1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Deutsche Karte und das "Japanische Meer"

Julian Ryall aus Tokio
28. März 2019

Kann eine deutsche Weltkarte von 1856 Japan im Streit mit Südkorea nützen? Japans Nationalisten glauben es, während das Bundesamt für Seeschifffahrt sich über eine geschenkte Reproduktion freut.

https://p.dw.com/p/3FkUp
Deutsche Karte von 1856 mit Verweis auf das Japanische Meer
Bild: Foreign Ministry of Japan

Kann die Übergabe der Kopie einer wertvollen deutschen Weltkarte aus dem Jahr 1856, deren Original sich seit 1938 in japanischem Besitz befindet, an Deutschland größere politische Bedeutung haben? Immerhin war die Überreichung der Karte beziehungsweise der Reproduktion durch die japanische Generalkonsulin in Hamburg an das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie am Montag laut japanischem Außenministerium "eine Demonstration der guten bilateralen Beziehungen."

Anscheinend gibt es Kreise in Japan, die diesem bescheidenen offiziellen Akt größere Bedeutung beimessen: Demnach untermauert letzterer die japanische Position gegenüber Südkorea, was die Bezeichnung des Meeresgebietes zwischen Japan und der koreanischen Halbinsel betrifft. Japan will Bemühungen Südkoreas abwehren, für dieses Gebiet, das auf den meisten Weltkarten als "Japanisches Meer" erscheint, die Bezeichnung "Ostmeer" zu etablieren. Angeblich hat Südkorea seine diesbezüglichen Vorstöße in den vergangenen Jahren verstärkt.

Karte Japan Südkorea Japanisches Meer DE
Der Name Japanisches Meer ist bislang der übliche

"Wichtige Botschaft an Deutschland"

Auf der deutschen Karte von 1856, die sich im Besitz der japanischen Küstenwache befindet, steht klar erkennbar die Bezeichnung "Japanisches M": Ein Beleg dafür, dass der Name "Japanisches Meer" seit dem 19. Jahrhundert international in Gebrauch war und ist. Diese Bedeutung misst jedenfalls das japanische Außenministerium der Karte bei, wie "Japan News", die englischsprachige Ausgabe der Zeitung "Yomiuri Shinbun" berichtet. Gegenüber der DW teilte das Ministerium mit: "Der Name 'Japanisches Meer' ist der einzige international anerkannte Name für das betreffende Seegebiet."

Manche Kreise in Japan sehen in der Kartenübergabe eine weitere Bedeutung, die über die Bezeichnung des Seegebietes hinausgeht. Beispielsweise Yoichi Shimada, Professor für internationale Beziehungen an der Fukui Prefectural University, der sagt, Japan müsse seine Interessen gegen Koreas Versuche, "seine Sicht" der Kolonialgeschichte unter japanischer Herrschaft von 1905 bis 1945 zu propagieren, verteidigen. Es sei "besonders wichtig, dass Japan diese Botschaft an Deutschland vermittelt", sagte Shimada der DW. Südkorea verstehe sich sehr gut darauf, Deutschlands Schuld während des Nationalsozialismus zu instrumentalisieren, um Japans Herrschaft in Korea im selben Licht erscheinen zu lassen wie deutsche Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Krieges.

Südkorea Treffen Shinzo Abe und Park Geun-hye Bilateraler Gipfel
Vorübergehende Harmonie: Die Verständigung über die "Trostfrauen"-Frage zwischen Abe und Park Geun Hye vom Winter 2015 hielt nicht lange Bild: Reuters/Yonhap/L. Jung-hoon

Beziehungen Japan – Südkorea auf Tiefpunkt

Wie Südkorea dies genau versucht und inwiefern es dabei – angeblich - Erfolg hat, führt der Politologe nicht näher aus. Klar ist jedoch: Seine Warnung vor den angeblichen Machenschaften Südkoreas spiegelt den Zustand der japanisch-südkoreanischen Beziehungen wider, die laut Stephen Nagy von der Tokioter International Christian University "so schlecht wie nie seit der Unterzeichnung des Vertrags zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen im Jahr 1965 sind." Schon seit Jahrzehnten stritten sich beide Länder über Konsequenzen aus der Kolonial- und Kriegsvergangenheit, aber die Kluft sei tiefer denn je, konstatiert Nagy.

