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Streit um Corona-Mittel

8. Juli 2020

Weil es Engpässe in der Produktion des Corona-Medikaments Remdesivir gibt, wird mit Zwangslizenzen und Wirtschaftssanktionen gedroht. Wie soll das erst werden, wenn es um Impfstoffe geht?

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Coronavirus Arzneimittel Remdesivir
Bild: picture-alliance/Yonhap

Seit vergangenen Freitag ist Remdesivir das erste Medikament, das in der Europäischen Union zur Therapie von Covid-19-Erkrankungen zugelassen ist. Allerdings kommt der Hersteller, die US-Pharmafirma Gilead Sciences, mit der Produktion nicht hinterher, die Nachfrage ist größer als das Angebot.

Und seitdem die US-Regierung mitteilte, sie habe sich fast die gesamte Remdesivir-Produktion bis September gesichert, fahren auch einige Europäer schweres Geschütz auf.

"Wir sind sauer auf US-Präsident Trump. America first ist ohnehin ein schlechtes Motto, in diesem Fall ist es besonders schlecht", sagt Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Fraktion im europäischen Parlament.

"Wir sind aber auch sauer auf die Firma Gilead. Warum beantragt sie eine Marktzulassung in der EU, wenn sie dann nicht liefern kann?", so Liese zur DW.

Gilead leugnet den Engpass nicht, beteuert aber, die Produktionskapazität möglichst schnell auszubauen. "Wenn sich die Covid-19-Situation nicht dramatisch ändert, gehen wir davon aus, dass wir Ende September ausreichend lieferbare Mengen zu haben, um die Nachfrage bedienen zu können", so Gilead-Sprecher Martin Flörkemeier im DW-Gespräch.

"Trump in die Knie zwingen"

EU-Parlamentarier Liese dauert das zu lange. Er droht mit Zwangslizenzen. Dabei würde das Medikament gegen den Willen von Gilead von Dritten produziert. Technisch sei das möglich, weil Gilead im Patentantrag für Remdesivir genau darlegen musste, wie das Medikament hergestellt wird, so Liese.

CDU-Mann Peter Liese ist Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament
CDU-Mann Peter Liese ist Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EuropaparlamentBild: picture-alliance/dpa

In der Tat sehen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO die Möglichkeit von Zwangslizenzen vor. Voraussetzung ist normalerweise, dass zuvor ernsthaft versucht wurde, mit dem Patentinhaber - hier also Gilead Sciences - eine gütliche Einigung zu erzielen. Das gelte jedoch nicht im Fall eines "nationalen Notstandes oder anderer Situationen von extremer Dringlichkeit", heißt es in Artikel 31 des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS).

"Wenn ein solcher Notstand jetzt nicht existiert, dann weiß ich nicht, wann man diese Regel sonst anwenden kann", sagt Liese.

Lieber wäre es ihm allerdings, wenn Gilead freiwillig kooperierte und europäische Pharmafirmen Remdesivir in Lizenz produzieren ließe. "Das wäre die bessere Lösung, denn Herstellung ist relativ aufwändig. Doch wenn das nicht funktioniert, sollten wir die Möglichkeit von Zwangslizenzen, die im internationalen Recht vorgesehen ist, auch nutzen."

Selbst wirtschaftliche Sanktionen gegen die USA wollen Liese und seine Fraktion nicht ausschließen. "Wenn die EU geschlossen ist, können wir Donald Trump in die Knie zwingen."

"Die Frage stellt sich nicht"

Die Bundesregierung versucht unterdessen, den Ball flach zu halten. Zum einen hat Deutschland von Gilead schon vor der offiziellen Zulassung in Europa Vorräte an Remdesivir erhalten.

Die sollten eine Weile reichen, wenn sich die Lage nicht grundlegend verschlechtert. "In den letzten zwei Monaten wurden 200 Therapiezyklen zur Behandlung eingesetzt", teilte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums der DW per Email mit. "Weitere 600 bis 1000 Therapiezyklen (abhängig von der Dauer der Behandlung) stehen noch zur Verfügung."

Das Gesundheitsministerium rechne zudem fest damit, dass Gilead die Produktionskapazitäten ausweitet und "zeitnah" auch den europäischen Markt beliefern kann. "Insofern stellt sich derzeit die Frage nach Lizenzverhandlungen oder Zwangslizenzen nicht", so der Sprecher.

In Ägypten und anderen Entwicklungs- und Schwellenländern wird das Medikament von Generika-Herstellern produziert
In Ägypten und anderen Entwicklungs- und Schwellenländern wird das Medikament von Generika-Herstellern produziertBild: Reuters/A. Abdallah Dalsh

Bei Gilead hört man das gern. Das Unternehmen behauptet zudem, Zwangslizenzen könnten die Versorgungslage sogar noch verschlechtern, "weil die reale Gefahr besteht, dass sie in der Lieferkette für knappe Rohstoffe und andere Produktionsmittel ein Chaos auslösen".

"Seit Anfang Februar haben wir ein Produktionsnetzwerk aus 100 bis 120 Unternehmen aufgebaut, die alle dafür Sorge tragen, dass die Rohstoffe und Grundstoffe zur Verfügung stehen und das Medikament produziert werden kann", so Sprecher Flörkemeier. "Daran sind auch Unternehmen in Deutschland beteiligt."

Generika in 127 Ländern

Auch für die Versorgung von Ländern, die sich die Kosten von 390 Dollar pro Dosis nicht leisten können, bedürfe es laut Gilead keiner Zwangslizenzen. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben mit neun Herstellern von Generika Lizenzvereinbarungen getroffen, um in 127 Ländern das Medikament günstiger anzubieten. Gerade wurde in Indien eine Generika-Version zugelassen, die nur 57 Euro pro Dosis kostet.

Und so stellt sich die Frage, ob die Drohungen mit Zwangslizenzen und Sanktionen nur ein Sturm im Wasserglas sind. Oder ein Beleg für die These, dass Drohungen in der Trump-Ära auch in Europa zum politischen Alltagsgeschäft gehören.

Gilead Sciences hat als börsennotiertes Unternehmen jedenfalls ein Eigeninteresse, die Gunst der Stunde zu nutzen und das Medikament massenhaft zu verkaufen. Remdesivir kann den Krankheitsverlauf schwerer Fälle nur um wenige Tage verkürzen, nicht aber Überlebenschancen verbessern. Die Nachfrage dürfte schnell wieder nachlassen, wenn es bessere Therapien gibt - oder gar einen Impfstoff.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.