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Deutschland im digitalen Tiefschlaf?

Rolf Wenkel
11. Juni 2017

Am Montag beginnt in Ludwigshafen der Digital-Gipfel des Bundes. Die Regierung wird sich für Fortschritte im Netzausbau loben und über ein Digitalministerium streiten, während Experten mahnen: Deutschland wird abgehängt.

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AEMtec Berlin Adlershof
Bild: picture-alliance/dpa/H. Wiedl

Zu dem zweitägigen Kongress, der sich früher "Nationaler IT-Gipfel" nannte, hat sich wieder einmal viel Prominenz angesagt. So werden Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, Innenminister Thomas de Maizière und Verkehrsminister Alexander Dobrindt erwartet. Auf diesem seit 2006 jährlich veranstalteten Treffen sollen Konzepte entwickelt werden, wie Deutschland als IT-Standort gestärkt werden kann. 

Zum Entwickeln von Konzepten gehört freilich auch eine Bestandsaufnahme, wie weit Deutschland auf dem Weg der Digitalisierung und beim Ausbau der digitalen Kommunikationsnetze vorangeschritten ist - und diese Bestandsaufnahme fällt eher bescheiden aus. Es ist noch keine zwei Monate her, da stellte sich die Bundesregierung für ihre Digitale Agenda ein gutes Zeugnis aus und zeigte sich mit den umgesetzten Maßnahmen zufrieden.

Nur im digitalen Mittelfeld

Ein ganz anderes Licht wirft das "World Competitive Ranking" der Schweizer IMD Business School in Lausanne auf den Stand der Digitalisierung in Deutschland. Sie ermittelt jährlich einen Index der Wettbewerbsfähigkeit für 63 Industriestaaten und hat in diesem Jahr erstmals den Faktor Digitalisierung einbezogen. Ergebnis: Deutschland, die stärkste Volkswirtschaft Europas, landet in der Digitalisierung nur auf Platz 17. Und das, obwohl die deutsche Wirtschaft glaubt, bei Themen wie Industrie 4.0 und "Internet der Dinge" Vorreiter zu sein.

Infografik Ranking der digitalen Wettbewerbsstärke DEU

Tatsächlich stellt sich die Mehrzahl der deutschen Firmenchefs sich in der Zukunft auf eine wachsende Digitalisierung ihres Unternehmens ein. 61 Prozent gehen davon aus, dass der Trend zum Einsatz vernetzter Systeme ihre "interne Produktions- und Dienstleistungskette" verändern wird. Rund zwei Drittel (67 Prozent) sehen sogar einen Trend zur digitalen Vernetzung ihrer Firma mit Zulieferern und Kunden, zeigt eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). 

Digitalisierung "ohne Relevanz"?

Bedenklich allerdings: Noch immer geht ein großer Teil der befragten 12 000 Betriebe davon aus, dass die Digitalisierung für sie vorerst nicht von Bedeutung sein wird. Zehn Prozent rechnen demnach im Zusammenhang mit der sogenannten Industrie 4.0 in den kommenden fünf Jahren mit "keinen Veränderungen" ihrer internen Abläufe. 29 Prozent erklärten, für ihre Produktion oder Dienstleistungen werde die Digitalisierung erst einmal "ohne Relevanz" sein. 

Sind Deutschlands Firmenchefs also im digitalen Tiefschlaf? Das stimmt nur bedingt, denn viele Unternehmen haben bereits wichtige Prozesse zur Digitalisierung von Produktion und Dienstleistungen angestoßen. Allerdings beklagen viele Firmenchefs, dass die Politik die für die Digitalisierung und Vernetzung der Wirtschaft dringend notwendigen Grundvoraussetzungen zu zögerlich angeht. Darunter fällt auch die flächendeckende Breitbandversorgung. 

