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Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel

Baha Güngör9. November 2001

Nach dem Willen der türkischen Regierung soll Hungerstreik in Gefängnissen und Aufruf dazu - ja, gar die Berichterstattung darüber - unter Strafe gestellt werden.

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Wenn die Türkei international in die Schlagzeilen gerät, dann in den meisten Fällen im Zusammenhang mit negativen Entwicklungen: Mal geht es um die Not der Menschen wegen der wirtschaftlichen Dauerkrise, mal um die Kritik des Auslands wegen Lücken in den Bereichen Demokratie und Menschenrechten. In den meisten Fällen, wenn es um die Gründe für solche Missstände geht, verhärten sich die Fronten zwischen den Befürwortern der Regierungslinie und deren Kritikern derart, dass eine Annäherung der Positionen schier unmöglich scheint.

Bei der jüngsten Debatte über die Anpassungsfähigkeit des Staates an die Standards der Europäischen Union geht es um die Zustände in den Gefängnissen, genauer gesagt: die Hungerstreiks von Häftlingen oder ihrer Angehörigen. Die selbstmörderische Protestaktion richtet sich auf den ersten Blick gegen die Verlegung in neue Justizvollzugsanstalten. Mittlerweile aber ist daraus eine Kraftprobe zwischen illegalen linksgerichteten politischen Gruppen und der Staatsführung geworden. Einer Kraftprobe, bei der das "Todesfasten" bislang mehr als 40 Menschen das Leben gekostet hat und mit weiteren Opfern gerechnet werden muss.

Worum geht es konkret? Die Häftlinge protestieren gegen die neuen Gefängniszentren des sogenannten "F-Typs", die aus Einzelzellen oder aus Zellen für drei Insassen bestehen. Hier seien Misshandlungen zu befürchten - so ihre Version.

Allerdings: die Haftanstalten sind im Einklang mit europäischen Normen gebaut und von europäischen Instanzen auch gebilligt worden. Somit stehen die Argumente der Hungerstreikenden auf äußerst schwachen Füßen. Auch steht außer Zweifel, dass ein Rechtsstaat das Recht hat, Gefängnisse mit Großraumunterkünften mit Dutzenden Insassen zu unterbinden, weil in diesen "befreiten" Räumen die Planung und Ausführung von neuen Straftaten diesseits und jenseits von Gefängnismauern erleichtert wird. Dass die schwächsten Mitglieder dieser Organisationen nach einer Gehirnwäsche zu Selbstmordaktionen - was ja ein "Todesfasten" ist - gezwungen werden, kann ein Rechtsstaat nicht hinnehmen.

Wie jeder andere demokratische Staat hat aber auch die Türkei - im Lichte ihres Anspruchs, ein Rechtsstaat zu sein - eine Fürsorgepflicht gegenüber allen seinen Bürgern. Auch Andersdenkende und Hungerstreikende haben einen Anspruch auf eine Behandlung nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Das brutale Vorgehen des Sicherheitsapparats zur zwangsweisen Beendigung von Hungerstreikaktionen, die Misshandlung von Häftlingen und die Versuche, Journalisten zu gängeln, sind nicht akzeptabel. Und: es erschwert Fortschritte bei den Bemühungen der Türkei um ihre beschleunigte Heranführung an die EU.