1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Identität zum Ansehen

Thomas Senne19. Juni 2006

In kaum einem anderen Land wird die Frage nach der eigenen Identität so intensiv gestellt wie in Deutschland. Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg geht der Frage "Was ist deutsch?" in einer Ausstellung nach.

https://p.dw.com/p/8cLU
Deutsche MännerBild: Germanisches Nationalmuseum
Germanisches Nationalmuseum Helden
Deutsche HeldenBild: Germanisches Nationalmuseum

Was ist deutsch? Matthias Hamann müsste es wissen, denn er hat sich für eine Ausstellung unter diesem Titel im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg drei Jahre lang mit diesem Thema beschäftigt. "Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man eine verbindliche Antwort nicht geben kann. Deutsch ist eine Vielzahl von Antworten", sagt der Ausstellungsleiter. "Was deutsch im eigentlichen Sinne ist, ist wahrscheinlich, diese Frage zu stellen." Seit 200 Jahren fragten sich die Deutschen, wer sie eigentlich sind - und sie seien dabei auf ganz unterschiedlichen Antworten gekommen.

Eine Frage, viele Antworten

Der facettenreiche Historien- und Freizeitparcours in der Ausstellung passt zur aktuellen Debatte, die in deutschen Feuilletons und Fernseh-Talkshows über Patriotismus und das Selbstverständnis der Nation geführt wird. Anhand von zahlreichen Dokumenten, Gemälden, Plastiken, Büchern, Dingen der Alltags- und der Hochkultur kann der Besucher für sich beantworten, was für ihn deutsch ist. Untergliedert ist die über das ganze Haus verteilte Ausstellung, die sich auf die vergangenen 200 Jahre konzentriert, in fünf Bereiche, die sich mit Themen wie "Vaterland", "Sehnsucht" oder "Glaube" beschäftigen und dabei bewusst Brüche und Widersprüche in Kauf nehmen. Noch bis zum 3. Oktober werden auf 1500 Quadratmetern Künstler wie Karl Friedrich Schinkel, Max Liebermann oder Philip Otto Runge ebenso gezeigt wie Gegenstände des Alltags: das Sandmännchen, Schäferhunde aus Porzellan oder Nordic-Walking-Stöcke, zum Wandern durch den deutschen Wald.

Irritation der Außensicht

Germanisches Nationalmuseum Lebkuchenherz
Deutsche DichterBild: J. Musolf GNM

In jedem Raum gebe es eine "Irritation", erklärt Hamann, in der der "äußere Blick" eine Rolle spiele. So komme der Besucher durch einen "Worttrichter" beispielsweise in die Ausstellungseinheit "Geist". "Und diese Worte sind deutsche Worte, die im Ausland gebraucht werden, wie 'Überdirektor', 'Grübelsucht', das sagen die Engländer, oder 'Zeitnot', das sagen die Russen. Das ist die Außensicht. Und wenn man diese Irritation durchschritten hat, ist man sozusagen in der deutschen Innenwelt", sagt Hamann.

Und da begegnen einem natürlich Größen wie Goethe oder Schiller, manchmal auch ganz profan auf Lebkuchenherzen oder Plakaten der Nazi-Zeit. Während die Liedersammlung des "Knaben Wunderhorn" in einer Vitrine friedliche Koexistenz mit einem Plattenspieler feiert, werden ein paar Schritte weiter Theater, Film und Fernsehen als "moralische Anstalten" der Nation vorgestellt. Etwa, indem das Original-Drehbuch des "Blechtrommel"-Films von Volker Schlöndorff präsentiert wird - zusammen mit der Trommel Oskar Matzeraths, der Hauptfigur des Films.

Alle Fragen offen

Die Blechtrommel
Deutsche Moral

Damit die Auswahl aber nicht völlig beliebig wirkt, setzen Leitobjekte verständliche Akzente und sorgen so für Orientierung. Beispielsweise in der Rubrik "Charakter", wie Hamann erläutert: "Hier haben wir den deutschen Tugendkanon ein bisschen ironisch dargestellt." So werde die Relevanz der Pünktlichkeit am Beispiel der Deutschen Bahn dargestellt, und die der Ordnung anhand von Mülltonnen für die Abfalltrennung. "Wir fragen den Besucher: Sind diese Tugenden eigentlich für mich heute noch aktuell?"

Auch dunkle Kapitel der deutschen Geschichte bleiben in Nürnberg nicht ausgeklammert. So ist die Büste Adolf Hitlers als bewusster Stolperstein in der Ausstellungsarchitektur vertreten. Auf sperrigen Quadern erinnern aktuelle Fotografien des Konzentrationslagers Auschwitz an die Judenvernichtung. Ist das deutsch? Oder eher Luthers berühmte "Thesen"? Die Ausstellung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet und hat dabei durchaus Mut zur Lücke. Kein chronologisch braves Abschreiten deutscher Befindlichkeit, sondern eine gelungene nationale Identitätssuche zwischen Heiterkeit und Ernst.