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Wiedervereinigung: Was Ost und West noch trennt

Dana Regev
3. Oktober 2020

Die DDR, die alte BRD, die deutsche Teilung gibt es seit dem Mauerfall nicht mehr. Deutschland ist wiedervereint - aber noch immer nicht zusammengewachsen.

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Durch ein Loch im Rest der Berliner Mauer schütteln zwei Personen ihre Hände
Zu Zeiten des geteilten Deutschland war so eine Begrüßung zwischen Ost- und Westdeutschen nahezu unmöglichBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Eine der ersten Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, stammt aus der Zeit, als ich vier Jahre alt war. Damals, 1989, dachte er, es wäre eine gute Idee, mir ein Poster mit den Ländern der Welt und ihren Flaggen zu schenken. Er brachte sie mir alle bei, einschließlich der Namen ihrer Hauptstädte.

Eine der Flaggen, die ich am liebsten mochte, war die deutsche - nicht, weil ich besonders beeindruckt gewesen wäre von ihren Farben, sondern weil der Name der Hauptstadt für mich als Israelin am einfachsten auszusprechen war: Bonn. Da wusste ich noch nicht, dass ich 2014, fast drei Jahrzehnte später, einmal Fuß fassen würde in dieser Stadt. 

Eine Menschenmenge sieht zu, wie Grenzsoldaten einen Teil der Berliner Mauer zum Einsturz bringen
Ostdeutsche Grenzsoldaten reißen im November 1989 einen Teil der Berliner Mauer einBild: Getty Images/AFP/G. Malie

Rückblick: 1989 gab es mit Bonn und Ostberlin zwei deutsche Hauptstädte

1989 war Bonn die Hauptstadt Westdeutschlands. Ostberlin war damals die Hauptstadt der DDR. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) waren zwei völlig unterschiedliche Länder mit gegensätzlichen politischen Systemen - getrennt durch eine Mauer.

Viele Jahre gingen ins Land, doch was ich nach meinem Umzug nach Bonn rasch gelernt habe, ist, dass die deutsche Teilung, die bis 1990 existierte, zwar aus den Karten dieser Welt verschwunden ist, nicht aber aus den Köpfen der Menschen.

Deutsche Wiedervereinigung: Zeit für die Millennials?

Wirtschaftliche Ungleichheit auch nach der Wiedervereinigung

In dem Gebiet der ehemaligen DDR leben viel weniger Menschen, als als im damaligen Westdeutschland (ungefähr 16 Millionen im Vergleich zu 67 Millionen). Doch selbst wenn die Bevölkerungsungleichheit herausgerechnet würde, sei die Leistungsfähigkeit laut einer Studie des Pew Research Centers von 2019 geringer.

Menschen, die im Osten leben, verdienen im Schnitt 14 Prozent weniger, als die Menschen im Westen. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate betrug 2019 im Osten 6,9 Prozent, während sie im Westen bei 4,8 Prozent lag.

Vorurteile gegenüber Ostdeutschen

Augenscheinlich sind das für manch einen mehr als nur nüchterne Zahlen, wie ich während eines Abendessens bei engen Freunden in Berlin feststellen musste. "Die Ossies haben immer noch ihre kommunistischen Denkweisen", so die Aussage des Vaters meiner Freundin. Sie seien sind noch genauso faul und unbrauchbar wie vor 30 Jahren, sagte er.

Zwei unterschiedlich hohe Münzstapel mit Fähnchen mit den Aufschriften 'West' und ''Ost'
Menschen in Ostdeutschland verdienen im Schnitt weniger, als ihre westdeutschen NachbarnBild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTO/C. Ohde

Aber viele Menschen aus dem früheren Osten - und Westen - bitten darum, zu unterscheiden. "Ein Vorurteil über Ostdeutsche ist, dass sie faul sind, aber das ist offensichtlich nicht wahr", sagt Chris, ein 33-jähriger Ingenieur aus Kaiserslautern, der jetzt in Berlin lebt. Wie die anderen Interviewpartner will er seinen vollständigen Namen nicht in diesem Artikel lesen. Er sagt, dass der Osten ärmer ist als der Westen, habe damit zu tun, dass die gut ausgebildeten jungen Leute auf der Suche nach besseren Gehältern ihre Heimat verlassen würden und führende Großkonzerne ihren Hauptsitz im früheren Westen ansiedelten. Was wiederum dazu führe, dass noch mehr Leute den früheren Osten verließen.

"Alle meine Kollegen, die aus den ostdeutschen Gebieten kommen, sind aus demselben Grund gegangen", erklärt er. Einer seiner Kollegen, der 29-jährige Andreas, der in Cottbus aufwuchs, ergänzt: "Meine Mutter lebt immer noch in meiner Heimatstadt, aber dort gab es nicht genug Jobaussichten für mich, wegzuziehen war also unumgänglich."

