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Politik

Eine "völlig neue Rolle" für Deutschland

Darko Janjevic cr
5. Februar 2017

Die USA steuern auf eine Periode des Isolationismus zu, sagt der Politologe Siebo Janssen im DW-Interview. Damit machten sie anderen Staaten Raum für eine stärkere Rolle in der Weltgemeinschaft - vor allem Deutschland.

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Deutschland Demonstration gegen die Wahl von Donald Trump
Bild: picture alliance/dpa/L. Mirgeler

DW: US-Präsident Donald Trump hat klargestellt, dass er eine isolationistische Außenpolitik vertreten wird. Andere NATO-Staaten warnt er, sie sollten ihren Teil zum Militärbündnis beisteuern. Gibt der Rückzug anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland, die Möglichkeit, eine größere Rolle in der Weltgemeinschaft zu spielen? 

Siebo Janssen: Deutschland, zunächst nur Westdeutschland und jetzt das ganze Land, wurde von den USA immer gegen die sowjetische oder die russische Bedrohung geschützt. Die USA haben stets betont, dass sie diese enge Allianz mit der Bundesrepublik pflegen, weil sie Deutschland als einen Faktor der Stabilität in Europa und auch in der EU brauchen. Jetzt, mit Trump, haben wir etwas, dass man wirklich als "brutale isolationistische Position" bezeichnen kann. Trump sagt ja etwa Dinge wie: "Ich interessiere mich nicht für das, was im Rest der Welt geschieht. Ich interessiere mich nur für die Zerschlagung des sogenannten Islamischen Staates und für das, was in den Vereinigten Staaten geschieht."

Die Herausforderung für Deutschland wird nun sein, dass das Land jetzt eine völlig neue Rolle bekleidet - es wird unabhängiger, übernimmt aber auch eine Führungsrolle innerhalb der Europäischen Union und in der freien Welt.

Kann Deutschland wirklich eine dominantere Rolle übernehmen?

Da bin ich skeptisch. Ich bin nicht sicher, ob Deutschland mit dieser neuen mächtigen Position umgehen kann - wir haben das nie gelernt und nie gewollt, und trotzdem haben wir jetzt zwei große machtpolitische Herausforderungen. Die erste betrifft die EU - Deutschland ist der wichtigste Akteur innerhalb der Europäischen Union, da Frankreichs Einfluss politisch und wirtschaftlich rückläufig ist. Wir haben auch eine immer mächtigere Rolle innerhalb der Weltgemeinschaft. Hier in Deutschland wollte das niemand, wir sind einfach in diese Rolle hineingestolpert. Jeder weiß, dass Trump Deutschlands Position in der Welt verändern wird, aber niemand kann es in diesem Moment akzeptieren, dafür gibt es keine Vorgängermodelle.

Was sollte Berlin also tun, wie reagieren?

Ich denke, dass die Europäische Union unter deutscher Führung - und später vielleicht unter französischer - eine eigene Verteidigungs- und Außenpolitik aufbauen muss. Wir müssen auf zwei Säulen aufbauen, auf der Diplomatie, wo wir schon sehr stark sind, und wir müssen die militärische Macht der Europäischen Union als Ganzes stärken, nicht nur für Deutschland oder Frankreich.

Wenn Europa beginnt, seine eigene Außenpolitik zu verfolgen, würde das zu diplomatischen Konfrontationen mit den USA führen?

Das sehen wir jetzt schon - wir haben hier zum Beispiel in der Europäischen Union kein Interesse daran, Ost- oder Südosteuropa zu destabilisieren, was Russland derzeit zu tun versucht. Wenn sich die USA zunehmend isolieren, fürchte ich, dass sich die EU und Deutschland stärker um ihre Nachbarschaft kümmern müssen. Wir können die USA nicht mehr bitten, dies für uns zu übernehmen. Wir müssen es auf eigene Faust tun, denn Trump sagte schon, dass er den Konflikt mit Russland nicht eskalieren lassen will.

Wenn Russland beispielsweise versucht, seine Rolle in der Ukraine, in Südosteuropa und Georgien auszubauen, dann müssen wir darauf in den baltischen Staaten reagieren. Die EU muss reagieren, wenn die USA das nicht wollen. Wir können nicht akzeptieren, was Putin in den meisten Teilen des Ostens und Südosteuropas getan hat.

Wir haben schon über den Ausbau des Militärs und die Förderung der diplomatischen Bemühungen gesprochen. Welche anderen Reformen fordern Sie als Reaktion auf Donald Trump und die neue US-Politik?

Meiner Meinung nach brauchen wir einen UN-Sitz für die gesamte Europäische Union. Es wäre ein klares Signal an den Rest der Welt - an Russland, die USA und China -, dass die Europäische Union für ihre Außenpolitik und nicht für ihre nationalen Interessen zusammenkommt. Aber das Problem ist, dass wir auf der anderen Seite diesen Niedergang der EU haben. Sie wird immer schwächer. Wir haben viele interne und externe Probleme, da muss man sich nur Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und den Brexit anschauen.

Wir befinden uns jetzt an einem Wendepunkt: Wir können mehr in Richtung der Europäischen Union gehen, sie stärken, wenn es um Außen- und Verteidigungspolitik geht. Oder wir können Einfluss in der Welt verlieren, indem wir Osteuropa und andere Erdteile der Politik autoritärer Staaten, wie China oder Russland und sogar den USA, überlassen.

Professor Siebo Janssen ist deutscher Politikwissenschaftler und Historiker mit Schwerpunkt USA und Südosteuropa. Er unterrichtet am Institut für anglo-amerikanische Geschichte der Universität Köln.