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Deutschland im Sanierungsstau

Karin Jäger14. März 2013

Rund 60 Prozent aller Gebäude, die zwischen 1945 und 1980 in Deutschland errichtet wurden, müssen saniert werden. Sie entsprechen nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen - so auch das Rathaus in Düren.

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Innenansicht einer Wand, die in den 1950-er Jahren von Hand hochgezogen wurde: Leinentapete (li.), Netzstrukturbeschichtung, Zementputz, Zementsteine, dazwischen Styropor als Dämmstoff Foto: Karin Jäger (DW)
Bild: DW/ K. Jäger

Wer als Bürger Dürens einen Bauantrag stellen will, muss in eines der Industriegebiete der nordrhein-westfälischen Stadt fahren. 400 Mitarbeiter der Stadtverwaltung sind dort in ein ehemaliges Telekom-Gebäude ausquartiert worden, denn ihr eigentlicher Arbeitsplatz, das Rathaus, ist gerade eine einzige Baustelle.

Bis Mitte 2014 soll das imposante Gebäude in der Innenstadt wieder bezugsfähig sein. Ein ehrgeiziger Plan. Die Fassade des Backsteingemäuers steht noch, aber drinnen scheint kein Stein auf dem anderen geblieben zu sein. Hans-Willi Schroeder kennt die Zahlenkombination am Schloss des Bauzauns, um durch die Absperrung ins Innere zu gelangen. Begleitet wird der Bauleiter bei dieser Inspektion von Hauptamtleiterin Maria Welter und dem Chef des Gebäudemanagements, Helmut Harperscheidt. Sie gehören zur Projektgruppe Rathaussanierung. In den Fluren schwebt Staub durch die Luft. Hier und da begegnen ihnen Arbeiter. Die einen wuchten ausgediente Heizkörper in Abfallcontainer im Freien, denn demnächst werden die Heizungen in die Decken eingebaut. Andere schleppen Säcke mit Boden- und Tapetenresten zu einem der vielen Depots. Hin und wieder kommen sie an Kammern mit blauen Warnschildern vorbei, die eine Gasmaske zeigen.

Bislang Keller, bald Eingangsbereich des Rathauses Düren Foto: Karin Jäger (DW)
Bislang Keller, bald barrierefreier Eingangsbereich des Rathauses DürenBild: DW/ K. Jäger

Dort, hinter provisorisch eingezogenen Plastikwänden entfernen Fachleute Schadstoffe, die sich in Teppichen und Tapeten befinden. "Wir haben viele kleine Stellen", sagt Hans-Willi Schroeder, "Asbest und PCB."

Asbest war Standardwerkstoff in den 1960er bis 80er Jahren. In Dach-, Fassadenplatten und Bodenbelägen wurden die "Wunderfasern" verarbeitet, weil sie als unbrennbar, chemisch stabil, hitzebeständig und isolierend galten. Die Verwendung des Minerals wurde zwar 1993 in Deutschland verboten, weil es höchst krebserregend ist. Doch noch immer stecken in vielen Gebäuden Asbest-Altlasten. Diese zu entfernen und zu entsorgen dauert Jahrzehnte und kostet Unsummen.

Bauleiter Hans-Willi Schroeder im Foyer des Dürener Rathauses, dass gerade kernsaniert wird Foto: Karin Jäger (DW)
Bauleiter Hans-Willi Schroeder hat Gefallen an dem Gemäuer gefundenBild: DW/ K. Jäger

PCB steht für polychlorierte Biphenyle. Bis in die 1980er Jahre wurden die Krebs auslösenden Chlorverbindungen in Lacken, Dichtungen, Kunststoffen, Bodenbelägen sogar in kohlefreiem Kopierpapier verarbeitet, oft in Kindergärten, Schulen, Turnhallen, Verwaltungsgebäuden. Manchmal sind die Einrichtungsgegenstände so stark kontaminiert, dass im großen Umfang saniert werden muss. Auch die Stadt Düren hat zahlreiche solcher Baustellen.

Schadstoffsanierung auf Grundlage des Rechts auf körperliche Unversehrtheit

Bei der Sanierung des Dürener Rathauses gelten hohe Sicherheitsstandards während der Entfernung der Schadstoffe: Die Arbeiter müssen sich in Schleusen umkleiden, die Toilettenhäuschen aus Stahl ähneln, um das belastete Material nicht zu verteilen. Einige Schleusen sind sogar mit Duschen ausgestattet. Die Schadstoffe werden als Sondermüll entsorgt.

