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Land der Ungleichheit

Peter Hille/sams21. Oktober 2008

Eine neue Studie der OECD zeigt: Seit dem Jahr 2000 sind Einkommensungleichheit und Armut in Deutschland schneller gewachsen als in jedem anderen Mitgliedsland.

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Frau mit Sektglas (Quelle: dpa)
Schlechte Zeiten für ArmeBild: picture-alliance/ dpa

Der enorme Anstieg der Spitzengehälter in den vergangenen Jahren hat in Deutschland in für eine drastische Zunahme der Ungleichheit gesorgt. Dies ist eine der zentralen Erkenntnisse aus der am Dienstag (21.10.2008) in Paris veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) "Mehr Ungleichheit trotz Wachstum? Einkommensverteilung und Armut in OECD-Ländern".

Für Spitzenverdiener geht es weiter nach oben: Deutsche Bank Chef Ackermann (Quelle: dpa)
Für Spitzenverdiener geht es weiter nach oben: Deutsche Bank Chef AckermannBild: AP

Deutschland hatte demnach lange Jahre eine eher moderate Einkommensungleichheit. Seit 2000 verzeichnen die Forscher jedoch eine deutliche Zunahme der Ungleichheit. Der Anteil von Menschen, die mit weniger als der Hälfte des mittleren Einkommens auskommen, liegt nun bei rund elf Prozent, ähnlich hoch wie in Griechenland oder Großbritannien. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nennt drei Ursachen: Der Arbeitsmarkt in Deutschland habe sich stark verändert, weg von sicheren Vollzeitjobs, hin zu Kurz- und Zeitarbeit. Außerdem gebe es immer mehr Single-Haushalte und Alleinerziehende, und die seien stärker von Armut betroffen. Und drittens habe auch die Politik einen Einfluss gehabt - durch die Herabsetzung des Spitzensteuersatzes.

Massive Zunahme bei den Spitzengehältern

Zwischen 1999 und 2005, unter der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders, fiel der Spitzensteuersatz für hohe Einkommen in Deutschland von 53 auf 42 Prozent. In der Gruppe der fünf Prozent Spitzenverdienern seien die Einkommen im gleichen Zeitraum massiv nach oben geklettert, so Grabka. Ein Trend, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA zu beobachten sei.

"Nationale Politik kann etwas tun"

Ingesamt lässt sich der Trend hin zu mehr Einkommensungleichheit in drei von vier OECD-Mitgliedsstaaten beobachten. Für OECD-Wirtschaftsexperte Michael Förster ist die Entwicklung an den Arbeitsmärkten die Hauptursache. Es gebe aber auch Länder, in denen das nicht durchbrach, etwa Spanien oder Frankreich. "Offensichtlich kann nationale Politik doch etwas tun, um zu verhindern, dass es zu einer strukturellen Zunahme von Einkommensungleichheiten kommt", sagt Förster.

Flaschensammler mit Einkaufswagen (Quelle: dpa)
Arbeit müsse sich wieder lohnen, meint die OECDBild: picture-alliance/ dpa

In Deutschland werde zwar mehr Geld umverteilt als im Durchschnitt der OECD-Länder, doch diese Umverteilung sei nicht effektiv. Wichtig seien Maßnahmen zur Aktivierung von Personen, um ins Erwerbsleben einzutreten, meint Förster, aber auch begleitende Maßnahmen, um zu ermöglichen, dass sich Arbeit auszahlt. Arbeit müsse sich lohnen. Ein Mindestlohn wie beispielsweise in Frankreich könne dazu beitragen, dass mehr Menschen eine Arbeitsstelle anstrebten und dann auch ausreichend Geld verdienten.

Falsche Umverteilung

Die Umverteilung in Deutschland dagegen helfe oft den Falschen, also nicht den Ärmeren. Etwa beim so genannten Ehegattensplitting, das Paare gegenüber Alleinlebenden bevorzuge. Nötig seien zielgruppenorientierte Maßnahmen, so Markus Grabka. "Altersarmut ist definitiv keine sozialpolitische Herausforderung mehr in Deutschland, heutzutage ist Kinderarmut die zentrale Problematik", sagt Grabka.

Zwei Kinder stehen an der Schaufensterscheibe eines Spielwarengeschäfts in Stade und sehen sich Spielsachen an (Foto vom 24.03.2008). Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) leben über 1,5 Millionen Kinder auf dem Niveau der Sozialhilfe und und haben kein, oder nur wenig Spielzeug. Die Dunkelziffer wird auf weitere 200.000 geschätzt. Das sind solche Kinder, die zwar ein Anrecht auf eine Leistung der Sozialhilfe bzw. Hartz IV hätten, diese jedoch nicht in Anspruch nehmen. Insgesamt leben 14,2 Prozent der Kinder in Deutschland in Armut - das ist jedes 7. Kind (Quelle: dpa)
OECD: Kinderarmut ist ein viel größeres Problem als AltersmutBild: picture-alliance/dpa

In fast allen OECD-Ländern habe sich das Armutsrisiko von den Älteren auf die Jüngsten verlagert. In Deutschland sei diese Entwicklung besonders ausgeprägt. Die Armutsquote bei Menschen über 65 blieb in der Zeit von 1995 bis 2005 stabil bei neun Prozent, während sie bei Kindern im gleichen Zeitraum von 11 auf 16 Prozent gestiegen ist - fünf Mal so schnell wie im OECD-Mittel. Bei Kindern, die nur bei einem Erziehungsberechtigten leben, weist Deutschland nach Japan, Irland, USA, Kanada und Polen die fünfthöchste Armutsquote auf.

Noch akuter werde das Problem nun durch die weltweite Finanzkrise. Wenn sie voll auf die Wirtschaft in Deutschland durchschlägt, dann wird die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufgehen. "Für Mitte 2009 werden wieder eine Zunahme der Ungleichheit und Armut in Deutschland beobachten", prognostiziert Grabka. Dass im Zuge der Finanzkrise auch einige der Spitzeneinkommen, etwa von Bankmanagern in Deutschland fallen könnten, sollte dabei kein Trost sein.

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