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Kritik aus Deutschland

5. März 2012

Deutsche Politiker und Experten üben deutliche Kritik am Wahlsieg von Wladimir Putin und an seinen Zukunftsplänen für Russland. Sie werfen Putin Zynismus und Rückschrittlichkeit vor.

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Wladimir Putin spricht am 04.03.2012 in Moskau vor Anhängern (Foto: rtr)
Putin siegt bei Präsidentenwahl in RusslandBild: Reuters

Eine zynische Veranstaltung sei sie gewesen, die Präsidentenwahl in Russland. Das Ergebnis sei schon vier Monate vorher bekannt gegeben worden, betont der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU).

Auf einem Parteitag der russischen Regierungspartei "Einiges Russland" hatte Premier Wladimir Putin, der schon von 2000 bis 2008 zwei Amtszeiten als Präsident absolviert hatte, bekannt gegeben, erneut für das höchste Amt im Staat zu kandidieren. Präsident Dmitri Medwedew solle dann Regierungschef werden. Damit sei ein Ämtertausch beschlossene Sache gewesen.

Das hätten die Menschen im Land aber nicht akzeptiert, so Schockenhoff: “Russland ist heute davon gekennzeichnet, dass eine wachsende gebildete Mittelschicht auf die Straße gegangen ist und Veränderung will.“ Putin wolle aber den Status quo um jeden Preis behalten. Er wolle Stabilität. “Aber Stabilität in einer sich rasch verändernden Welt ist Stillstand, ist Rückschritt. Von dieser Spannung wird das Land gekennzeichnet bleiben“, glaubt Schockenhoff.

Andreas Schockenhoff, CDU (Foto: dpa)
Andreas Schockenhoff, Russland-Beauftragter der BundesregierungBild: picture-alliance/dpa

Forderung nach Reformen wird anhalten

Auch Gernot Erler, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, ist überzeugt, dass sich die Protestbewegung mit dem Wahltag nicht erledigt hat: “Ich glaube, in Zukunft werden wir einen Putin unter Druck erleben.“ Der Druck in Richtung Reformen, Korruptionsbekämpfung, Modernisierung, technologische Erneuerung und auch Ausbau der Zivilgesellschaft werde in Putins dritter Präsidentschaft sehr groß sein.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck wünscht sich, dass Putin die Zeichen der Zeit erkennt. Dem Wunsch der Menschen, der sich erst um die Parlaments- und dann auch um die Präsidentschaftswahlen herum artikuliert habe – nämlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Offenheit der Gesellschaft, freier Presse – müsse nachgegeben werden. “Die Strukturen dafür müssen geschaffen werden und damit die Möglichkeiten für eine Modernisierung, die Russland dringend braucht“, so Beck.

Demonstration der Stärke nach außen
Aber von einer inneren Modernisierung Russlands in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sei in Putins Wahlkampf nicht viel zu hören gewesen. Vielmehr habe er Russlands weltweite Stärke betont. “Er hat in den letzten Wochen von einem großen Aufrüstungsprogramm gesprochen, das gar nicht finanzierbar sein wird“, sagte auch Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, der Deutschen Welle.

Der Bundestagsabgeordnete Gernot Erler, SPD (Foto: dapd)
Gernot Erler (SPD)Bild: dapd

Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, ist ähnlicher Meinung. Das Angebot, die russische Armee zu altem Ruhm und Ehre zu führen, kann Gehrcke zufolge nur skeptisch gewertet werden. “Wir brauchen in Europa Abrüstung und nicht Aufrüstung“, so der Abgeordnete.

Der Russland-Beaufragte Andreas Schockenhoff meint, Putin wolle einen Weltmachtstatus wieder herstellen, wie es ihn zu Sowjetzeiten gegeben habe. Aber schon Putins Vision einer Eurasischen Union werde nicht klappen, davon ist der FDP-Politiker Stinner überzeugt.

"Putin ändert sich nicht"

Ein “neuer Putin“ sei in der dritten Amtszeit nicht zu erwarten. Ändern werde sich Putin nicht, da ist sich Schockenhoff sicher: “Putin will seine Vorstellung des Landes durchsetzen. Er hat eine Vorstellung von Modernisierung, die von oben gelenkt ist.“

Diese sogenannte “gelenkte Demokratie“ mit einer weitgehend zentral kontrollierten Medienlandschaft habe Putins Abschneiden bei der Wahl auch nur möglich gemacht, betont Marieluise Beck von den Grünen. Und die Tatsache, dass die politische Opposition nicht wirklich Luft zum Wachsen gehabt habe, sei der Grund dafür, warum sich zu Putin auch keine Alternative herausgebildet habe.

Damit alles so bleibt wie bisher, setzt Putin wieder auf die Neureichen in Russland, meint Linkspolitiker Gehrcke. “Er hat ihnen ein Angebot für die Zukunft gemacht, das heißt, Reichtum soll vermehrt werden in diesen Schichten und gleichzeitig nicht eine Verbesserung der sozialen Wohlfahrt der großen Mehrheit der Bevölkerung.“

Wolfgang GEHRCKE von der Partei Die Linke (Foto: dpa)
Wolfgang Gehrcke (Die Linke)Bild: picture-alliance / Sven Simon

Europa muss auf Zivilgesellschaft zugehen

Der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff, glaubt, dass die Menschen in Russland Mitsprache wollen. “Wirkliche Modernisierung muss den aktiven Teil der Gesellschaft einbeziehen. Es wird keine Modernisierung von oben geben.“

Entscheidend sei, dass Deutschland und die Europäische Union nicht nur die Eliten, die politische und wirtschaftliche Führung des Landes ansprechen, sondern die breite Zivilgesellschaft – über Städtepartnerschaften, über Hochschulbegegnungen, über Jugendaustausch. “Es gibt für Russland kein Zurück in die Zukunft. Eine umfassende innere Modernisierung schließt die breite Gesellschaft ein und an die müssen wir uns wenden. Wir dürfen es nicht nur auf offizielle Beziehungen beschränken“, fordert Schockenhoff.

Autor: Markian Ostaptschuk
Redaktion: Klaus Jansen