Auch beim Brandschutz gibt es strenge gesetzliche Richtlinien, erzählt Helmut Harperscheidt. Die Devise: Im Ernstfall gilt es, jeden Menschen zu retten. Die drei Verwaltungskräfte steigen bei ihrer Inspektionstour durch das einzige Treppenhaus, das bis ins Erdgeschoss führt, weiter nach oben. Im Brandfall müssen sich alle Mitarbeiter und Besucher durch diese Enge ins Freie retten. Die Stadt muss auch hier nachrüsten: Um den Bereich rauchfrei zu halten, soll bei Feuer ein Brandgas-Ventilator anspringen. Auch im Dach werden Rauchgas-Ventilatoren installiert. Bei Rauch öffnen sich automatisch Türen, sodass ein Luftaustausch stattfindet und Menschen nicht ersticken.

Weiteres Argument für die zwingend notwendige Renovierung in Düren: Die technischen Anlagen entsprachen nicht mehr den Anforderungen. "Die EDV-Anlage funktionierte über ein Token-Ring-Netz, das kennt heute niemand mehr", berichtet Hauptamtleiterin Maria Welter, "aber durch die Datenflut und die Umstellung auf Windows 7 brach das ganze System zusammen."

Große Halle im Rathaus Düren, links: Personenschleuse für Arbeiter, die Schadstoffe beseitigen Foto: Karin Jäger (DW)
Personenschleuse (li.) neben Mosaiksäulen und Plastikwänden - dahinter werden Schadstoffe entferntBild: DW/ K. Jäger

Mehr Licht und weniger Wände im repräsentativen Eingangsbereich

Und behindertengerecht war der Bau auch nicht: Die Bürger mussten über die imposante Außentreppe und eine Hochterrasse ins Gebäude - für Einwohner mit Handicap unmöglich. Das ebenerdige Grundgeschoss, das als Keller genutzt wurde, wird nun zum Eingangsbereich umfunktioniert. Noch ist es dunkel hier. Aber die Verwaltungsmanager stellen bei ihrer Inspektion fest, dass die abgehängten Decken bereits freigelegt wurden. Die rostigen Heizungsrohre, die sich darunter verbargen, werden entfernt, um den Bereich heller und größer erscheinen zu lassen. Die vier massiven Säulen, von denen jede 250 Tonnen Last trägt, werden rausgerissen.

Vorderansicht des Rathauses in Düren, 1959 erbaut unter Vorgaben des Architekten Denis Boniver Foto: Stadt Düren
Unter Denkmalschutz: Das Rathaus in Düren, gebaut nach Vorgaben des Architekten Denis BoniverBild: Stadt Düren

Mit einer Hydrauliktechnik werden sie wenige Millimeter angehoben und durch schlankere runde ersetzt. Eine schwierige Aufgabe für Statiker und Techniker, denn über den Pfeilern türmen sich sieben Stockwerke. Um mehr Licht und Transparenz ins Innere zu holen, werden massive Wände durch Glaselemente ersetzt.

"Die Kunst bei der Sanierung ist, Hightech, nach gesetzlichen Forderungen, mit dem Alten zu verbinden", sagt Projektgruppenleiter Harperscheidt, denn das Gebäude aus den 1950er Jahren steht unter Denkmalschutz. "Aber die Betonqualität und die Schaltechnik von damals entspricht den heutigen Sicherheitsstandards nicht mehr."

Die Architektur sei sehr detailliert und darin liege die Herausforderung, fügt der Baufachmann hinzu. Selbst das Geländer in der großen Halle ist noch original erhalten. Es musste allerdings erhöht werden, da die Menschen heute größer sind als in den 1950er Jahren. Und weil die Fassade nicht verändert werden darf, werden die Innenwände gedämmt, um Heizkosten zu sparen.

Nicht nur der Denkmalschutz, sondern auch die Arbeitnehmervertretung, der Personalrat, hat bei den Maßnahmen Mitspracherecht. "Wir dachten, die Einrichtung von zentralen Teeküchen sei kommunikationsfördernd und modern, aber die Mitarbeiter wollen lieber ihre Einzelgeräte im Büro behalten, obwohl die oft nicht energiesparend sind", sagt Maria Welter, die in vielen Belangen Kompromisse machen muss. Die Arbeiten sollen bis Mitte 2014 beendet sein. 2011 wurden noch neun Millionen für die Sanierung veranschlagt. Zwei Jahre später rechnen die Verwaltungsexperten mit 15 Millionen. "Allein für die Miete an den Ausweichstandorten werden eine Million Euro anfallen." Zahlen werden es allein die Bürger Dürens mit ihren Steuern. Dafür müssen sie dann nicht mehr weite Wege im Rathaus zurücklegen, das von außen und innen sehenswert und technisch auf dem neuesten Stand ist.

Maria Welter und Helmut Harperscheidt von der Projektgruppe "Rathaus-Sanierung" in Düren Foto: Karin Jäger (DW)
Maria Welter und Helmut Harperscheidt von der Projektgruppe Rathaus-SanierungBild: DW/ K. Jäger