischschwärme weiter draußen auf dem Meer würden die Fischer ganze Fässer sprengen, mit 10 bis 15 Kilo Sprengstoff gefüllt. "Wenn sie einen Schwarm sehen, dann fahren sie schnell hin und schmeißen so ein Fass ins Meer", erzählt Heeger. Dynamitfischerei sei eben effizient, und deshalb weit verbreitet auf den Philippinen. Jedoch: Eine Explosion vernichtet alles Leben im Umkreis von oft mehreren hundert Metern - auch Krebse, Jungfische und Korallen.

Ohnmächtige Riesenfische

Die Täter, oft arme Kleinfischer, lassen sich auch mit chinesischen Händlern ein. Diese wollen oft die zwei Meter großen Napoleonfische - lebend, für den Hochzeitstisch in Hongkong oder Shanghai. Um die 300 oder 400 Dollar für einen solchen Fisch zu erhalten, pumpen die Fischer Blausäuresalz ins Meer, berichtet Uwe Scholz, Fischerei-Experte der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ): "Das Gift - Natriumcyanid - ist ein Pulver, das mit Wasser angemischt und dann unter Wasser mit einer Plastikflasche gezielt in Spalten der Riffe gespritzt wird", erklärt Scholz. "Die Fische werden dadurch betäubt und lassen sich leicht fangen."

Korallenriff der Philippinen. Quelle: picture-alliance
Die Korallenriffe sterben durch das Gift der FischerBild: picture-alliance / OKAPIA KG, Germany

Jedoch: Die Korallenpolypen in den Riffen vertragen das Gift nicht. Sie sterben ab. "Es bleibt ein nacktes Korallenskelett übrig, und das Riff ist tot", sagt Scholz.

Bedrückende Bilanz: 80 Prozent der philippinischen Korallenriffe sind geschädigt, 80 Prozent der Mangroven abgeholzt – für Aquakultur-Teiche, Bau- und Brennholz. Zusätzliche Schäden verursachen ungeklärte Abwässer, aus abgeholzten Gebirgen ins Meer gespülte Sedimente, schwefelsäure- und schwermetallhaltige Abwässer des neuerdings wieder boomenden Bergbaus.

Erst Tintenfische, dann Quallen

Ähnlich wie auf den Philippinen sieht es in vielen Entwicklungsländern aus: Geschädigte Küsten-Biotope liefern immer weniger Nachschub; aber auf dem Meer wird gefischt, als gäbe es keine Zukunft. Und gute Fischereigesetze, die Fangmethoden, Mengen und Schutzzeiten vorschreiben, werden nicht durchgesetzt. Deshalb verschwinden nun weltweit immer mehr Fischbestände. 15 Prozent aller Bestände waren 1987 kollabiert; heute seien es 30 Prozent, erklärt Kai Wiegler, Fischereiexperte der GTZ im deutschen Eschborn. "Sobald der Haupt-Fischbestand weggefischt worden ist, kommen die Tintenfische und ernähren sich von der nachwachsenden Jungbrut an Fischen. Der Fischbestand erholt sich dann gar nicht mehr."

Und die Fangkette geht weiter: Auch die Tintenfische seien ökonomisch für die Fischer interessant und würden weggefischt, sagt Wiegler. "In diese ökologische Nische kommen dann die Quallen." So würden aus vielfältigen Biotopen riesige Quallen-Populationen. Die Quallen bleiben übrig in den Meeren - als einzige.