In Südkorea herrscht das Gefühl, dass Japan nicht genug getan habe, weder moralisch noch finanziell, um für die Behandlung von Zwangsprostituierten in der japanischen Armee und für koreanische Zwangsarbeiter während des Krieges Wiedergutmachung zu leisten. (1965 zahlte Japan 300 Millionen US-Dollar als Pauschal-Entschädigung an Südkorea.) Dieses Gefühl erhält kräftige Nahrung durch die von dem stark nationalistisch eingestellten Ministerpräsidenten Shinzo Abe  (seit 2012 im Amt) bestärkten Tendenzen zur Verharmlosung der japanischen Kriegsverbrechen.

Südkorea Japan Präsident Lee Myung Bak besucht Insel Dokdo
Zankapfel im Japanischen Meer: Die Inselgruppe Dokdo bzw. Takeshima wird von Südkorea verwaltet, aber von Japan beansprucht. Bild: dapd

Neue Sprachregelung für Zwangsarbeiter und "Trostfrauen"

Manche Medien wie etwa die angesehene "Japan Times" (JT) sahen sich inzwischen genötigt, auf die Regierungslinie einzuschwenken: Sie sprechen nicht mehr von "Zwangsarbeitern", sondern von "Kriegsarbeitern". Was die Zwangsprostituierten oder "Trostfrauen" betrifft, so wird diese Gruppe laut JT von nun an anders definiert: Früher seien damit die Frauen bezeichnet worden, die zum Sex mit japanischen Soldaten vor und nach Kriegsbeginn gezwungen wurden. Jetzt seien darunter jene Frauen zu verstehen, "die während des Krieges in Bordellen für japanische Soldaten arbeiteten, darunter auch solche, die dies gegen ihren Willen taten." Beide neuen Sprachregelungen seien gefunden worden, "um den unterschiedlichen historischen und individuellen Gegebenheiten Genüge zu tun."

Aus Sicht Tokios hat Südkoreas neuer Präsident Moon Jae In die Bemühungen zur Beilegung des Streits um die "Trostfrauen" bewusst torpediert, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Die unter seiner Vorgängerin Park Geun Hye gemeinsam mit Japan gegründete Stiftung sollte den Streit um die Zangsprostituierten endgültig beilegen. Seoul löste die Stiftung Ende 2018 auf, die Einigung mit Japan habe die Erwartungen nicht erfüllt.

Japan Hubschrauberträger DDH-184 Kaga bei der Übergabezeremonie in Yokohama
Die Flagge der "aufgehenden Sonne" ist die offizielle Flagge der japanischen Selbstverteidigungskräfte zur See. Sie war auch die Flagge der kaiserlichen Kriegsmarine.Bild: Reuters/T. Hanai

Maritime Streitigkeiten und Spannungen

Zu dem Streit um ungenügende Entschädigung und Entschuldigung kamen in jüngster Zeit Vorfälle zur See wie die riskante Annäherung zwischen einem japanischen Aufklärer und einem südkoreanischen Kriegsschiff oder die Verweigerung der Erlaubnis für ein japanisches Kriegsschiff, unter der Flagge der aufgehenden Sonne in einen südkoreanischen Hafen einzulaufen. Das Ganze vor dem Hintergrund eines Dauerstreits um die kleine Inselgruppe Dokdo bzw. Takeshima im südlichen Japanischen Meer.

Für Stephen Nagy von Tokioter International Christian University ist es nicht verwunderlich, dass Japan der besagten Karte, von der das deutsche Schifffahrtsamt auf eigenen Wunsch eine Reproduktion erhalten hat, große Bedeutung beimisst: "Sowohl Südkorea als auch Japan haben in der Vergangenheit Karten vorgelegt, mit denen sie ihre jeweiligen territorialen Ansprüche und Namen für geographische Erscheinungen belegen wollen. Die Anerkennung solcher Bezeichnungen durch andere Länder in der Vergangenheit ziehen sie zur Bekräftigung ihrer Ansprüche heran."