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Bekämpfung Rechtsradikaler

23. Februar 2012

Die rechtsradikale Mordserie hat der deutschen Zivilgesellschaft noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig der Einsatz gegen Neonazis ist. Hunderte Initiativen arbeiten täglich in Deutschland.

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Mit zahlreichen Aktionen protestieren Dresdner gegen einen Aufmarsch von rund 800 Neonazis in ihrer Stadt
Bild: picture-alliance/dpa

"Gesicht zeigen" heißt das Motto einer sehr bekannten Initiative gegen Rechts. Der Verein hat rund 350 Mitglieder und geht vor allem auf junge Menschen zu: Gerade Jugendliche sollen gar nicht erst anfällig werden für die rechtsradikalen Parolen und menschenverachtenden Aktionen von Neo-Nazis. "Wir dozieren nicht über Geschichte", erzählt Mitarbeiterin Ricarda Disla, "wir lassen Schüler hautnah fühlen, was Antisemitismus anrichtet."

Jugend mobilisieren

Auch die Berliner Ausstellung "7xjung" richtet sich vorrangig an ein junges Publikum. Über 2.000 Schüler haben sie schon besucht. Jedes der fünf vorgestellten Projekte schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zu sehen ist beispielsweise ein typisches Jugend-Zimmer, in dem alle persönlichen Gegenstände von den Wänden gerissen, alle Möbel zerstört sind. Es soll an einen jüdischen Schüler erinnern, der diese Szene vor rund 70 Jahren erleben musste: Nazis verwüsteten sein Zuhause, zogen ihn schließlich unter dem Bett hervor und richteten ihn hin. Hautnah sollen Jugendliche so die Brutalität nachempfinden lernen.

Lautstark protestieren

"Gegen Rechtsradikale einzutreten, ist eine zivilgesellschaftliche Pflicht", sagt der 45-jährige PR-Fachmann Jörn Menge, der vor zehn Jahren die Initiative "Laut gegen Nazis" gegründet hat. Inzwischen wird sein Engagement längst breit unterstützt, von prominenten deutschen Musikern genauso wie von zahlreichen Wirtschaftsunternehmen. Derzeit bereitet Menge die internationale Aktionswoche gegen Rassismus vor, in deren Zentrum ein Marsch gegen Rechts quer durch Hamburg stehen wird. In Dresden hatte eine solche Aktion bereits funktioniert: Demonstranten hatten einen Zug von Rechtsradikalen aus der Innenstadt verdrängt.

Schauspieler Marek Erhardt (hinten l-r), Schauspieler Peter Lohmeyer, Musiker Kai Havaii ("Extrabreit") und Musiker Smudo von den "Fantastischen Vier" sowie die Sängerin Jeanette Biedermann (unten l-r) und der Moderator Johannes B.
Prominente werben für die Kampagne "Laut gegen Nazis"Bild: picture alliance / dpa / dpaweb

Kreativität fördern

Auf Kreativität setzt der Wettbewerb "Klappe gegen Rechts" der deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Junge Leute werden hier nicht belehrt, sondern sollen selbst aktiv werden: Sie entwerfen TV- und Kinospots, die später von Medienprofis produziert und ausgezeichnet werden. Die Qualität der Einsendungen überrascht die Jury immer wieder: "Die Entschlossenheit gegen die Hetze von Rechtsradikalen ist in den Beiträgen ganz deutlich erkennbar."

Täter bekehren

Das "Violence Prevention Network" bietet straffällig gewordenen rechten Wortführern die Möglichkeit, in die Gesellschaft zurückzukehren. "Viele sind bereits in ihrer Kindheit durch Gewalt, fehlendes Interesse und mangelnde Anerkennung in ihrem Selbstbewusstsein geschädigt worden", erklärt einer der Trainer. In Arbeitsgruppen erlernen die Täter alternative Verhaltens- und Ausdrucksweisen. Gerade einfache Fragen wie "Warum siehst Du das so?" könnten rechte Ideologen oft nicht beantworten, und "irgendwann können sie beim besten Willen nichts mehr entgegenhalten".

Eine einfache Maßnahme mit großem Erfolg: Wie eine derzeit noch unveröffentlichte Studie zeigt, sinkt die Rückfallquote auf etwa 30 Prozent, wenn der Häftling über zwei bis drei Jahre Workshops besucht hat. Ohne begleitende Seminare liegt sie bei rund 80 Prozent.

Den geschützten Ausstieg ermöglichen diverse Hilfsmaßnahmen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landeskriminalämter, zum Beispiel "Exit". In Baden-Württemberg sind von 2.000 polizeilich bekannten Rechtsextremen fast 400 erfolgreich durch solche Programme ausgestiegen.

Bernd Wagner - Mitbegründer der Organisation Exit (Foto: Maciej Wisniewski)
Die Organisation "Exit" kümmert sich um Aussteiger aus der Neonazi-SzeneBild: DW

Nachbarn mitziehen

Genaue Angaben zur Anzahl der Initiativen gegen Rechts in Deutschland gibt es nicht, doch werden sie auf mehrere Hundert geschätzt. Und auch kleine fallen ins Gewicht:

Im Hamburger Vorort Glinde haben sich zum Beispiel die Über-50-Jährigen zusammengeschlossen, um Mahnwache vor einem Geschäft zu halten, das rechtsextreme Modelabel führt. Zu Beginn jeder Wache lässt die Gemeinde die Kirchenglocken läuten.

Im Hundert-Seelen-Ort Pößneck in Thüringen wehrten sich Einwohner jahrelang dagegen, dass ein führender Rechtsradikaler ein Haus kaufte, um dort Schulungen abzuhalten. Ihnen ging es vor allem darum, das Image des ewig "braunen Osten Deutschlands" endlich zu widerlegen.

Geldmittel akquirieren

Die meisten Initiativen gegen Rechts kommen mit dem Geld von Mitgliedern oder Sponsoren nicht aus. Sie benötigen zusätzlich staatliche Fördermittel, und die Bundesregierung stellt jährlich rund 24 Millionen Euro zur Verfügung. Doch die Auflagen für die Zuweisung von Fördergeldern werden immer strenger. "Oft warten wir bis zu sechs Monate auf Geld für den Druck von Broschüren oder Flugblättern", klagt einer der Organisatoren. Andere bezeichnen die Zuwendungen als "stiefmütterlich" oder "kläglich".

Doch der Wandel zeichnet sich bereits ab: Die brutale Mordserie der Zwickauer Terroristen hat nun auch Unternehmen sensibilisiert, die sich bisher nicht politisch engagieren wollten. Bei Bürgern wächst die Bereitschaft, zu spenden. Immer mehr Menschen treten öffentlich auf gegen den rechten Terror. Und in Berlin überlegt die Politik verstärkt, wie man die Initiativen gegen Rechts künftig besser unterstützen kann.

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Johanna Schmeller