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Politik

"Ich misstraue uns"

26. August 2018

Niklas Frank, Sohn des NS-Kriegsverbrechers Hans Frank, zweifelt an der Demokratiefähigkeit seiner Landsleute. Vor allem die Flüchtlingskrise zeige, wie wenig die Deutschen aus der Geschichte gelernt hätten.

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Niklas Frank
Niklas Frank, Sohn des Kriegsverbrechers Hans Frank, im Interview der Woche im DW-TVBild: DW

Niklas Frank: "Die Deutschen müssten wissen, wohin es führt"

Er hätte an diesem Namen zerbrechen können, so wie seine Geschwister. Ein Bruder wurde zum Alkoholiker, eine Schwester nahm sich das Leben. Beide waren unfähig, den Familiennamen zu tragen, den sie von ihrem Vater Hans Frank geerbt hatten, dem Generalgouverneur des von den Nazis besetzen Polens, der 1946 am Ende der Nürnberger Prozesse als einer der Hauptkriegsverbrecher hingerichtet wurde.

Doch Niklas Frank zerbrach nicht. Er stellte sich der Geschichte seines Vaters, die auch seine eigene ist. Dabei hätte er sich hinter seinem unauffälligen Namen verstecken können. Aber das, sagt der Journalist und Publizist im "Interview der Woche" habe er vor allem aus einem Grund nicht gewollt: "Mir ist das fortgesetzte Schweigen hier in Deutschland mehr und mehr auf die Nerven gegangen. Das konnte ich nicht aushalten."

"Ein hochgebildeter Mensch und wirklicher Verbrecher"

So schrieb er bereits 1987 ein Buch, in dem er sich mit seinem Vater und dessen Verbrechen auseinandersetzte. "Der Vater: Eine Abrechnung" heißt es. Darin, so Niklas Frank, habe er durchaus "mit ihm abrechnen" wollen. Er habe ihn konfrontieren wollen mit allem was er über ihn fand: "Ich adressiere ihn in dem Buch ja immer 'du, du, du'." Und er habe ihm nachweisen wollen, "dass er zwar ein hochgebildeter Mensch war, aber ein wirklicher Verbrecher."

Von seinen Zeitgenossen wurde Franks Vater "Schlächter von Polen" oder der "Judenschlächter von Krakau" genannt. In seinem Verantwortungsbereich wurden vier Vernichtungslager für die so genannte "Endlösung der Judenfrage" errichtet, wie die Nazis den Holocaust zynisch nannten: Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek. "Frank regiert nicht, er herrscht", schrieb Propagandaminister Joseph Goebbels über ihn. Seine kaum begrenzte Machtfülle nutzten er und seine Frau auch, um sich am Eigentum der Opfer persönlich zu bereichern.

Anordnung zur "rücksichtslosen Ausschlachtung"

Von Anfang an legte Frank es darauf an, die wissenschaftliche und kulturelle Szene Polens zu zerstören. Bereits kurz nach der Besetzung Polens wurde die Universität Warschau geschlossen. An der Krakauer Universität waren keine polnischen Studenten mehr zugelassen, viele der Professoren wurden in Konzentrationslager verschleppt, ein Teil dort ermordet.

Porträt Hans Frank Generalgouverneur von Polen
Hans Frank, der "Schlächter von Polen", wie ihn die Bewohner es NS-Generalgouvernements Polen bald nanntenBild: Wikipedia/Bundesarchiv

Er ziele auf eine "Ausnutzung des Landes durch rücksichtslose Ausschlachtung", schrieb Frank im Oktober 1939. Umzusetzen sei sie unter anderem durch den "Abtransport aller für die deutsche Kriegswirtschaft wichtigen Vorräte, Rohstoffe, Maschinen, Fabrikationseinrichtungen usw., Heranziehung der Arbeitskräfte zum Einsatz im Reich, Drosselung der gesamten Wirtschaft Polens auf das für die notdürftigste Lebenshaltung der Bevölkerung unbedingt notwendige Minimum, Schließung aller Bildungsanstalten, insbesondere der technischen Schulen und Hochschulen."

