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Presseschau Köhler

1. Juni 2010

Der Rücktritt von Bundespräsident Köhler hat ein großes mediales Echo ausgelöst. Die Zeitungskommentatoren in Deutschland bewerten seinen Entschluss überwiegend kritisch.

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Zeitungsständer mit verschiedenen Blättern
Köhlers Rücktritt ist das Topthema in allen TageszeitungenBild: BilderBox

Frankfurter FAZ

Noch nie hat ein Bundespräsident hingeworfen, weil er von Hinterbänklern und Journalisten dafür kritisiert wurde, im Kern Richtiges missverständlich ausgedrückt zu haben. Köhler hatte auf dem Rückflug von seinem ersten Truppenbesuch in Afghanistan gesagt, dass Deutschland seine Interessen, zu denen freie Handelswege und überhaupt eine möglichst stabile Welt gehörten, im Notfall auch mit militärischen Mitteln verfolgen müsse. Nichts anderes steht im immer noch gültigen Weißbuch von 2006, in dem die Bundesregierung erstmals nationale Interessen Deutschlands und die Mittel zu ihrer Durchsetzung definierte. Ausgerechnet Köhler, der schon lange sein Herz für die Dritte Welt entdeckt hat, vorzuwerfen, er wolle „Wirtschaftskriege“ führen, und ihm einen „imperialen Zungenschlag“ zu attestieren, war lächerlich. Köhlers Reaktion, daraus in ohnehin schon krisenschweren Zeiten eine Staatsaffäre zu machen, wirft Fragen nach seinem Verständnis von staatspolitischer Verantwortung auf. Sein Schritt zeigt, wie voll das Fass und wie tief verwundet der Präsident schon gewesen sein muss. Soll Köhler tatsächlich wegen dummen Geredes zurückgetreten sein? Schwerer dürfte die Erfahrung gewogen haben, dass ihn niemand von Rang verteidigt hat.

SPIEGEL aus Hamburg

Das Amt und Horst Köhler passten nicht zusammen. Sie waren nicht füreinander gemacht. Er hat das gemerkt, schon lange vor diesem Montag. Deshalb war er ein unglücklicher Präsident, deshalb hat ihn die Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen aus der vorigen Woche zu dieser Reaktion gebracht. Deshalb muss es ihn so gekränkt haben, dass niemand aus dem eigenen Lager von Union und FDP ihm danach wirklich zur Hilfe eilte, ihn unterstützte, verteidigte. Auch Angela Merkel nicht. Mann und Amt passten nicht zusammen: Die Art des Rücktritts, dieses Beleidigtsein, diese Mischung aus Selbstmitleid und Wut auf andere, bestätigt diesen Befund. Ein Bundespräsident tritt nicht zurück, weil er - im Rahmen des üblichen demokratischen Debattenprozesses - kritisiert wird. Das ist eine Überreaktion, die dem Amt nicht angemessen ist.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München

Es hat wohl noch nie jemand dem Amt des Bundespräsidenten so großen Schaden zugefügt, wie es Horst Köhler an diesem Montag getan hat. Köhler hat die Präsidentschaft dieses Landes nicht bedächtig niedergelegt, etwa weil ihn Krankheit oder ernste Umstände im Familienkreise dazu gezwungen hätten. Nein, er hat das höchste Amt im Staate hingeworfen, weil er beleidigt ist. Er ist darüber beleidigt, dass ihm, der er immer auch ein politischer Bundespräsident sein wollte, politische Kritik entgegengeschlagen ist. Gerade die Geschichte der Bundesrepublik ist geprägt von harten, manchmal auch beleidigenden Debatten über Militär und Militäreinsatz. Helmut Schmidt und Helmut Kohl wurden, auch aus ihren eigenen Parteien heraus, Kriegstreiber genannt; Joschka Fischer wurde wegen seiner Haltung zum Kosovo-Krieg tätlich angegriffen. Sie alle haben das ausgehalten, mehr oder weniger stoisch. Aushalten, sich der Debatte stellen, gehört zu den demokratischen Primärtugenden.

TAZ aus Berlin

Köhlers beispielloser Rückzug (ist) das vorerst letzte und stärkste Symptom der Auflösung von Schwarz-Gelb. Union und FDP haben Köhler gemeinsam ins Amt gehoben, sein Rücktritt könnte den Abschied dieser Konstellation einläuten. Und er könnte für ein nächstes Novum in der deutschen Geschichte sorgen. Denn wenn ein Mann hinschmeißt, darf in der Politik oft eine Frau aufräumen.

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

Seit seiner Wiederwahl vor einem Jahr hat der Präsident nicht mehr den richtigen Ton gefunden. Erst war monatelang gar nichts mehr von ihm zu hören. Zu Euro-Krise und Schuldendilemma fiel ihm erst Ende April etwas ein. Als ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds verfügt er eigentlich über die notwendige Expertise. Doch statt tumbem Chauvinismus entgegenzutreten, kam nur ein hilfloser Appell für die Griechenland-Hilfe heraus. Insofern tritt eine zwar in der Bevölkerung beliebte, aber politisch schwache Figur ab. Er erwischt damit auch die schwarz-gelbe Koalition auf dem falschen Fuß. Als hätten Union und FDP nach der verlorenen NRW-Wahl und angesichts der Sparzwänge nicht schon Probleme genug, müssen sie jetzt auch noch einen neuen Kandidaten aus dem Hut zaubern. Dafür bleibt nur wenig Zeit: Spätestens am 30. Juni wird der Nachfolger gewählt.

Redaktion: Sabine Faber