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Jüdische Auswanderung

24. Oktober 2011

Seit hunderten von Jahren wanderten Juden aus dem alten Kontinent Europa in alle Himmelsrichtungen - heute Stoff für die historische Forschung. Woher kamen, wohin gingen sie und: welche Spuren haben sie hinterlassen?

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Kofferstapel im Deutschen Exilarchiv, Frankfurt.Copyright: Deutsche Nationalbibliothek,Sylvia Asmus
Bild: Deutsche Nationalbibliothek/Sylvia Asmus

Sie kamen aus dem östlichen Mitteleuropa, aus Galizien und der Bukowina, Österreich-Ungarn, von der iberischen Halbinsel oder aus dem deutschen Reich. Juden, deutsch- oder jiddischsprachig - aus Ländern, die heute Ukraine, Rumänien, Russland, Polen oder Deutschland heißen, wanderten in alle Teile der Welt aus. Es waren Geschäftsleute, Ärzte, Handwerker, Buchhändler, Anwälte, kleine Gewerbetreibende. Und sie gingen nicht immer freiwillig.

Flucht vor Verfolgung

Sie flohen vor Antisemitismus, Diskriminierung und Pogromen, aus wirtschaftlicher Not, aus Perspektivlosigkeit. In der Hoffnung auf ein neues Leben in Sicherheit und mit einer Zukunft. Ihre Ziele waren Nord- und Südamerika, China, Palästina, die Dominikanische Republik - um nur einige zu nennen. In ihrer neuen Heimat gründeten sie Agrarkooperativen und Zeitungen, errichteten Siedlungen und Synagogen, Krankenhäuser, Schulen, Banken, wurden Schauspieler, Musiker, Wissenschaftler. Und haben auch in ihren Zufluchtsländern immer wieder aufkeimenden Antisemitismus erfahren müssen.

Deutschland/juedische Auswanderer,um 1946 Geschichte des Judentums: - Deutschland, nach dem 2. Weltkrieg: Juedische Auswanderer.- Foto (Ursula Litzmann), um 1946. Foto: picture-alliance/akg-images
Überlebende des NS-Terrors: Jüdische Auswanderer in Deutschland, um 1946.Bild: picture-alliance/akg-images

Traditionen, Trachten

All diese Menschen, sagt Elke Kotowski, haben nicht nur einen Koffer mit ihren persönlichen Habseligkeiten mitgenommen. "Sie haben aus Deutschland auch ihre Traditionen mitgebracht: handwerkliche Fertigkeiten, Trachten, Rezepte." Das hat sich in den Familien erhalten, wurde von Generation zu Generation weiter gegeben. Oft aber sei den Nachkommen gar nicht mehr bewusst, woher die Fertigkeiten stammten, sagt die Historikerin. Diesen Spuren möchte Elke Kotowski nachgehen, erforschen, was von den eingewanderten Kulturen geblieben ist, wie sie sich verbunden haben mit der Kultur der neuen Heimatländer. "Kultur und Identität" heißt das groß angelegte Projekt, das die Historikerin am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam leitet und das sich mit dem deutsch-jüdischen Kulturerbe weltweit beschäftigt.

Vier Besen

Alte Synagoge in Lemberg vor der Rekonstruktion.Bild: Halyna Stadnyk
Lemberg: Reste der alten SynagogeBild: DW

Es gibt aber noch mehr zu entdecken. Auf Dachböden, in Kellern, in Kisten und Schränken lagerten oft noch richtige Schätze, erzählt sie. Nachlässe, Fotos, Briefe, Tagebücher von Auswanderern, das seien Schätze, die erfasst werden müssten, die Auskunft gäben über das Leben der jüdischen Migranten vor und nach ihrer Auswanderung. "Es wäre einfach zu schade, wenn diese Dinge auf der Müllkippe landen würden," meint die Historikerin.

Auch Kurioses werde gelegentlich überliefert: "In einen Kibbuz in Israel sind deutsche Schwaben ausgewandert. Die halten bekanntlich Haus und Hof besonders sauber und haben aus ihrem Dorf vier verschiedene Arten von Besen mitgebracht!" Solche Besen habe es danach noch jahrzehntelang in dem Kibbuz gegeben.

Weltweite Recherchen

Das Forschungsprojekt will dieses über die ganze Welt verstreute deutsch-jüdische Kulturerbe dem Vergessen entreißen und davon so viel wie möglich sichten, erfassen und bewahren, sagt Elke Kotowski. Auch in einzelnen Biographien stecke noch viel Erforschenswertes: "Wir recherchieren weltweit". Deshalb haben die Potsdamer Historiker Verbindungen geknüpft: Deutsche Botschaften in sechzig Ländern der Welt sind einbezogen worden, sie liefern erste Kontakte, Namen, Initiativen. Dazu sollen noch viele kleinere und größere Institutionen vor Ort kommen - Museen und Geschichtswerkstätten ebenso wie Kulturvereine, Medien, Universitäten. "Ich bin sicher, man findet überall etwas", glaubt Elke Kotowski. Der Fokus ist breit gewählt. Julius Schoeps, Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums, sagt: "Das Augenmerk liegt dabei nicht ausschließlich auf der Emigration während des Nationalsozialismus, sondern es sollen die Auswanderungsbewegungen deutschsprachiger Juden seit dem 18. Jahrhundert betrachtet werden."

Aufmerksamkeit finden

Kurt Weill in einem New Yorker Restaurant 1943 (AP Photo/Dan Grossi)
Auch er ein Emigrant: Komponist Kurt Weill in New York 1943Bild: AP

Das Projekt ist auf zunächst zwei Jahre angelegt. Es wird auch vom Staatsminister für Kultur und Medien finanziell unterstützt. Zum Auftakt gibt es in Berlin Ende Oktober erst einmal eine große, internationale wissenschaftliche Konferenz. Experten aus Deutschland, den USA, Israel, Lateinamerika und Österreich tauschen ihre Erkenntnisse aus, diskutieren über Deutsch-jüdische Literatur- und Musiktraditionen, Erinnerungskultur, Rolle und Emigration jüdischer Unternehmer, über Fragen von Identität und Selbstverständnis. Damit wollen die Projektverantwortlichen einen Impuls setzen und ihr Vorhaben bekannt machen. Auch in Ländern wie Polen, Ukraine und Russland, wo die Erforschung des jüdischen Kulturerbes noch gar nicht richtig begonnen hat.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Sabine Oelze