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Der Verkannte

Udo Bauer15. Juni 2007

Immer mehr internationale Politiker sind dafür, dass Altkanzler Helmut Kohl den Friedensnobelpreis bekommen soll. Nur die Deutschen halten sich zurück - sie sind mit dem Pfälzer nie warm geworden.

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Bild: DW
Udo Bauer

Manchmal sind wir Deutschen so überzeugt von einer Sache, dass wir uns von nichts und niemandem von unserer Meinung abbringen lassen. Noch nicht einmal von historischen Tatsachen. Dass wir wie in Trance den Fall der Mauer, das Ende des kalten Krieges, die Wiedervereinigung, das Zusammenwachsen Europas erlebt haben, ist irgendwie verständlich. Denn soviel Gutes passiert einem sonst noch nicht einmal im Traum. Dass wir aber jetzt mit dem wachen und nüchternen Blick zurück auf die Ereignisse, die vor 18 Jahren ihren Anfang nahmen, nicht begreifen (wollen), wem wir das alles zu verdanken haben, das muss wohl mit dieser sturen deutschen Überzeugung zu tun haben.

Mann mit Vision

Und jetzt also Michail Gorbatschow. Der einstige Staats- und Parteichef der UdSSR hatte Ende der 80er Jahre Vertrauen gefasst zu dem gemütlichen und redseligen Deutschen, später wurde eine echte Freundschaft daraus. Wenn jemals ein gutes persönliches Verhältnis zwischen Politikern eine wichtige Rolle gespielt hat, dann das zwischen diesen Beiden. Denn ohne den Glauben des Russen in die ehrlichen Absichten des historischen Erzfeindes, wären vieles anders gelaufen in Europa. Gorbi will also, dass Kohl dafür und für seine Vision eines in Frieden vereinten Europa mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird. Wir Deutschen widersprechen, wie wir immer widersprochen haben, wenn es um Helmut Kohl ging.

Ja, wir haben ihn zum Rekordkanzler gewählt - 16 lange Jahre hat er am Ruder gestanden, für eine ganze Generation war das Wort Bundeskanzler gleichbedeutend mit Helmut Kohl. Als ob es uns peinlich sein müsste, wir entschuldigen das als historischen Zufall. Da war halt ein mäßig begabter, bräsiger Politiker zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ja, er war ein Politiker vom altem Schlag - nicht mediengewandt, nicht telegen, ohne geschliffene Rhetorik, aber er hatte etwas, was vielen Politstars von heute fehlt: eine Mission, eine Vision und für die warb er unaufhörlich, zog unzählige europäische Politiker mit in seine Richtung, in die Richtung eines Europas in Frieden und Freiheit.

Mehr Glück als Verstand?

Zugegeben, sein Abgang als Kanzler war nicht gerade rühmlich. Eine verlorene Bundestagswahl und eine Parteispendenaffäre machen sich nicht gut am Karriereende. Leider hat sogar seine eigene Partei, die CDU, ihm das bis heute nicht verziehen. Kaum einer seiner damaligen konservativen Mitstreiter traut sich aus der Deckung und unterstützt öffentlich den Nobelpreiskandidaten Kohl, noch nicht einmal sein damaliges Ziehkind Angela Merkel.

Ich wünsche Helmut Kohl, dass er den Nobelpreis bekommt. Allein, weil ich sehen will, wie verdutzt sie alle gucken, die CDU-Granden, die Deutschen, und wie sie kopfschüttelnd murmeln, dass der Kohl mal wieder mehr Glück hatte als Verstand.