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"Deutschland kann Familiennachzug nicht aushebeln"

Kersten Knipp2. November 2015

Soll Deutschland den Familiennachzug begrenzen, um den Flüchtlingsstrom zu vermindern? Klaus Dienelt ist skeptisch: Das Europarecht setze enge Grenzen und die Auswirkungen seien gering, sagt der Jurist im DW-Interview.

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Registrierung von Flüchtlingen (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/K.-J. Hildenbrand

Deutsche Welle: Herr Dienelt, einige Unionspolitiker fordern, zur Eingrenzung der Flüchtlingszahlen den Familiennachzug zu beschränken. Ist das rechtlich möglich?

Klaus Dienelt: Den Familiennachzug von Flüchtlingen muss man sehr differenziert betrachten. In laufenden Verfahren, also bevor der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird, ist ein Familiennachzug rechtlich zwingend nicht zuzulassen. Darum kann ein Familiennachzug auch ausgeschlossen werden. Der Hintergrund ist klar: Solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist, weiß man noch nicht, ob die Person, um die es geht, ein Recht haben wird, sich dauerhaft in Deutschland aufzuhalten. Den Familiennachzug im Vorfeld der Anerkennung auszuschließen, ist sicherlich möglich. Aber mir scheint, das ist nicht unbedingt der rechtliche Maßstab, den die Bundesregierung im Blick hat. Eher geht es wohl um die Frage, was passiert, wenn Schutzsuchende einen Status zuerkannt bekommen, der ihnen ein Aufenthaltsrecht in Deutschland ermöglicht.

Welche Möglichkeiten bestehen da?

Auch diese Frage muss man sehr differenziert herantreten, denn Flüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention den Schutzstatus erhalten, haben einen Rechtsanspruch auf Nachzug von Familienangehörigen. Dieser Rechtsanspruch kann auch von der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgehebelt werden, da er im Europarecht verankert ist. Es gibt zwei Richtlinien, die in dieser Hinsicht maßgeblich sind: die Familienzusammenführungsrichtlinie und die sogenannte Qualifikationsrichtlinie, die den Flüchtlingsstatus regelt und die Herstellung der Familieneinheit gebietet. Beide Richtlinien zusammen lassen eine Beschränkung des Nachzugs von Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu.

Ließen sich diese Vorgaben ändern?

Überhaupt nicht. Das müsste auf europarechtlicher Ebene geändert werden. Es müssten die entsprechenden Richtlinien geändert werden. Und das ist nicht absehbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland mit dem Wunsch, den Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen auszuhebeln, auch nur ansatzweise durchdringen könnte.

Wenn das so ist - worauf zielt der Vorstoß dann?

Wenn die Idee vom Innenministerium kam, knüpft sie vermutlich nicht an den Flüchtlingsstatus an, sondern an Personen, die internationalen Schutz genießen - also solche, die nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Europarechtlich gibt es einen geringeren Schutzstatus: den so genannten subsidiären Schutz. Der wird auch häufig zuerkannt, insbesondere in Bürgerkriegssituationen. Bei ihm ist die Situation etwas anders. Denn dort sieht das Europarecht keinen Anspruch auf den Nachzug von Familienangehörigen. Für diese Personengruppe ist eine Beschränkung des Nachzugs denkbar. Diese ist heute auch schon im Gesetz verankert. Das heißt, hier ist von vornherein schon ein enger Filter vorgesetzt, der den Nachzug weitgehend ausschließt - außer im Falle völkerrechtlicher oder dringender humanitärer Gründe.

Wem kann man denn untersagen, seine Familie hierherzuholen?

Personengruppen, bei denen ein Ausschluss möglich ist, sind diejenigen, die nicht als Verfolgte gelten. Bei ihnen geht es darum, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, weil sie dort inhumanen Bedingungen ausgesetzt sind oder Gefahr laufen, durch die allgemeine Lage in eine konkrete Gefahr für Leib und Leben zu kommen. Oder es handelt sich um Personen, die erkrankt sind und darum nicht zurückgeführt werden können, weil sie keine ausreichende medizinische Versorgung in ihrem Heimatland gegenwärtigen können. Dieser Personenkreis enthält abgestuft verschiedene Aufenthaltstitel im Bundesgebiet. Und diese Titel lassen den Ausschluss des Familiennachzugs zu. Mit anderen Worten: Der Familiennachzug lässt sich nur für eine ganz kleine Gruppe ausschließen. Bei ihnen ist der Nachzug heute ohnehin bereits sehr erschwert.

Das heißt, die Begrenzung des Familiennachzugs ist nicht sonderlich effektiv?

Es gäbe in der Tat die Möglichkeit, die Nachzugsvoraussetzungen noch weiter zu verengen oder womöglich sogar ganz auszuschließen. Aber das ist sicher keine Möglichkeit, die wirklich große Veränderungen mit sich bringt.

Klaus Dienelt ist seit 1993 Richter am Verwaltungsgericht Darmstadt mit Schwerpunkt im Ausländer- und Asylrecht. Von 2006 bis 2008 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ausländer- und Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts. Er ist Herausgeber von "migrationsrecht.net"

Das Interview führte Kersten Knipp.