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Deutschland nach Kundus-Angriff entlastet

16. Februar 2021

Der Befehl eines Bundeswehr-Offiziers beschäftigt seit mehr als einem Jahrzehnt die Justiz. Jetzt urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

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Weltspiegel 16.02.2021 | Afghanistan Kundus 2009 | Luftangriff Bundeswehr
Zerstörter Tanklastwagen nach dem Luftangriff nahe Kundus im September 2009Bild: Jawed Kargar/dpa/picture alliance

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Deutschland im Verfahren um den NATO-Luftangriff im afghanischen Kundus von 2009 entlastet. Die Ermittlungen der deutschen Justiz zu dem Angriff seien ausreichend gewesen; die Bundesrepublik habe nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, urteilten die Straßburger Richter. Sie befanden nicht über den Angriff an sich, sondern über Deutschlands Pflicht zu dessen Untersuchung. Die Entscheidung ist endgültig, eine Beschwerde kann nicht eingelegt werden.

Geklagt hatte der afghanische Familienvater Abdul Hanan. Er hatte durch die Attacke in der Nacht auf den 4. September 2009 seine acht und zwölf Jahre alten Söhne verloren.

Gefahr durch rollende Bomben

Kämpfer der radikalislamischen Taliban hatten zuvor zwei Tanklastwagen entführt. Der Bundeswehroberst Georg Klein forderte Luftunterstützung an, weil er fürchtete, die LKW könnten als rollende Bomben missbraucht werden. Daraufhin zerstörten zwei US-Kampfflugzeuge die Laster. Bei dem Beschuss wurden nach Schätzungen mehr als 100 Menschen getötet; die genaue Zahl ist unklar. Die meisten von ihnen waren Zivilisten.

Infografik Karte Afghanistan Kundus DE

Der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung begrüßte das Urteil des EGMR. "Ich halte die Entscheidung für richtig und zutreffend, und ich bin dankbar, dass das Gericht so entschieden hat", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Die Entscheidung für den Angriff sei aus damaliger Sicht begründet gewesen.

Der Luftangriff hatte seinerzeit zu einer Regierungskrise in Berlin geführt. In der Folge trat der vormalige Verteidigungsminister Jung von seinem Amt als Arbeitsminister zurück, das er erst einen Monat innehatte. Die Opposition warf ihm vor, in den Tagen nach dem Bombardement die Unwahrheit gesagt und brisante Informationen vertuscht zu haben.

Bundestag Franz Josef Jung
Vorwurf der Vertuschung: Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Im Dezember 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu dem Angriff geurteilt. Es entschied, dass Deutschland den Angehörigen der getöteten Zivilisten keinen Schadenersatz zahlen müsse. Oberst Klein habe alle ihm verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft, bevor er den Angriff veranlasst habe.

Damit bestätigten die Karlsruher Richter ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach den Hinterbliebenen keine Entschädigungen zustehen. Gemäß dem Völkerrecht können Betroffene keine unmittelbaren Ersatzansprüche geltend machen. Die Bundesrepublik hatte den Angehörigen der zivilen Opfer von Kundus nach eigenen Angaben jedoch 5000 Dollar (umgerechnet 4100 Euro) je Familie als "humanitäre Hilfeleistung" gezahlt.

Zwei Jahrzehnte am Hindukusch

Die NATO ist seit fast zwanzig Jahren in Afghanistan im Einsatz - und mit ihr die Bundeswehr. In Kundus verlor das deutsche Militär mehr Soldaten im Kampf als irgendwo sonst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im November zog die Bundeswehr ihre Soldaten weitgehend von dort ab und verlegte sie an den Hauptstützpunkt in Masar-i-Scharif zurück.

Insgesamt sind rund 1200 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Ungeachtet der jüngsten Friedensgespräche verüben die Taliban dort immer wieder tödliche Anschläge. Am Donnerstag wollen die NATO-Verteidigungsminister über eine Fortsetzung der Mission "Resolute Support" in dem Land beraten.

jj/wa (dpa, afp, epd)