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Deutsche Sprache auf Brüsseler Abstellgleis

23. Juli 2010

Offiziell ist Deutsch in der Europäischen Union besonders wichtig. Im EU-Alltag dagegen verkümmert es mehr und mehr. Schuld daran sind vor allem die Deutschen.

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Auf einem Scrabble-Spielbrett kreuzen sich die Wörter Schule und school (Foto: DW-TV)
In Brüssel kämpfen die Sprachen um MachtBild: DW-TV

Als Muttersprache ist Deutsch die am meisten gesprochene Sprache in der Europäischen Union. Deutschland ist außerdem das wirtschaftlich mit Abstand wichtigste Land der EU. Kein Wunder also, dass Deutsch neben Englisch und Französisch eine der drei sogenannten Arbeitssprachen ist. Doch in der Praxis spielt das Deutsche nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem seit der EU-Osterweiterung von 2004 setzt sich Englisch im EU-Alltag immer mehr durch und verdrängt auch Französisch immer mehr. Bei der Frage zum Beispiel, welche Sprachen im künftigen Europäischen Auswärtigen Dienst gesprochen werden, forderte der österreichische Europaabgeordnete Andreas Mölzer in diesem Frühjahr von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton mehr Raum für das Deutsche. "Es ist an der Zeit, dass die neue Außenministerin sensibler vorgeht, indem beispielsweise auch Deutsch im Europäischen Auswärtigen Dienst Verwendung findet."

Alte deutsche Schulkenntnisse hervorgekramt

EU-Außenbeauftragte Ashton spricht engagiert im Europaparlament (Foto: AP)
Die EU-Außenbeauftragte Ashton: Deutsch "vergessen"Bild: AP

Ashton reagierte prompt - auf Deutsch: "Ich habe auch Deutsch in der Schule gelernt für zwei Jahre, aber ich habe jetzt vergessen", quälte sich die Britin ab und erntete riesigen Applaus für ihren Versuch. Sie werde immer besser im Deutschen. Irgendwann wolle sie sich in viel besserem Deutsch als jetzt mit den Muttersprachlern unterhalten können. Auch Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle hatte verlangt, dass im Auswärtigen Dienst Deutsch gleichberechtigt neben Englisch und Französisch sein soll. Das hat Ashton inzwischen auch zugesichert. Aus Höflichkeit, vielleicht auch aus politischem Kalkül, hatte sich beim kürzlichen Antrittsbesuch von Bundespräsident Christian Wulff sogar Kommissionspräsident José Manuel Barroso in der deutschen Sprache versucht: "Ganz besonders froh bin ich, dass die erste Reise ins Ausland den neuen Bundespräsident auch zu den Institutionen der EU führt", so der Portugiese, der fließend Französisch, Englisch und Spanisch spricht.

Deutsch wird ohne Grund verweigert

Mitarbeiter der Kommission sind normalerweise sehr polyglott, das bringt die Arbeit in einer Institution mit 27 Staaten und fast ebenso vielen Sprachen einfach mit sich. Doch selbst Johannes Laitenberger, früher Kommissionssprecher und heute Barrosos Kabinetts-Chef, gab einmal zu, kein völlig internationaler Mensch geworden zu sein. "Ich bin hier nicht der Vertreter Deutschlands. Aber selbstverständlich bleibe ich ein Deutscher, auch wenn ich in der Europäischen Kommission arbeite."

In Pressekonferenzen mit einem internationalen Journalistenkorps beantwortet Laitenberger deutsch gestellte Fragen auch auf deutsch, sofern es einen Übersetzungsdienst gibt. Viele Journalistenkollegen dagegen vermeiden das Deutsche selbst dann, wenn die Dolmetscher zur Verfügung stehen. Da gibt es in Brüssel eine weitverbreitete sprachliche Selbstverleugnung.

"Anarchie auf gutem Wege"

Energiekommissar Oettinger gestikuliert während einer Pressekonferenz in Brüssel (Foto: picture-alliance/ dpa)
Ist für seine amüsanten sprachlichen Schnitzer bekannt: EU-Energiekommissar OettingerBild: picture-alliance/ dpa

Eher lustige Züge nehmen unterdessen die Versuche von EU-Energiekommissar Günther Oettinger an, Englisch zu sprechen. Ein netter sprachlicher Schnitzer unterlief ihm gleich bei seiner ersten Pressekonferenz Anfang 2010, als er das englische Wort für Energie "energy" wie "anarchy", also Anarchie, aussprach: "Ich bin froh, in diesem Ressort zu sein, und wir haben beste Chancen, die Anarchie (statt Energie) auf einen guten Weg zu bringen."

Soviel subversive Energie hatte man dem Christdemokraten gar nicht zugetraut. Vielleicht hätte Oettinger in diesem Fall besser auf die Bundesregierung gehört und wäre beim Deutschen geblieben.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Nicole Scherschun