Ruckelfreies Surfen für alle

Verkehrsminister Dobrindt, der sich auch Minister für digitale Infrastruktur nennen darf, hat erst im März den Fahrplan für den weiteren Breitbandausbau vorgestellt. Das insgesamt vier Milliarden Euro umfassende Bundes-Programm war 2015 gestartet worden, in zwei Wellen sind bislang 1,3 Milliarden Fördermittel zum Ausbau der Netze ausgegeben worden, und im März wurden weitere 935 Millionen Euro für die Breitbandförderung bereit gestellt.

Die Regierung will bis 2018 flächendeckend Übertragungsgeschwindigkeiten von 50 Megabit pro Sekunde erreichen - sprich: im ganzen Land soll ruckelfreies Video und TV über das Internet möglich sein. Doch Experten sind sich einig, dass diese Ziele  deutlich zu niedrig angesetzt  sind. Selbst die Europäische Union hat sich die Marke von 100 Mbit/s bis 2020 gesetzt. 

Bremser Telekom?

Die Frage ist auch, ob nicht der ehemalige Fernmelde-Monopolist, die Deutsche Telekom, ein großer Bremsklotz für den Ausbau von wirklich schnellen Netzen ist. So hat die Telekom erst im März vom Verwaltungsgericht Köln Rückendeckung für den Einsatz der umstrittenen Vectoring-Breitband-Technologie erhalten. Das Gericht wies mehrere Klagen von Wettbewerbern gegen die Entscheidung der Bundesnetzagentur ab, dem Ex-Monopolisten grünes Licht für den weiteren Ausbau dieser Technik zu geben.

Mit Vectoring sollen die alten Kupferkabel der Telekom auf der "letzten Meile" zum Endkunden bis zum Äußersten ausgereizt werden, fit gemacht werden für das schnelle Internet. Vectoring kann allerdings an den Kabelverzweigern prinzipiell nur von einem Anbieter durchgeführt werden. Deshalb wenden sich die Wettbewerber  der Telekom gegen den Einsatz dieser Technologie. Kritiker betonen zudem, dass Vectoring nicht wirklich zukunftsträchtig ist und dass der Einsatz dieser Technologie den Glasfaser-Ausbau verzögert.

So zeigt ein Blick auf den Breitbandatlas der Bundesregierung: Viele ländliche Regionen sind vom schnellen Netz zum Teil noch abgeschnitten. Weniger als zehn Prozent der Haushalte erreichen hier derzeit die angesteuerte Zielmarge von 50 MBit pro Sekunde. Das gilt zum Beispiel für Teile der Eifel, des oberbergischen Kreises, das ländliche Umfeld von Freiburg im Breisgau und größere Gebiete um den Bayerischen Wald, im südlichen und östlichen Sachsen sowie vor allem in weiten Teilen von Mecklenburg-Vorpommern.

Fachkräftemangel auf Rekordhoch

Ein weiteres dringendes Thema sind die Fachkräfte für die digitale Wirtschaft. Der Mangel an Mathematikern, Informatikern, Naturwissenschaftlern und Technikern (MINT) in Deutschland hat ein Rekordhoch erreicht. Im April fehlten den Unternehmen 237 500 Arbeitskräfte im sogenannten MINT-Bereich - 38,6 Prozent mehr als im Vorjahr, hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW, Köln) ermittelt. Das sei der höchste Stand, seit Beginn der Erhebung 2011, hieß es. Fast 40 Prozent der fehlenden akademischen Kräfte macht der IT-Bereich aus.

Der Vorstandschef der Initiative "MINT Zukunft schaffen", Thomas Sattelberger, ist überzeugt, dass die Lücke ohne ausländische Fachkräfte noch viel größer ausfallen würde. Seit 2013 sei die Beschäftigung von Ausländern in akademischen MINT-Berufen um 43 Prozent gestiegen - den größten Anteil daran machen indische Arbeitskräfte aus. Damit der Fachkräftemangel insgesamt nicht weiter ansteige, müsse die Zuwanderung gestärkt werden - etwa durch eine Talent Card, die es auch Nicht-Akademikern aus dem Ausland erlaube, sich in diesem Bereich auf dem deutschen Arbeitsmarkt umzuschauen.