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Filmstart: "Unter dem Sand"

Jochen Kürten6. April 2016

"Unter dem Sand" schildert ein vergessenes Kapitel deutsch-dänischer Geschichte und zeigt, dass das Grauen auch nach dem Krieg nicht endet. Wie aktuell diese Thematik ist, erklärt Regisseur Martin Zandvliet im Interview.

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Filmszene aus "Unter dem Sand" (Foto: Koch Media/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Koch Media

Ein dutzend Jungs robben über einen Strand. Sie tragen Militärkleidung und stochern mit kurzen Eisenstäben im Sand. Ab und zu ruft einer laut: "Ich hab eine." Gemeint ist damit eine Mine. Die Jungs sind kaum älter als 15, 16 Jahre, ihre Gesichter wirken noch kindlich. Sie schwitzen bei der Arbeit, doch nicht vor Anstrengung. Es ist Angstschweiß - ihre Arbeit ist lebensgefährlich.

Findet einer der Jungs eine Mine, versucht er diese zu entschärfen. Mit bloßen Händen. Ohne technische Hilfsmittel und ohne große Sachkenntnis. Nicht selten geht das schief. Dann explodiert die Mine. Dem Jungen werden die Arme abgerissen. Auch weitere sterben. Es ist ein Himmelfahrtskommando, dass der Film "Unter dem Sand" mit großer Eindringlichkeit schildert.

"Nicht die Jungen waren verantwortlich für den Krieg, sondern Nazi-Deutschland“

"Es ist eine Geschichte von jungen Deutschen, die an den Folgen des Kriegs leiden und zum Teil auch sterben", beschreibt der dänische Regisseur Martin Zandvliet den Kern von "Unter dem Sand". Verantwortlich für diesen Krieg seien nicht die jungen Deutschen gewesen, sondern Nazi-Deutschland, so Zandvliet weiter. Das Schicksal der Jungen sei es gewesen, "dass sie aus dem Kriegstreiber-Land stammen." So hätten sie die Konsequenzen tragen müssen, seien zu Opfern geworden.

Filmszene aus "Unter dem Sand" (Foto: Koch Media/dpa)
Der junge Deutsche Sebastian Schumann (Louis Hofmann) und Unteroffizier Carl Rasmussen (Roland Møller)Bild: picture-alliance/dpa/Koch Media

Der dänische Regisseur hat sich in "Unter dem Sand" einer heute kaum bekannten Randepisode kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gewidmet. Einer Geschichte, wie sie sich so oder ähnlich wahrscheinlich oft abgespielt hat in Europa. Im Chaos unmittelbar nach Beendigung der Kriegshandlungen lief vieles nicht in geregelten Bahnen. Auch im deutsch-dänischen Grenzgebiet nicht.

Dänemark: Fünf Jahre Besatzung durch die Deutschen

Dänemark hatte fünf Jahre unter deutscher Besatzung gelitten. Da die Nationalsozialisten zeitweise mit einem Angriff der Alliierten auf die dänischen Küsten gerechnet hatten, wurden die Nordseestrände mit über zwei Millionen Minen "gesichert". Als Amerikaner und Briten dann aber über die Normandie kamen um Nazi-Deutschland zu besiegen, gerieten die minenverseuchten Strände an der dänischen Küste international in Vergessenheit. Natürlich nicht bei den Dänen.

Filmszene aus "Unter dem Sand" (Foto: Koch Media/dpa)
Auf dem Weg zur lebensgefährlichen ArbeitBild: Koch Films GmbH/Camilla Hjelm

Die zogen - auf Anregung der Briten - deutsche Soldaten für die lebensgefährliche Minenräumung heran. Vor allem blutjunge Deutsche. Viele von ihnen waren von Hitler in den letzten Kriegswochen noch zum sogenannten "Volkssturm" einberufen worden. Die Jungen wurden regelrecht "verheizt": an den Flakgeschützen auf den Dächern deutscher Städte, an den schon verlorenen Fronten außerhalb der Landesgrenzen. Als der Krieg dann zu Ende war, wurden die jungen Deutschen zu allem Überfluß auch noch von den Siegern für teils schmutzige Arbeit herangezogen.