Das Bild des Vaters in der Tasche

Für Sohn Niklas wurden die Verbrechen später zur Verpflichtung, sich der Vergangenheit seiner Eltern zu stellen. "Und dann hab ich gemeint: Jetzt muss ich doch mal aussprechen, wie eine Familie, in die ich durch Zufall hineingeboren worden bin, aufgrund der Karriere des Vaters alles an Moral verliert."

Bis heute, sagt Frank, trage er das Bild seines gehenkten Vaters oft bei sich. Dafür habe er zwei Gründe: "Zum einen um sicherzugehen, dass er wirklich tot ist, der Hundling, und zum zweiten, dass er mich mehr und mehr angrinst, wie er da mit kaputtem Genick auf der Decke liegt nach der Hinrichtung, weil seine Ideen und seine Ideologie eben nicht mit ihm gestorben ist, sondern weiterlebt hier in Deutschland." Denn überwunden, ist Frank sich sicher, ist der Nationalsozialismus nicht, jedenfalls nicht ganz und gar."

Die Kraft für die Auseinandersetzung mit dem Vater verdanke er einem aus heutiger Sicht glücklichem Umstand, sagt Niklas Frank: "Ich hab sehr früh eine große Distanz zu meinem Vater gehabt, weil mein Vater in den ersten Jahren nicht glaubte, dass ich sein Sohn bin, sondern der Sohn seines besten Freundes. So war sehr distanziert zu mir. Das war eigentlich mein Glück, weil ich dann auch eine Distanz zu ihm aufgebaut habe. Das hat mich eigentlich gerettet."

Am meisten habe ihn erzürnt, dass sein Vater seine Verbrechen bis zuletzt nicht bedauert habe, sagt Niklas Frank. "Laut Reichsgesetzblatt und damit rechtlich und von Amts wegen war er der Stellvertreter Hitlers im Generalgouvernement. Politisch war er also verantwortlich für jeden Toten, und er hat das nie wirklich bereut."

Deportation von jüdischen Frauen und Kindern - Bildergalerie 70 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto
Jüdische Frauen und Kinder werden 1944 ins NS-Vernichtungslager Treblinka im NS-Generalgouvernement Polen deportiertBild: picture-alliance/IMAGNO/Austrian Archives

Distanz hat Frank auch zu seiner 1959 verstorbenen Mutter Brigitte. Sie war "ein eiskalter Mensch" so der Sohn, die die Stellung ihres Mannes konsequent ausgenutzt habe. Auch sie habe sich "bereichert mit allen möglichen geraubten Gütern und hat das wirklich genossen". Nach Ende der NS-Zeit habe sie allerdings nie das Dritte Reich oder ihren Ehemann verherrlicht. "Das hat mir als Kind natürlich sehr gut getan." Schuldig gemacht habe sie sich sehr wohl, denn wie alle Nationalsozialisten habe sie eines sehr genau gewusst: "Was passiert ist Unrecht."

"Flüchtlinge lassen erkennen, was immer noch immer in uns ist"

Als wesentliche Voraussetzungen für das Aufkommen der NS-Herrschaft sieht Frank eine mangelnde Zivilcourage. Die vermisse er im Deutschland der NS-Zeit, und die vermisse er auch heute: "Wir waren immer schon anscheinend ein autoritätsgläubiges Volk. Deswegen haben wir heute auch die bislang beste Demokratie - und das, obwohl sie gerade in Gefahr ist: weil wir gerne gehorchen." Aus diesem Grund, so Frank, zweifle er bis heute an der Demokratiefähigkeit seiner Landsleute. "Vorher haben sie dem NS-Staat gehorcht", sagt Frank, und heute sei es ähnlich: "Ah, jetzt ist plötzlich Demokratie angesagt, ja machen wir eine Demokratie. Das kommt aber nicht von innen. Es ist aufgesetzt, deswegen misstraue ich uns."

Ein Anzeichen dafür, dass die deutsche Demokratisierung nur vordergründig sei, sieht er im Umgang der Deutschen mit den Flüchtlingen. Da zeige sich: "Plötzlich sind es die Flüchtlinge, die das alles rausbringen, was immer schon oder noch immer in uns ist." Die tägliche Zeitungslektüre mache ihn darum nahezu täglich wütend. "Wir Deutschen wissen genau, wo mangelnde Zivilcourage hinführt, nämlich bis in die Gasöfen. Wir müssten es besser wissen und wir haben einen Dreck daraus gemacht."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika