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"Der Würfel ist gefallen"

Heinz Dylong25. November 2001

Die Grünen haben sich entschieden: Sie stehen hinter der Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Ein Kommenar von Heinz Dylong.

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Damit unterstützen die Grünen die mehrheitliche Linie ihrer Bundestagsfraktion und stabilisieren die rot-grüne Bundesregierung. Und gleichwohl: Mit der Entscheidung des Rostocker Parteitags haben die Grünen allenfalls Zeit gewonnen, die überfällige Grundsatzentscheidung steht noch aus.

Dass sich die Partei damit schwer tut, ist nur allzu verständlich. Die Friedensbewegung der frühen 80er Jahre gehört zu den Wurzeln der Grünen, das entschiedene "Nein zum Krieg" ist geradezu ein Teil ihrer Identität. Und Skepsis gegenüber den USA zählt fast zur Grundausstattung jedes politisch links stehenden. Doch der 11.September, die verheerenden Terroranschläge in den USA, haben eine neue Perspektive erzwungen. Dem mussten sich auch die Grünen stellen, zumal sie als Berliner Regierungspartei an einer klaren Position zum möglichen Bundeswehreinsatz ohnehin nicht vorbei kamen.

So stand die Rostocker Entscheidung auch immer unter dem Vorzeichen, dass eine Ablehnung zwangsläufig die Regierungskoalition mit der SPD beenden würde. Und da ist die Partei inzwischen pragmatisch genug geworden. Die Beteiligung an der Bundesregierung und der damit naturgemäß verbundene Gestaltungsspielraum hat für die Grünen ein erhebliches Eigengewicht, das sie nicht so schnell aufs Spiel setzen wollen.

Und gleichwohl weist die Entscheidung der Delegierten in Rostock auch auf Defizite der Partei hin. Die sehr ernsthafte Debatte über den möglichen Bundeswehreinsatz spricht gewiss für die Grünen, die damit eine reale Diskussion in der deutschen Gesellschaft widerspiegeln. Das Defizit liegt aber ebenso gewiss darin, dass die Grünen noch nicht die Kraft hatten, eine grundsätzliche Haltung zu Bedingungen und Umständen zu entwickeln, unter denen sie den Einsatz von Militär - und eben auch die Teilnahme der Bundeswehr - angesichts der seit dem Ende des Kalten Krieges veränderten Weltlage für möglich halten. Die derzeitige Arbeit am neuen Grundsatzprogramm bietet die Chance dazu, die genutzt werden muss, wollen die Grünen nicht immer wieder Zerreißproben zwischen ihren Flügeln erleben.

Die grundsätzliche Klärung wird die Partei verändern. Denn es ist nicht mehr vorstellbar, dass sich eine kompromisslos pazifistische Haltung als Position der Grünen durchsetzen könnte. In der politischen Praxis ist die Partei schon davon abgerückt - die Herausforderungen auf dem Balkan, mitsamt dem Kosovo-Krieg 1999, haben ihnen Entscheidungen abgefordert, die sie in der Opposition und ohne "ihrem" Außenminister Joschka Fischer so nicht gefällt hätten. Doch als Regierungspartei lässt sich eben nicht mehr die reine Lehre vertreten.

Das ändert freilich nichts daran, dass sich die Grünen auf einen schweren Gang in Richtung Bundestagswahl machen. Mit dem Rostocker Beschluss verprellen sie einmal mehr den entschlossen pazifistischen Teil ihrer Wählerschaft. Mag sein, dass der nicht mehr den Löwenanteil der grünen Wähler ausmacht. Fehlt er jedoch, dürfte der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schwer, der in die Regierung unmöglich sein.