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Politik

Bewährungsstrafe wegen Spionage für Russland

Vladimir Esipov
28. Oktober 2021

Ein Mitarbeiter einer Firma, die im Berliner Reichstagsgebäude Elektrogeräte kontrollierte, hat Lagepläne des deutschen Parlaments an den russischen Geheimdienst weitergeleitet. In Berlin wurde nun das Urteil gesprochen.

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Die Kuppel des Reichstags in Berlin
Die Kuppel des Reichstags in BerlinBild: imago images

Der deutsche Staatsbürger Jens F., dem vorgeworfen wird, Grundrisse von Gebäuden des Deutschen Bundestages an den russischen Militärgeheimdienst GRU weitergeleitet zu haben, ist am Donnerstag vom Berliner Kammergericht wegen geheimdienstlicher Agententätigkeiten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte für den 56-jährigen Angeklagten zwei Jahre und neun Monate Gefängnis gefordert. Im Vorfeld des Verfahrens hatte Jens F. einen vom Gericht im Gegenzug für ein Geständnis angebotenen Vergleich abgelehnt.

Belastung im Verhältnis Berlin-Moskau

Kurz vor der Bundestagswahl 2017 war die Nachricht wie eine Bombe geplatzt. Mitten im Wahlkampf hieß es, jemand habe Lagepläne des Bundestages an die russische Botschaft in Berlin weitergeleitet. "Russischer Spion im Bundestag?" titelten die Zeitungen, und das Ganze angesichts von Berichten über Hackerangriffe auf das Parlament und Fake News der russischen Trollfabriken, die die öffentliche Meinung vor der Wahl beeinflussen sollten.

Seitdem ging es immer weiter bergab im Verhältnis zwischen Berlin und Moskau - ob wegen eines Auftragsmordes an einem ehemaligen tschetschenischen Feldkommandeur im Kleinen Tiergarten in Berlin oder aufgrund der Vergiftung des führenden Oppositionellen Alexej Nawalny - die Vorwürfe gegen russische Geheimdienste wurden immer lauter, während Berlin seinem Ruf als "Hauptstadt der Spione" alle Ehre machte.

Vier Jahre später saß Jens F. auf der Anklagebank. Er blieb jedoch auf freiem Fuß, da die Behörden keine Fluchtgefahr sahen. Im Februar 2021 war er von der Bundesanwaltschaft wegen Spionage angeklagt worden.

Brief an die russische Botschaft

In Deutschland schreibt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Firmen und Behörden vor, mindestens alle vier Jahre sämtliche "ortsveränderlichen" elektrischen Geräte zu überprüfen - von der Kaffeemaschine über den Wasserkocher und die Mikrowelle bis zur Tischlampe. Die Bundestagsverwaltung hatte eine Firma aus Niedersachsen mit dieser Aufgabe betraut, in deren Berliner Büro Jens F. arbeitete.

Russische Botschaft in Berlin
Russische Botschaft in BerlinBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Da die Lagepläne des Bundestages keiner Geheimhaltung unterliegen, schickte ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung Hunderte entsprechende Dateien per E-Mail an das Büro der Firma, wo sie auf einer Festplatte gespeichert wurden. Nur wenige Mitarbeiter hatten darauf Zugriff.

Laut Anklage soll Jens F. insgesamt 385 Dateien mit Lageplänen auf CD-ROM kopiert und sie in 46 Ordner sortiert haben. Die CD steckte er in einen Umschlag und schickte sie einem GRU-Mitarbeiter in der russischen Botschaft. Auf den Umschlag, auf dem keine Rücksendeadresse stand, schrieb er auch auf Russisch das Wort "Wichtig!". Jens F. soll davon ausgegangen sein, dass der Brief letztendlich in die Hände des russischen Geheimdienstes gelangt.

Poststempel überführt den Täter

Der Brief an die russische Botschaft wurde allerdings von einem deutschen Geheimdienst abgefangen. Die Ermittler stellten laut Poststempel fest, dass der Brief in der Nähe des Wohnsitzes von Jens F. eingeworfen wurde. Außerdem konnte er als einziger in der Firma gut genug Russisch, um auf den Brief den Hinweis "Wichtig!" in russischer Sprache zu schreiben. Deutschen Medienberichten zufolge soll Jens F. zu DDR-Zeiten als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium der Staatssicherheit (Stasi) gearbeitet haben.

Jens F. habe sich "aus eigenem Antrieb" entschlossen, die Pläne an den russischen Geheimdienst weiterzugeben, so die Bundesanwaltschaft. Allein die Bereitschaft, für einen ausländischen Geheimdienst zu spionieren, kann laut Paragraf 99 des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden. Dabei spielte es im vorliegenden Fall keine Rolle, dass die übermittelten Lagepläne nicht als geheim eingestuft waren.

Während des Prozesses schwieg Jens F.; sein Anwalt lehnte öffentliche Stellungnahmen ab. Unklar ist, ob der Brief die russische Botschaft überhaupt erreicht hatte. Denn die deutschen Behörden dürfen zwar bei besonderen Gefährdungslagen Briefe abfangen und auf richterliche Anordnung hin auch öffnen, müssen diese danach in aller Regel jedoch wieder verschließen und dem Empfänger zustellen. In den Unterlagen des Gerichts befinden sich jedenfalls nur Kopien jener CD-ROM und jenes Briefumschlags.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk