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Deutsche sollen für zehn Tage hamstern

Heiner Kiesel22. August 2016

Um die Bevölkerung für Krisen und Katastrophen zu wappnen, hat die Bundesregierung ein neues Konzept für die zivile Verteidigung ausgearbeitet. Notvorräte sind ein Aspekt davon. Doch die Deutschen bleiben gelassen.

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Vorratslager mit Notfallration (Illustration: picture alliance / Robert Schlesinger)
Bild: picture alliance/Robert Schlesinger

Der Barcode-Scanner im Supermarkt um die Ecke piept im sommerlich-entspannten Rhythmus. Vielleicht steigt der Takt bald an, wenn am Mittwoch das neue Konzept der Bundesregierung zur zivilen Verteidigung vorgestellt wird. "Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten, um durch entsprechende Eigenvorsorge die staatlichen Maßnahmen zu unterstützen", heißt es in dem Entwurf des Konzepts, der verschiedenen Medien inzwischen vorliegt. Die Deutschen sollen hamstern für den Katastrophenfall und dadurch die Zeit überbrücken, die es dauert, bis die staatliche Hilfe funktioniert. Kürzlich überstürzten sich die Nachrichten über Terrorangriffe - vermeintliche und echte: Wird es jetzt ernst?

Supermarkt-Kundin Laura schaut in ihre Einkaufstüte. Da ist ein gemischter Salat und eine Flasche Limo. Sachen für die Mittagspause. "Ich würde mich dann zuerst mit genügend Wasser eindecken", sagt die 37-Jährige, als sie von den neuen Notfallplänen erfährt. "Aber ich weiß nicht, ob das in Deutschland so unbedingt notwendig ist, das ist in Kalifornien sicherlich was anderes, wegen der Erdbebengefahr". Hinter ihr kommt eine ältere Dame durch die automatische Tür. Pagenschnitt in grau und zwei prallgefüllte Plastiktüten in der Faust. "Ich hab' tatsächlich Vorräte für gut drei Monate zu Hause", gesteht sie. Sie habe das aus einem Gefühl heraus begonnen. "Da war ich also meiner Zeit voraus!", freut sie sich. Sie setzt vor allem auf Haferflocken und Öl. "Das ist die Sparvariante, aber die soll vom Nährwert her ganz gut sein."

Deutschland Supermarktkundin Laura F. (Foto: DW/H. Kiesel)
Supermarktkundin Laura ist skeptisch bezüglich des Konzepts der BundesregierungBild: DW/H. Kiesel

Das Krisen-Konzept für jede Eventualität

Das neue Papier passt recht gut in eine Zeit, die von den Bürgern zunehmend als unsicher und bedrohlich wahrgenommen wird. Aber, darauf legen die Verantwortlichen wert, es sei keine Reaktion auf die Ereignisse der letzten Monate. "Das ganze ist die Fortschreibung einer Konzeption, die 1995 zuletzt überarbeitet worden ist", erläutert ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, das für das Papier verantwortlich ist. Damals sah die Welt aus deutscher Perspektive friedlicher aus, der kalte Krieg war vorbei, aus Feinden wurden Partner.

Jetzt gibt es neue Bedrohungen: Cyberterroristen könnten die Infrastruktur lahm legen, einen Blackout provozieren, Islamisten eine schmutzige Bombe zünden - ganz abgesehen davon, dass es natürlich auch Naturereignisse, wie Beben, Stürme und Überschwemmungen geben könnte, die ein katastrophales Ausmaß annehmen. "Wir haben das ganze Spektrum in den Blick genommen", heißt es beim Innenministerium. Seit vier Jahren werde daran gearbeitet. Nach Medienangaben geht es auch um einen besseren Gebäudeschutz, ausreichende Kapazitäten bei der Gesundheitsversorgung und ein effektives Informationssystem für die Bevölkerung.

Innenminister Thomas de Maizière (Foto: Getty Images/S. Gallup)
Bundesinneminister Thomas de Maizière will das "Konzept Zivile Verteidigung" (KZV) im Bundeskabinett vorstellenBild: Getty Images/S. Gallup

Bei den Oppositionsparteien im Bundestag stößt der Veröffentlichungstermin dennoch bitter auf. "Ich bin gegen Panikmache in Fragen der inneren Sicherheit. Gerade jetzt, wo Besonnenheit und ein kühler Kopf dringend nötig sind. Deutschland sollte mit Zuversicht und nicht von Angst regiert werden", kommentiert Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken auf Nachfrage der DW. Der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz sieht ebenfalls "unredliche Panikmache" in dem Umstand, dass die Maßnahmen in Verbindung mit dem Terrorismus gebracht werden. "Dies ist nichts anderes als populistische Wahlkampstimmungsmache, die mit den Ängsten der Bevölkerung spielt und so nur zur weiteren Verunsicherung beiträgt." Von Notz findet es zwar durchaus sinnvoll, dass man die alte Zivilschutzkonzeption überarbeitet, aber, "dass das Bundesinnenministerium jetzt suggeriert, vor diesem Hintergrund müssten sich 80 Millionen Deutsche schleunigst bevorraten, geht an der tatsächlichen Bedrohungslage völlig vorbei."

Weckruf an die friedensgewohnte Bevölkerung

Wesentlich positiver äußert sich der Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wichtig ist für ihn, dass sich die im Krisenfall betroffenen Akteure mit der veränderten Sicherheitslage auseinandersetzen. "Das sind staatliche Stellen, aber auch Strom- und Wasserversorger, große Banken und Verkehrsunternehmen", führt der Sicherheitsforscher aus. Die gehamsterte Notversorgung für die Bevölkerung ist für ihn nur ein Aspekt unter vielen. Und man könne sich natürlich darüber streiten, ob es zehn, 14 oder 20 Tage dauern könnte, bis die staatlichen Organe, die gestörten Strukturen wieder zum Laufen bringen, meint Kaim. Er glaubt nicht wirklich daran, dass das im großen Stil von den Bürgern umgesetzt wird. Aber: "Das ist als Weckruf durchaus angemessen, damit die Leute aus ihrer Scheinsicherheit aufwachen."

Auf den Seiten des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung gibt es einen Vorratskalkulator, bei dem man die Notreserve für sich und seine Familie ausrechnen lassen kann. Durch die Vorstellung eines Einkaufs für Krisenzeiten erscheinen die theoretischen Unglücksszenarien - transnationaler Terrorismus, hybride Kriegsführung, eine russische Expansion - vielleicht schon wesentlich realer. "Das ist dann das Eingeständnis, dass man mit Unsicherheit konfrontiert ist", analysiert Kaim.

Mario (Foto: DW/H. Kiesel)
Kunde Mario findet private Vorräte durchaus sinnvollBild: DW/H. Kiesel

Mario, ein weiterer Kunde aus dem Supermarkt, sagt, dass er das gar nicht braucht. Er hat vor ein paar Jahren den Thriller "Blackout" von Marco Elsberg gelesen. Da legen kriminelle Hacker das europäische Stromnetz lahm. "Es ist sicher nicht verkehrt, was für unvorhergesehene Fälle im Hause zu haben", rät er. So richtig überzeugt von den individuellen Notreserven ist er jedoch nicht. Vielleicht, so spekuliert er, steckt da etwas anderes dahinter. "Wenn jetzt jeder Bürger nochmal extra für 20 Euro einkauft, dann ist das doch eine ganz tolle Sache für den Einzelhandel!"