1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Fleischfabrik Deutschland"

Interview: Gero Rueter15. Juni 2016

Deutschland ist der drittgrößte Schweinefleischproduzent der Welt. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, fordert in seinem Buch "Fleischfabrik Deutschland" eine Agrarwende. Im DW-Interview erklärt er, wieso.

https://p.dw.com/p/1J4f4
Schlachthof Fleischproduktion Foto: picture alliance / Fotoagentur Kunz
Bild: picture alliance / Fotoagentur Kunz

Deutsche Welle: Herr Hofreiter, Sie haben das Buch "Fleischfabrik Deutschland" geschrieben. Darin beschreiben Sie, wie die Massentierhaltung die menschliche Lebensgrundlage zerstört. Was läuft Ihrer Meinung nach schief?

Anton Hofreiter: Das sind viele Punkte. Zu viele Tiere werden nicht tiergemäß gehalten, zum Teil ist das sogar Tierquälerei. Es wird zu viel Gülle auf die Felder ausgebracht, das gefährdet unser Grundwasser. Zudem gibt es zu viel Kunstdünger und Pestizide, das gefährdet die Artenvielfalt. Außerdem wird zu viel Soja aus Südamerika importiert. Das gefährdet dort die Menschenrechte und zerstört den Regenwald. Und insgesamt wird zu viel nach Westafrika exportiert und damit die Ernährungssouveränität gefährdet. Das bringt Landwirte dort in Schwierigkeiten. Aber auch hier hilft die Landwirtschaftspolitik den Bauern nicht: Die Preise sind im Keller und viele Bauern müssen aufgeben.

Anton Hofreiter im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im BundestagBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Sie waren vor kurzem in Brasilien, in der Region des Sojaanbaus. Wie ist dort die Situation?

Ich war in Mato Grosso, das heißt übersetzt "dichter Busch". Es war früher ein Regenwaldgebiet mit indigenen Kleinbauern. Jetzt sieht man nur noch klägliche Überreste des Waldes und dafür Felder bis an den Horizont. Man trifft dort Großgrundbesitzer, die auf 200.000 bis 300.000 Hektar gentechnisch verändertes Soja anbauen. Die Felder bearbeiten sie mit Totalherbidzid. Alles pflanzliche Leben wird so abgetötet, außer das gentechnisch veränderte Soja, das resistent gegen das Pflanzengift ist.

Das Ausmaß der Umweltzerstörung war bedrückend - ebenso, wie Menschen unter Druck gesetzt, bedroht und vertrieben werden. Menschen werden sogar von Killern der Großgrundbesitzer ermordet. Betroffene erzählten mir, wie sie mit dem Tod bedroht worden sind und ihnen die Pistole an den Kopf gehalten wurde. Da zeigen sich die Auswirkungen unserer Tiermast ganz konkret und schrecklich.

Soja-Plantage in Brasilien
Futter für die Tierfabriken: Anbau von genverändertem Soja in Mato Grosso (Brasilien). Zuvor war hier Regenwald.Bild: Getty Images

Wie wollen Sie das ändern?

Wir wollen Verantwortung in der Lieferkette: Das importierte Soja soll bestimmten Anforderungen entsprechen. Es kann nicht sein, dass Soja mit Hilfe von schweren Menschenrechtsverletzungen gewonnen wird, Kleinbauern und Indigene von ihrem Land vertrieben werden und wir dieses Soja dann nach Europa importieren.

Also mit Standards für Soja wollen Sie die Situation verbessern?

Ganz genau. Mindeststandards sind natürlich auch wichtig in der Tierhaltung. Schweine sollte man in den Ställen mehr Platz geben und bestimmte Haltungsformen nach und nach abschaffen. Vollspaltenböden sind nicht tiergerecht. Dort leben Schweine nur auf glitschigen, glatten Betonplatten mit Ritzen für den Kot und können nicht wühlen.

Auch der Einsatz von Antibiotika muss besser geregelt werden. Für uns Menschen sind Antibiotika essenziell. Für Reserveantibiotika sollte es daher Einschränkungen in den Tierställen geben.

Schweine Massentierhaltung
In Deutschland werden 830 Millionen Tiere pro Jahr gemästet. Große Betriebe haben über 10.000 Schweine im Stall.Bild: picture alliance/WILDLIFE

Welche Rolle spielt der Konsument?

Der Konsument braucht Informationen, um sich entscheiden zu können. Auch beim Fleisch ist eine Kennzeichnung sinnvoll - wie bei den Eiern. Da steht ja drauf, ob die Hühner in Käfigen leben, Auslauf haben und ob sie Biofutter bekommen.

In welche Richtung sollte die Landwirtschaft gehen?

Wir wollen eine stärkere Regionalisierung. Und in der globalisierten Produktion wollen wir mehr Verantwortung und mehr Nachhaltigkeit. Eine stärkere Regionalisierung bedeutet, dass zum Beispiel Länder in Westafrika ernährungssouverän werden können. Derzeit werden Exporte aus Europa subventioniert, sind deshalb billig - das führt dann dazu, dass in Westafrika Landwirte pleitegehen. Sie sind nicht mehr in der Lage, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Verarmt machen sich die Bauern dann zum Teil auf den lebensgefährlichen Weg durch die Sahara und über das Mittelmeer, um hier ihr Auskommen zu finden. Es geht also auch um die Bekämpfung von Fluchtursachen - und zwar der echten Fluchtursachen.

Schweinestall mit Stroh Foto: allevad - Fotolia.com
In der Bio-Landwirtschaft leben die Tiere artgerecht. Das Futter kommt vom Hof selbst.Bild: allevad/Fotolia

Wie wollen Sie bei dieser Trendumkehr die deutschen Bauern mitnehmen?

In Teilen der Landwirtschaft gibt es bereits ein Umdenken. Viele Landwirte sehen, dass das jetzige System ihnen auch nicht hilft. In den letzten Jahren haben in einigen Bereichen über 70 Prozent aller Landwirte aufgegeben. Auch die, die jetzt noch in der Landwirtschaft tätig sind, stehen häufig mit dem Rücken zur Wand. Die Milchviehwirtschaft ist ein Beispiel: Landwirte bekommen für einen Liter Milch nur noch 20 Cent, doch die Produktionskosten liegen bei über 40 Cent.

Milchbauern haben so gigantische Summen verloren - im letzten Jahr nach Schätzungen bis zu fünf Milliarden Euro. Ebenso bei den Schweinemästern, bei den Hähnchenbauern, in ganz vielen Bereichen schaut es nicht gut aus. Die Profiteure sind große Konzerne wie Monsanto, die Spritzmittel und gentechnisch verändertes Saatgut verkaufen. Die Profiteure sind große Fleischkonzerne und große Handelsketten. Ganz viele Landwirte sind Opfer dieses Systems. Und deshalb bin ich guter Hoffnung, dass man zwar nicht alle, aber doch einen erheblichen Teil der Bauern für Veränderungen gewinnen kann.

Anton Hofreiter ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und promovierter Biologe. Er setzt sich für eine gerechte Agrarwende ein und ist dafür bis nach Brasilien gereist. Sein Buch "Fleischfabrik Deutschland" ist seit dem 13.6.2016 im Buchhandel erhältlich (Riemann Verlag).

Das Interview führte Gero Rueter.