Kriegsgefangene durften nicht zur Arbeit gezwungen werden

Eigentlich verbietet die "Genfer Konvention" jede Arbeit von Kriegsgefangenen, doch Nazi-Deutschland hatte die Konvention jahrelang mit Füßen getreten. In Dänemark betitelten die Briten die deutschen Minensucher im Frühjahr '45 deshalb als "Freiwilliges Personal des Feindes".

Zwischen 2000 und 2600 Personen setzten Briten und Dänen zwischen Mai und Oktober '45 für die gefährliche Arbeit an den Stränden ein. Über eineinhalb Millionen Minen wurden entsorgt. Bei dem Einsatz verloren nach Angaben der dänischen Filmproduktionsfirma rund 1000 Menschen ihr Leben. Das seien mehr Tote gewesen, als Opfer der Kampfhandlungen auf dänischem Boden.

Filmszene aus "Unter dem Sand" (Foto: Koch Media/dpa)
Sebastian (Louis Hofmann) hofft auf ein besseres Leben nach der GefangenschaftBild: picture-alliance/dpa/Koch Media

Genaue Zahlen kennt man allerdings bis heute nicht. Die historischen Ereignisse wurden kaum aufgearbeitet. Nicht in Deutschland, aber auch nicht in Dänemark. Einzig eine Untersuchung eines dänischen Hobby-Historikers aus dem Jahre 1998 konnte bei den Recherchen zum Film herangezogen werden. "Unter dem Sand" dürfte das Thema jetzt einem breiteren Publikum nahebringen.

Ein Film über die Schuld der Deutschen und die Mitschuld der Dänen

"Einige Historiker glauben, dass das Angebot (der Befehl der Briten, Deutsche bei der Minensuche einzusetzen, Anm. der Red.), die dänische Regierung in ein Dilemma stürzte", sagt Regisseur Zandvliet. "Als Nation, die sich fünf Jahre unter Kontrolle der Nazis befunden hatte, stand Dänemark nach dem Krieg in einem zweifelhaften Ruf." Die Briten hätten dagegen als strahlende Helden dagestanden - schließlich seien sie die Befreier Dänemarks gewesen. Die Dänen hätten sich dem Vorschlag dementsprechend nur schwer widersetzen können, auch wenn viele ihn für falsch hielten: "Blutjunge deutsche Kriegsgefangene zu zwingen, die dänische Küste von Minen zu befreien, das kam einem Kriegsverbrechen nahe", so Zandvliet.

Filmszene aus "Unter dem Sand" (Foto: Koch Media/dpa)
Die jungen deutschen Minensucher in "Unter dem Sand"Bild: Koch Films GmbH/Camilla Hjelm

"Der Film untersucht in gewisser Weise auch die dänische Schuld an jenem Kapitel Nachkriegsgeschichte", meint der Regisseur: "Ein Kapitel, das bei uns in Dänemark noch nie wirklich an die Öffentlichkeit gekommen ist, dafür belastet es vermutlich viel zu sehr das historische Gewissen." Er habe dem Selbstbild Dänemarks im Zweiten Weltkrieg immer kritisch gegenüber gestanden: "Eine unterdrückte Nation, von den Deutschen besetzt, die immer nur Gutes tun wollte und selbstverständlich zahlreiche Helden in der Widerstandsbewegung hatte: Die vollständige Wahrheit kann das nicht sein."

Was sagt "Unter dem Sand" über die heutige Situation aus?

Und wie sieht Zandvliet seinen Film im historischen Kontext? Der Regisseur verweist in diesem Zusammenhang auf den dänischen Offizier Carl, der im Film die jungen Deutschen beaufsichtigt und der hin- und hergerissen ist zwischen Rachegefühlen und Mitleid: "Er zweifelt sehr an dem, was er tut", sagt Zandvliet und zieht einen überraschenden Vergleich: "So ähnlich wie wir uns heute fragen, ob wir durch die Art und Weise, wie wir Flüchtlinge und Migranten behandeln, immer noch die Werte verteidigen, um die wir Angst haben, oder ob wir sie in Wirklichkeit aufgeben?" Martin Zandvliet resümiert: "Die Geschichte von Carl soll zeigen, dass man sich dem, was gerade passiert, kritisch gegenüber verhalten muss und dass man so handelt, dass man sich später im Spiegel ansehen kann."