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Politik

Deutschland will Libyen-Friedenskonferenz

9. Januar 2020

Die Bundesregierung will die Gegenspieler in Libyen und ihre ausländischen Unterstützer an einen Tisch bekommen. Es steht viel auf dem Spiel. Doch die Widerstände sind enorm.

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Konflikt in Libyen | Kämpfe
Bild: picture-alliance/dpa/A. Salahuddien

Als der libysche Machthaber Muhammar al-Gaddafi 2011 gestürzt wurde, jubelte man auch in Berlin. Gaddafi hatte sich schwerster Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung schuldig gemacht. Die Freude über sein Ende währte aber nur kurz. Denn seitdem herrscht Chaos in Libyen. Es gibt zwar eine von den Vereinten Nationen anerkannte libysche Regierung unter Fajis al-Sarradsch in Tripolis. Doch sie ist schwach und kontrolliert nur einen Teil des Staatsgebiets. Ihr großer Gegenspieler ist General Chalifa Haftar, der den Osten und Süden des Landes beherrscht. Er hat kürzlich die Hafenstadt Sirte erobert und setzt die Regierung militärisch immer mehr unter Druck. 

Bildkombo Haftar und as-Sarradsch
Ringen um Einfluss in Libyen: Haftar (l.) und Sarradsch

Beide Seiten können nicht nur auf zahlreiche Milizengruppen zählen, sondern haben auch mächtige Verbündete im Ausland: Die Türkei beispielsweise unterstützt Sarradsch und hat inzwischen Soldaten nach Libyen geschickt. Ankara hat außerdem mit der Regierung ein Abkommen über Seegrenzen abgeschlossen, bei dem es auch um Ansprüche auf Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer geht. Russland neben Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten steht dagegen auf Haftars Seite.

Für Europa entscheidend wichtig

Die Rolle der ausländischen Akteure hat die Situation in den vergangenen Wochen deutlich verschärft. Libyen dürfe nicht "zum Schauplatz eines Stellvertreterkriegs" werden, warnt Deutschlands Außenminister Heiko Maas. Das ist auch die Sorge seiner EU-Amtskollegen. Der SPD-Verteidigungsexperte Fritz Felgentreu befürchtet durch den Einfluss ausländischer Mächte "Folgen für die Sicherheit im Mittelmeer, für Flüchtlingsströme, für das Leiden der Bevölkerung vor Ort". Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt nennt den Konflikt in Libyen "einen der großen Konflikte der Weltpolitik".

Tatsächlich hat vor allem die EU großes Interesse an einer Stabilisierung der Lage. Das riesige Land auf der Südseite des Mittelmeers ist seit Jahren Transitland für afrikanische Migranten Richtung Europa. Die unklaren Machtverhältnisse sind außerdem Nährboden für islamistische Terrorgruppen. Der jahrelange Bürgerkrieg und der damit verbundene Waffenschmuggel destabilisieren sogar die angrenzende Sahelzone, was wiederum neue Flüchtlingsströme in Gang setzen könnte.

Symbolbild Rettung von Migranten vor der Küste Libyens
Libyen ist Transitland für afrikanische Flüchtlinge und Migranten Richtung EuropaBild: picture-alliance/dpa/J. Bourdin

Es geht in Libyen aber ebenso um wirtschaftliche Interessen. Denn das Land hat reiche Öl- und Gasvorkommen. Dadurch droht sogar eine Spaltung der EU in der Libyenpolitik: Frankreich hat eine Zeitlang Haftar, Italien Sarradsch unterstützt, um jeweils exklusive Geschäftsbeziehungen zu bekommen. Der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai sagt dazu sarkastisch: "So habe ich mir die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik nicht vorgestellt. Sondern es muss eine einheitliche Linie existieren. Und vor allem muss man auch in der Lage sein, diese Linie politisch umzusetzen."

Droht ein zweites Syrien?

Durch eine "Verhandlungslösung", meint Fritz Felgentreu, müsse man versuchen zu "erreichen, dass es in Libyen wieder so etwas wie einen funktionierenden Staat gibt". Was das seiner Meinung nach sein kann: "Das fängt mit einem Beitrag zur Sicherheit vor Ort an und hört bei Unterstützung für den Staatsaufbau, für Organisation, für die Polizei dort nicht auf."

Schon im vergangenen Jahr hatte Merkel zusammen mit Außenminister Maas den sogenannten Berliner Prozess gestartet, der möglichst alle in Libyen involvierten ausländischen Staaten an einen Tisch bringen soll. Seitdem ist die Lage aber keineswegs einfacher geworden, im Gegenteil. Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid warf der Türkei vor, mit der Entsendung von Soldaten nach Libyen "die Polarisierung im Land weiter voranzutreiben". 

Türkei Wladimir Putin trifft Recep Tayyip Erdogan in Istambul
Könnten ihre Interessensphären in Libyen aufteilen: Präsidenten Putin und ErdoganBild: picture-alliance/dpa/Presidential Press Service

In Syrien haben die beiden Gegenspieler Russland und Türkei bereits bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich untereinander zu einigen, um Einflusssphären festzulegen und ihre jeweiligen Interessen zu wahren. Auch in Libyen könnten daher die Vermittlungsbemühungen Deutschlands und der EU ins Leere laufen. Wohl auch aus dieser Sorge heraus fordert Maas, Libyen dürfe "kein zweites Syrien" werden. Für eine russisch-türkische Verständigung an der EU vorbei spricht auch der gemeinsame Aufruf zu einer Waffenruhe durch die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch in Istanbul. Offiziell stellen sich Moskau und Ankara allerdings hinter den Berliner Prozess.

Chancen für Friedenskonferenz unklar

Was die Chancen für eine deutsche Vermittlungsinitiative verbessern könnte, ist, so die Einschätzung von Jürgen Hardt, "dass sowohl die Aufständischen um Haftar als auch die reguläre Regierung nicht damit rechnen können, dass sich ihre Situation entscheidend verbessert, wenn nichts passiert im positiven Sinne, eine Entspannung der Situation. Das könnte den Boden bereiten für eine mögliche Friedenslösung, zumindest erst einmal für einen Interessensaugleich". Trotzdem sei eine Friedenskonferenz in Berlin "keineswegs sicher".

Brüssel Heiko Maas, Außenminister Deutschland & Fayiz as-Sarradsch, Premierminister Libyen
Außenminister Maas begrüßt in Brüssel Sarradsch. Der unterstützt den Berliner ProzessBild: Imago Images/photothek

Hoffnung macht Außenminister Maas, dass ihm Sarradsch diese Woche in Brüssel Unterstützung für den Berliner Prozess zugesichert habe. Sarradsch sei insbesondere für einen Waffenstillstand, ein Waffenembargo und einen politischen Prozess in Libyen unter UN-Aufsicht. Von Haftar hat Maas dagegen nicht einmal eine Stellungnahme bekommen, geschweige denn eine Zustimmung zur deutschen Initiative. "Aber das Problem ist so gravierend, dass es jede Anstrengung lohnt", meint Jürgen Hardt von der CDU, "und es ist auch richtig, dass die Bundeskanzlerin mit ihrem politischen Gewicht voll auf diese Karte setzt."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik