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Deutschland im brasilianischen Wunderland

Marina Estarque (apo)19. Mai 2014

"Sie bauen Autos und trinken Bier" - auch nach dem Deutschlandjahr in Brasilien sind die Klischees zwischen beiden Ländern lebendig. Der erfolgreiche Austausch wurde von den Massenprotesten gegen die WM überschattet.

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Skulpturen der Buddy Bears (Bild: Unicef)
Bild: United Buddy Bears

Sie begeistert sich für brasilianische klassische Musik. Sie spielt im Jugendorchester "Young Euro Classic Ensemble Brasilien - Deutschland". Und sie träumt von einem Leben am Zuckerhut: Die Deutsch-Türkin Ayla Emanet fühlt sich dem Land ihres brasilianischen Lieblingskomponisten Heitor Villa Lobos (1887 bis 1959), tief verbunden. "Ich spüre die brasilianische Seele in seiner Musik", sagt sie. "Die Melancholie erinnert mich an meine Heimat."

Das "Young Euro Classic Ensemble Brasilien-Deutschland" war eines der herausragenden Projekte des Austauschjahrs "Deutschland + Brasilien 2013-2014". Das Kammermusik-Ensemble mit elf Jugendlichen aus beiden Ländern eröffnete bereits vor einem Jahr das große bilaterale Projekt in São Paulo. Am 16. Mai teilte es sich mit dem Bundesjugendballett in Rio die Bühne zur Abschlussfeier.

Bier und Autobahn

In den vergangenen zwölf Monaten tourten die jungen Musiker und Tänzer durch Brasilien und warben für kulturellen Austausch und Annäherung zwischen beiden Kontinenten. Mehr als sieben Millionen Menschen kamen mit dem teuto-brasilianischem Austauschjahr in Berührung. Während Brasilien in Deutschland zum Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2013 ausgerufen wurde, stemmten die Organisatoren in Brasilien insgesamt 1100 Veranstaltungen in 92 Städten. In Deutschland waren 27 Gemeinden involviert.

Doch haben die vielen Begegnungen zwischen jungen Brasilianern und Deutschen wirklich dazu beigetragen, die gegenseitigen Klischees abzubauen? In Brasilien schwanken die Vorstellungen über typisch deutsche Eigenschaften noch immer zwischen stur, streng und pedantisch auf der einen, und pünktlich und innovativ auf der anderen Seite. Deutsche scheinen das Kunststück zu beherrschen, Unmengen an Bier zu trinken und so schnell Auto fahren zu können wie sie wollen.

Aus Sicht des deutschen Industrieverbands BDI, der für die Projektleitung des Deutschlandjahres verantwortlich war, ist die Bilanz positiv: "Das Interesse war größer, als wir vermutet hatten und hat alle unsere Erwartungen übertroffen", erklärte der Vorsitzende des BDI-Brazil Boards, Stefan Zoller. Die Kosten für das Austauschjahr in Höhe von rund 17 Millionen Euro teilten Bundesregierung (7 Millionen Euro) und Unternehmen (10 Millionen Euro) untereinander auf. Hinzu kommen noch die Beiträge von Kulturinstituten und Bildungseinrichtungen in Brasilien und Deutschland.

Bundesjugendballett (Foto: Marina Estarque)
Unter der Regie von Choreograf Thiago Bordin setzt das Bundesjugendballett brasilianische Bachianas in SzeneBild: DW/Marina Estarque

"Zauberhaftes Deutschland"

Aus der Sicht der Sambaschule "Unidos da Tijuca" hält sich die Begeisterung in Grenzen. Denn ausgerechnet deutsche Firmen, die als Sponsoren für das speziell deutsche Karnevalsthema 2013 beworben wurden, machten sich rar. Die traditionelle Sambaschule, die 2012 beim Umzug in Rio den ersten Platz holte, musste ihren Umzug unter dem Motto "Zauberhaftes Deutschland" (Alemanha encantada) unter größten finanziellen Anstrengungen gestalten und belegte 2013 in Rio lediglich den dritten Platz.

Für den Soziologen Luiz Ramalho fällt die Bilanz gemischt aus. Aus seiner Sicht haben die Massenproteste gegen die Fußball-WM in Brasilien während des Confed Cups das Deutschlandjahr überschattet. "Brasilien befindet sich an einem politischen Siedepunkt und ist sehr auf sich selbst fixiert", meint der Koordinator der Brasilientage "Nunca mais" (Nie mehr Folter).

Die Veranstaltungsreihe klärt im Rahmen des Austauschjahres mit mehreren Debatten und Symposien in beiden Ländern über die offiziellen Verbindungen zwischen Deutschland und Brasilien während der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) auf. "Es ist schwierig, bei der Vorbereitung auf die WM und den bevorstehenden Wahlen im Oktober die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf ein anderes Land zu lenken", weiß Ramalho.

Luiz Ramalho Direktor von InWent Deutschland (Foto: privat)
Der Soziologe Luiz Ramalho setzt sich für die Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien einBild: Privat

Kultur auf vier Rädern

Der Direktor des Goethe Instituts in Rio de Janeiro, Alfons Hug, räumte ein, dass nicht alle geplanten Kooperationen in die Praxis umgesetzt werden konnten. "Das Großprojekt '500 Jahre deutsche Kunst' und die Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Fernsehsender Globo konnten aus Kapazitätsgründen nicht umgesetzt werden", sagte Hug. Dafür seien mit der Wanderbühne "Kulturtour" Menschen aus allen sozialen Schichten angesprochen worden.

Unter dem Motto "Kulturtour - Deutschland auf vier Rädern" tourte im vergangenen Jahr ein Truck mit ausklappbarer Bühne durch ganz Brasilien. Konzerte, Theatervorstellungen und Filme sollten ein großes Publikum mit deutscher Kultur vertraut machen. Auch eine Bibliothek war Bestandteil der Roadshow in 16 verschiedenen brasilianischen Städten.

KulturTour Deutsche Kultur in Brasilien (Foto: Renate Krieger/DW)
Teamwork: Deutsch-brasilianische Streetart präsentiert sich in 17 StädtenBild: DW/R.Krieger

Für deutsche und brasilianische Fußballfans wäre der krönende Abschluss des Deutschlandjahres das Endspiel Brasilien gegen Deutschland am 13. Juli im Maracana-Stadion in Rio. Nach Informationen der deutschen Botschaft in Rio laufen viele Projekte des Austauschjahres auch nach der WM weiter.

Die deutsch-türkische Flötistin Ayla Emanet hat schon jetzt Sehnsucht nach Brasilien. "Unser Traum ist es, das Orchester am Leben zu erhalten", sagt die Musikerin. "Wir wollen weiter zusammen musizieren".