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Berliner Polyphonia Ensemble und Jugendorchester Bahia

5. Dezember 2011

Ein deutsches Kammerorchester, ein Weltstar und einige Klassiker: Das gemeinsame Konzert des Berliner Polyphonia Ensembles und des Jugendorchesters Bahia knüpft an die Erfolge des sozialen Projekts El Sistema an.

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Jugendorchester von Bahia (Foto: DW/Augusto Valente)
Bild: DW

Das Konzert im Theatersaal Castro Alves in der brasilianischen Stadt Salvador da Bahia war ausverkauft. Mehr als 1500 Zuschauer verfolgten am vergangenen Wochenende den gemeinsamen Auftritt des deutschen Polyphonia Ensembles Berlin und des Jugendorchesters von Bahia (OJB). Seit den letzten internationalen und medialen Erfolgen des Orchesters sei das OJB der "Popstar der Stadt", erklärte der Gründer des brasilianischen Jugendorchesterprojekts Neojibá, Ricardo Castro.

Erst seit vier Jahren existiert das Projekt. Die Stadt Salvador kann keineswegs auf eine lange klassische Musiktradition zurückblicken, und einige der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren kommen aus einem sozial schwachen Umfeld. Keiner der Eltern hat jemals Orchestermusik gehört, geschweige denn den Fuß in einen Theatersaal gesetzt.

Das Jugendorchester von Bahia(Foto: DW/Augusto Valente)
"Das beste Orchester der Welt"Bild: DW

Von den Meistern inspiriert

Das Berliner Polyphonia Ensemble eröffnete den Abend mit dem ersten Satz des selten gespielten Sextetts in e-Moll von Gustav Holst. Danach traten die zwei Bläserquintetten des Jugendorchesters mit Stücken von Johann Christian Bach und Franz Danzi auf. Höhepunkt des kammermusikalischen Teils des Programms war der Auftritt des 34-jährigen Musikers André Mehamari aus São Paulo. Eingeladen von der Deutschen Welle spielte er mit bei der Uraufführung seines Septetts "Variações Villa-Lobos" – thematisch angelehnt an das das Orchesterstück "Bachianas Brasileiras Nr. 7" des berühmten brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos.

Mehmari gilt nicht nur als einer der erfolgreichsten brasilianischen Komponisten seiner Generation, er ist auch ein begnadeter Pianist. Seine "Variações" integrieren Kontrapunkt im Stil Bachs, ein Motiv Igor Stravinskys und Variationstechnik im Stil Beethovens. Mit Temperament und durchgehender Dramatik erinnerte das Stück durch Mehamaris Interpretation an Beethovens Diabelli-Variationen.

Komponist André Mehmari (@DW)
Komponist André MehmariBild: DW-TV

Mehmari lobte die Zusammenarbeit mit den deutschen Musikern, die trotz kurzer Vorbereitungszeit "in das Hemd des unveröffentlichten Stücks geschlüpft waren". Der tosende Applaus des Publikums bestätigte die geglückte Mischung aus origineller Komposition, klassischen Techniken, populären Rhythmen, modernen Effekten, lyrischen Melodien und dem Geist des großen Heitor Villa-Lobos.

Shooting Star aus Caracas

Der zweite Star des Abends war das "Jugendorchester Neojibá". Das Musikprojekt orientiert sich an der 40-jährigen Erfahrung des venezolanischen Musikers und Politikers José Antonio Abreu, der 1975 das staatliche Jugendsinfonieorchester von Venezuela gründete. Inzwischen zählen 30 Orchester zum Projekt "El Sistema", das auch Kindern aus sozial schwächeren Schichten den Zugang zur Musik ermöglicht. Es basiert auf der Überzeugung, dass durch Musik etwas an den Lebensverhältnissen der Kinder und Jugendlichen geändert werden kann.

Auch der Dirigent des Abends Manuel López Gómez, 28 Jahre alt, kommt aus Venezuela und hat selbst bei El Sistema Violine gelernt; damals war er sechs Jahre alt. Heute ist er als Assistent und Freund des gefeierten Stardirigenten Gustavo Dudamel, einer der führenden Persönlichkeiten des Vorzeigeprojekts. Wie dieser lockt Gómez aus seinen jungen Musikern viel Klang und Ausdrucksstärke hervor.

Manuel López Gómez (Foto: DW/Augusto Valente)
Der junge Manuel López Gómez freute sich über den ErfolgBild: DW

Fast wie die Profis

Nach dem ersten Satz der "Unvollendeten" Symphonie von Franz Schubert erloschen die Bühnenscheinwerfer und warfen nur ein schwaches Licht auf die erste Geige und den Flügel im Orchestergraben. Markus Däunert, Gastviolinist aus Berlin, und Ricardo Castro - Dirigent, Pianist und Gründer des OBJ - spielten gemeinsam den Schlusssatz aus dem "Quartett für das Ende der Zeit" von Olivier Messiaen. Dabei entstand ein fast metaphysisches Zusammenspiel: Räumlich entfernt und ohne Blickkontakt erzeugten Violine und Klavier einen äußerst intimen Klang. "Ich habe mich Ricardo nie so nah gefühlt", erklärte Däunert.

Im Takt der Musik

Nach Abschluss des offiziellen Programms mit dem "Tanz der Capulets" aus Sergei Prokofjews "Romeo und Julia" tauschte López das schwarze Jackett gegen ein T-Shirt von Neojibá. Zu der Musik von "Tico-tico no fubá", einem brasilianischen Klassiker, und dem Mambo aus Leonard Bernsteins "West Side Story" durften die Musiker aufstehen, tanzen, die Sitznachbarn zum Tanz auffordern und sich spontan in Gruppen-Choreographien formieren. Das Publikum konnte sich nicht mehr auf den Sitzen halten, lachte und klatschte im Takt der Musik.

Noch beim Hinausgehen sangen einige Zuschauer die Melodien des rauschenden Musikabends. Am Ende waren alle überzeugt, dass Kunst Dinge verändern kann.

Autor: Augusto Valente/ Adap.: Anna Pellacini
Redaktion: Marcio Pessôa/ Suzanne Cords