Übereinandergestapelte Miniaturausgaben von Dialekt-Wörterbüchern
Von Hamburg bis München: Die Deutschen sprechen zahlreiche DialekteBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Sächsischer Dialekt hat außerhalb Sachsens keinen guten Ruf 

Als ich bereits ein paar Monate in Deutschland lebte, erzählte mir eine deutsche Freundin von einem Date, das sie gehabt hatte. Sie sagte, der Typ sei wirklich nett gewesen, aber sie könne "niemals jemanden daten mit einem sächsischen Akzent". Ich war noch neu im Land und konnte zwischen verschiedenen Akzenten und Dialekten kaum unterscheiden. Aber nach sechs Jahren, die ich inzwischen hier lebe, kann ich bestätigen, dass das nicht das einzige Mal blieb, dass ich so etwas hörte - besonders über Leute aus Sachsen, weniger über Dialekte anderer Regionen. 

"Das Problem, das Bürger aus dem Westen mit unserem Dialekt haben, ist Blödsinn", sagt der 36-jährige Peter, ein Maschinenbauer aus Dresden. "Deutschland hat so viele verschiedene Dialekte - warum müssen immer die aus dem Osten verspottet werden?", fragt er. "Es zeigt nur, wer engstirniger ist."

Religion: Im Westen wichtig, im Osten unwichtig

Ihm zufolge habe die kommunistische Vergangenheit des Ostens dazu geführt, dass Menschen von dort der Regierung kritischer gegenüberstehen und "erheblich weniger religiös" seien, als Menschen aus dem ehemaligen Westen. "Wenn überhaupt, sollten sich viele Westdeutsche ihre eigenen altmodischen Meinungen genau ansehen, bevor sie andere verurteilen", argumentiert er.

Tatsächlich sagen laut einer anderen Umfrage des Pew Research Centers sechs von zehn Erwachsenen aus dem Westen, dass ihnen Religion sehr oder zumindest ein wenig wichtig sei. Im Osten sagen sechs vn zehn Erwachsenen, dass Religion für sie nicht besonders oder gar nicht wichtig sei. 

Wertschätzung für Europa ist in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich

Das Gefühl der Trennung zwischen dem früheren Ost- und Westteil bleibt auch, wenn es um Politik geht. Einstellungen gegenüber der EU sind beispielsweise unterschiedlich, und obwohl Deutsche allgemein für die Europäische Union sind, ist der Anteil der Erwachsenen, die einen positiven Eindruck von der EU haben, im früheren Westen höher. Gleiches gilt für ihre generell optimistischere Einstellung gegenüber der Zukunft.

Dampfer der Sächsischen Dampfschifffahrt vor der Kulisse der Dresdner Altstadt auf der Elbe
Ostdeutschland nach der Wende: Blick auf die Dresdner Altstadt Bild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Hinzu kommt, dass die verhältnismäßig größere Beliebtheit der rechtspopulistischen Partei AfD im Osten vom Westen mit Sorge betrachtet wird. 24 Prozent der Erwachsenen im Osten drücken eine positive Sicht auf die Partei aus, verglichen mit nur zwölf Prozent im früheren Westen.

Deutschland pendelt zwischen Weltoffenheit und Rassismus

"Die Jüngeren wuchsen zwar nicht mehr in einem geteilten Deutschland auf, doch ich denke, sie haben dennoch viel von ihren Eltern und Großeltern übernommen in Bezug darauf, wie sie die Welt sehen und wie offen sie für sie sind", sagt die 32-jährige Laura, die in Westberlin aufgewachsen ist. "Während Kinder und deren Eltern im Westen nur eine frei zugängliche Welt kannten, mussten ältere Generationen im Osten nie mit Ausländern umgehen, und sie wussten auch nicht wie, als diese Auswärtigen nach dem Fall der Mauer auftauchten", erklärt sie. "Ich denke, daher rührt auch der höhere Grad an Rassismus im Osten. Es gab einfach so viel Angst", meint Laura.

Menschenmenge steht auf der Berliner Mauer und davor, im Hintergrund ist das Brandenburger Tor zu sehen
Ende der deutschen Teilung: Der Mauerfall ermöglichte die WiedervereinigungBild: imago/F. Berger

Diejenigen, die heute im früheren Ostteil des Landes leben, sehen Muslime mit höherer Wahrscheinlichkeit negativer als ihre westdeutschen Zeitgenossen (36 zu 22 Prozent) und haben mit zweifach höherer Wahrscheinlichkeit eine negative Sichtweise auf Juden (12 zu 5 Prozent).

Die meisten Deutschen bewerten die Wiedervereinigung positiv

Die gute Nachricht ist jedoch, dass trotz der Differenzen in den politischen Ansichten und im Wirtschaftswachstum, Deutsche aus Ost und West glauben, dass die Wiedervereinigung eine positive Entwicklung war. "Wie auch mit allem anderen im Leben: Leg besser das Vorurteil ab oder du lässt dir einige großartige Leute entgehen", sagt Anna, eine 32-jährige Marketing-Managerin aus Köln, deren Vater aus Westdeutschland und deren Mutter aus der ehemaligen DDR stammt. 

Und wenn die Trends anhalten, wird es Deutschland sehr wahrscheinlich gelingen, die Lücken zwischen dem früheren Osten und Westen zu schließen - früher oder später.

 

Alle Folgen von "Meet the Germans" findet Ihr bei You Tube oder auf Instagram.     

Adaption: Verena Greb