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Verfassung Libyen

2. September 2011

In Libyen hat der Nationale Übergangsrat ambitionierte Reformen angekündigt. Dazu soll auch eine neue Verfassung ausgearbeitet werden. Der Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni hält den Zeitplan für ambitioniert.

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Das Grundgesetz als Buch gebunden (Foto: dpa)
Teile des deutschen Grundgesetzes könnten sich später in der libyschen Verfassung wiederfindenBild: dpa - Fotoreport

DW-WORLD.DE: Die provisorische Oppositionsführung Libyens verspricht ein "demokratisches Libyen mit freien und fairen Wahlen". Dazu soll auch eine neue Verfassung ausgearbeitet werden, und das in nur wenigen Monaten. Herr El-Aouni, gibt es momentan eine Verfassung in Libyen, auf die man vielleicht zumindest in Teilen aufbauen könnte?

Hamadi El-Aouni: Nein, es gab die alte monarchistische Verfassung. Die wurde allerdings Mitte der 70er Jahre von Gaddafi abgeschafft. Das heißt, dass Libyen zurzeit keinen Verfassungstext und keine Verfassung hat.

Das heißt der Nationale Übergangsrat muss ganz von vorne anfangen. Aber wie der Name schon sagt ist es nur ein Übergangsrat. Woher hat er die Legitimation, eine neue Verfassung auszuarbeiten?

Ich habe bisher die Libyer so verstanden, dass in circa acht Monaten eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden soll und es wird die Aufgabe dieser verfassungsgebenden Versammlung sein, eine neue Verfassung für Libyen zu formulieren.

Aber eine neue Verfassung muss ja jetzt bereits angedacht werden. Wer soll das tun?

Porträt von Hamadi El-Aouni
Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni

Es gibt auf jeden Fall Vorstellungen. Aus den bisherigen Aussagen und Stellungnahmen der verschiedenen Gruppierungen hört man klar heraus, dass die Libyer keine präsidiale Republik mehr haben wollen, sondern eine parlamentarische Demokratie. Unter parlamentarischer Demokratie verstehen diese Leute, dass das Zentrum der Macht das Parlament sein soll und auf keinen Fall eine starke Persönlichkeit. Die Libyer wollen eine Gewaltentrennung, das heißt eine Legislative mit Machtbefugnissen, eine Exekutive, die nur die Gesetze auszuführen hätte und eine Judikative, das heißt, eine Justiz, die unabhängig und stark sein soll.

Also im Prinzip eine klassische Verfassung wie man sie auch in westlichen Demokratien kennt. Aber man kann ja vermutlich die Verfassung einer westlichen Demokratie nicht eins zu eins auf Libyen übertragen.

Genausowenig gibt es auch eine westliche Demokratie. Es gibt sie nicht. Es gibt verschiedene Demokratiemodelle. Es gibt ein Präsidialsystem wie in Frankreich, wo die Stellung des Präsidenten viel zu stark ist. Es gibt demgegenüber eine Bundesrepublik Deutschland mit dem Bundestag als Zentrale der Macht, die föderativ organisiert ist. Es gibt mehrere Demokratiemodelle und ich verrate kein Geheimnis wenn ich sage, dass die Leute in Libyen mit dem Modell Bundesrepublik Deutschland sympathisieren, weil es dezentral ist, föderalistisch ist und kontrollierbar ist.

Sie würden also die deutsche Verfassung als mögliches Vorbild für die libysche Verfassung sehen?

Auf jeden Fall wäre das deutsche Modell eines von mehreren Modellen, die eine Grundlage wären. Und die Libyer würden mit Sicherheit daraus übernehmen, was sie sozusagen als angenehm, beziehungsweise passend ansehen würden.

Die libysche Gesellschaft ist anders aufgebaut als die deutsche. Es gibt zum Beispiel Stammesgemeinschaften. Welche Rolle spielen die Stammesgemeinschaften denn bei der Erarbeitung dieser Verfassung?

Die Stämme würden mit Sicherheit in einem föderativen System, in einem dezentralisierten Verwaltungssystem, mehr Befugnisse bekommen und sie würden mehr zu entscheiden haben. Die Stämme würden dadurch sogar Macht dazu gewinnen.

Welche besonderen Herausforderungen gibt es denn für so eine Verfassung, beispielsweise im Bezug auf Menschenrechte oder Religionsfreiheit?

Für Libyen würde sich, glaube ich, das Problem der Religionsfreiheit kaum stellen, weil die libysche Gesellschaft hundertprozentig muslimisch, hundertprozentig sunnitisch mit einigen ganz, ganz wenigen Ausnahmen ist. Die libysche Verfassung der Zukunft wird auf jeden Fall in Paragraf eins oder zwei auf den Islam hindeuten. Das heißt aber nicht, dass der Islam die Grundlage der Rechtsprechung sein wird.

Sie sagten, acht Monate soll es ungefähr dauern, bis eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden könnte. Halten Sie das wirklich für realistisch oder ist das einfach zu ambitioniert?

So lauten die neuesten Mitteilungen. Aber ich bin skeptisch. Es könnte sein, dass diese acht Monate für die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung ausreichend sind. Aber die Verfassung wird mit Sicherheit frühestens in zwei Jahren verabschiedet werden können. Zumal eine solche Verfassung zwar von einer verfassungsgebenden Versammlung formuliert sein wird, aber sie muss dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden und erst dann, nach der Zustimmung der Bevölkerung, wird eine solche Verfassung in Kraft treten.

Der gebürtige Tunesier Hamadi El-Aouni ist Dozent für Politik und Wirtschaft an der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie und an der Freien Universität Berlin.

Das Interview führte Klaus Jansen.
Redaktion: Marco Müller