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"Es gibt da viel böses Blut."

8. November 2011

Die Euro-Krise strapaziert nicht nur die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland. Sorgen die Entwicklungen auch dafür, dass die Deutschen jetzt anders über die Griechen denken? Ein Stimmungsbild.

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Demonstration vor dem Finanzministerium in Berlin mit einem Schild "Wir sind alle Griechen" (Foto dapd)
Vor dem Finanzministerium in BerlinBild: dapd
Orthodoxes Kloster auf der Insel Kaldera (Foto: fotolia)
Griechenland hat viel zu bietenBild: Fotolia/DeVIce

"Korrupt und faul – so sind die Griechen, wenn man der deutschen Boulevardpresse glaubt!", sagt Dimitrios K. (Name von der Redaktion geändert) aufgebracht. Seit 25 Jahren lebt er in Deutschland, aber so verärgert war er noch nie. Überschriften der Boulevardpresse über die "Pleite-Griechen" im "Pleite-Land" machen den 45-Jährigen wütend.

Dimitrios K. ist Mitarbeiter in einem Reisebüro und wird jeden Tag mit Vorurteilen von deutschen Kunden konfrontiert. Sie glauben, ein Urlaub in Griechenland sei gefährlich, weil die aufgebrachten Griechen sie ausrauben könnten: "Wenn wir Kunden Kataloge hinlegen: Spanien, Frankreich, Griechenland: Keiner nimmt einen Griechenland-Katalog mit, weil niemand mehr Urlaub dort in Erwägung zieht.“

"Nicht leicht, ein Freund der Griechen zu sein"

Überschrift in der Bild Zeitung: Hier schreibt BHild an Griechenlands Pleite-Premier"
Eine Überschrift der Bild-ZeitungBild: Bild

Auch Günter Leußler atmet schwer, wenn er über die Griechenland-Krise spricht. Der 63-Jährige engagiert sich beim Dachverband der deutsch-griechischen Freundschaftsvereine - und dafür muss er sich derzeit häufig rechtfertigen: "Es ist im Moment nicht leicht, ein Freund der Griechen zu sein."

Besonders in Privatgesprächen merkt der Bauingenieur, dass viele Leute offenbar schlecht informiert sind. Dann fällt Leußler in die Verteidiger-Rolle: "Es gibt da viel böses Blut. Ich kann mit meinem Wissen nur zur Aufklärung beitragen." Viele Deutsche stünden den Griechen im Augenblick mehr als skeptisch gegenüber. Eine Skepsis, die sich in aktuellen Umfrageergebnissen niederschlägt.

Frust - und Solidarität mit der Bevölkerung

Besonders der umstrittene Vorschlag von Ex-Regierungschef Giorgos Papandreou, das Volk in einer Abstimmung entscheiden zu lassen, ob es die EU-Rettungsmaßnahmen akzeptieren wolle, hatte für Irritationen auch in der deutschen Öffentlichkeit gesorgt. 82 Prozent der Deutschen gaben im aktuellen ARD-Deutschlandtrend an, die Griechen sollten die Euro-Zone verlassen, wenn sie das EU-Sparpaket nicht wollten. Auf der anderen Seite hatten aber in einem früheren Deutschlandtrend zwei Drittel erklärt, dass sie aufgrund der Sparmaßnahmen Verständnis für die Proteste der griechischen Bürger hätten.

Diese Solidarität mit der griechischen Bevölkerung spiegelt sich auch in den Meinungen von Passanten auf der Straße wider: Jan studiert Jura in Berlin und findet, dass in Solidaritätsfragen mit den Griechen am Besten keinerlei Emotionen eine Rolle spielen sollten: "Es ist überhaupt nicht sinnvoll, sich in Ressentiments gegen ein europäisches Land reinzusteigern", sagt der 24-Jährige entschlossen.

Lutz Seidel bei der Straßenumfrage in Berlin (Foto: Heike Mohr, DW)
Lutz Seidel in BerlinBild: DW

Und Antonia, 23, appelliert an den europäischen Gemeinschaftsgedanken. Sie sieht die Europäische Union als eine große Familie an: "Und wenn meine Tante pleite ist, dann würde ich der auch aushelfen." Es werde immer über "die faulen Griechen" gesprochen, die nicht genug arbeiten wollten. "Aber ich glaube, die machen echt extrem harte Sparmaßnahmen durch und es ist der einfache Bürger, der darunter leidet", sagt die Studentin.

Etwas strenger geht Lutz Seidel mit "den Griechen" ins Gericht. Der 71-jährige Berliner glaubt, dass zumindest an einigen Vorurteilen etwas dran sei: "In südlichen Ländern ist die schöne Sonne. Die machen da auch mehr Fiesta als Büroarbeit, aber das gilt nicht nur für Griechenland, sondern auch für Spanien und Portugal."

Eine Frage der Mentalität

Wolfgang Schultheiss war bis 2010 deutscher Botschafter in Griechenland. Er befürchtet, dass die Krise die deutsch-griechische Freundschaft ernsthaft gefährden könnte: "Bis vor drei Jahren dachten die Deutschen, wenn sie an Griechenland dachten, an Inseln, schöne Strände oder die alten Philosophen." Man habe die "leichte Lebensart" der Griechen bewundert. Als bekannt wurde, dass Griechenland Statistiken gefälscht hat, um EU-Kriterien zu erfüllen, sei das Stimmungsbild dann umgeschlagen.

Wolfgang Schultheiss, ehemaliger deutscher Botschafter in Athen
Wolfgang SchultheissBild: DW

Schultheiss glaubt, dass besonders die Mentalitätsunterschiede zwischen Griechen und Deutschen die Beziehung strapazieren würden: Viele Deutsche könnten die Schwierigkeiten, die die Griechen gerade durchmachen, nicht nachvollziehen. Sie würden in zu kurzer Zeit zu viel von der griechischen Bevölkerung erwarten: "Die gesamte Mentalität und die Struktur der Griechen, das sind eingeschliffene Verhaltensmuster. Und Probleme wie die Korruption und den aufgeblähten Beamtenapparat können Sie nicht von heute auf morgen ändern."

Schultheiss hat der Bundesregierung einen Vorschlag gemacht, um für mehr Verständnis der Bevölkerung in Deutschland und Griechenland zu werben: Er würde gerne einen "Griechenlandbeauftragten" der Bundesregierung berufen. "Eine Art Elder Statesman, Joschka Fischer zum Beispiel". Der sei in Griechenland angesehen und könnte den Deutschen erklären, welche Probleme die Griechen haben. "Das würde wiederum das Griechenlandbild in Deutschland postiver gestalten." Noch hat die Bunderegierung auf den Vorschlag nicht reagiert.

Autorin: Heike Mohr
Redaktion: Hartmut Lüning